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Newsletter 4/2022 - Freiheit
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August 2022

F

reiheit

Lau streicht der Wind durch dunkle Wipfel,
Der Tag ist mild, der Himmel weit.
Zu streben nach dem höchsten Gipfel,
Den Menschen unten fehlt die Zeit.
Doch auch da oben fast beim Grossen,
Bleibt Ruhe niemals unberührt.
Die Menschen treiben ihre Possen,
Der Adler kreist, wie ihm gebührt.
Drum Mensch, willst du die Stille finden,
Dem Adler gleich erhebe dich!
Bedingung darf dich niemals binden,
Und Schicksal? – Schicksal weite sich! (1)

L

iebe ist frei.
Sie kann tun,
was sie will;
es ist immer richtig,
schafft immer das Gute.
Liebe ist recht.
Nicht-Liebe kann der
Liebe nichts anhaben.
Es sei denn ihr Schicksal –
Liebe ist Freiheit (2)





Man bekommt immer nur, was man zuerst zu geben bereit ist.
Samuel Widmer





Liebe Leser

Wieder bin ich für ein paar Tage auf "meiner" Tessiner Alp und darf hier, wie inzwischen jedes Jahr, den Text zum August-Newsletter schreiben. Hier, wo ich jeden Stein und jeden Baum kenne, wo die Kühe (stellt euch vor!) noch Hörner tragen, wo die Ziegen mich beim Frühstück besuchen, wo die Luft den unverkennbaren Geruch nach Heimat hat…
Dieser Newsletter sollte in der Tat zuerst einer über Heimat werden, weil dies das Thema des 3. Symposiums "Zusammen leben" ist, das in ein paar Tage bei uns in Lüsslingen-Nennigkofen anfängt. Oder auch einer über Konkurrenz und Autoritätskonflikte, ein Thema, das zuletzt in der Gemeinschaft wieder aktuell geworden war. Über Heimat gibt es leider in Samuels Büchern zu wenig Texte, über Konkurrenz habe ich schon im Dezember 2020 einen Newsletter verfasst (3) . Schlussendlich, inspiriert von einem Seminar von Danièle auf "der Farm" in Berlin über das Thema "Freiheit beinhaltet Verantwortung", habe ich mich für das Thema "Freiheit" entschieden. Freiheit ist zwar nicht, etwas, was mich aktuell beschäftigt, sondern eher etwas, was mich ständig begleitet, in meinem ständigen Prozess der Selbsterkenntnis.
In den letzten paar Tagen, während ich beim Wandern, beim Gras Mähen oder beim Keller Aufräumen über diese Themen nachdachte, habe ich bemerkt, dass alle einen gemeinsamen Nenner haben. Erratet mal welchen…
Heimat, nicht im Sinne von Wurzeln, sondern von Angekommensein, ist zuerst einmal eine Liebesgeschichte, hatte Danièle mal in einer Meditation gesagt (4), eine Liebegeschichte mit sich selbst, mit den anderen, mit dem Ganzen. Stimmt, Heimat ist für mich nur dort, wo die Liebe ist, wo ich lieben darf und geliebt werde. Dort hingegen, wo Konkurrenz und Autoritätskonflikte sind, kann keine Heimat entstehen, weil dort keine Liebe ist. Solange jemand mit mir ein Autoritätsproblem hat, oder ich mit ihm/ihr, kann zwischen uns keine echte Liebesgeschichte entstehen. Das ist mir in den letzten Wochen nochmals klar geworden. Wenn man in den eigenen Beziehungen genau schaut, wundert es einem dann nicht, dass die tiefen, wahren Liebesgeschichten so selten sind.
Schon erraten, welcher der gemeinsame Nenner ist? Das einzige, was uns die absolute Freiheit gibt, weil sie auch frei ist, nämlich die Liebe.
Also scheint auch dieses Mal die Liebe die Lösung für alles zu sein. Oder, wie die damals kleine 13jährige Célia auf eine von ihr gestaltete Postkarte schrieb: "Ohne Liebe läuft nix."

Ich wünsche euch eine inspirierende Restsommerzeit mit den Texten von Samuel und Danièle. Drei sehr schöne Meditationen/Vorträge zum Thema Freiheit/Freisein sind auch auf dem Youtube-Kanal von Samuel und Danièle verlinkt (siehe unten).

Werdet frei, wie "mein" Adler hier um den "Hausberg" Pizzo Magno, der warme Wind, der Sichelmond und die Gewitterwolken!

Romina Mossi
mit Danièle Nicolet Widmer und Marianne Principi


Bevorstehende Termine

Viele Freunde des Hofs zur Kirschblüte haben sich gewünscht, regelmässige Informationen über das Seminarprogramm zu bekommen. Um nicht speziell einen Newsletter dafür zu erstellen, informieren wir neu auf diesem Weg über die nächsten Angebote:
- Besonders am Herzen liegt uns das Seminar im Oktober im kolumbianischen Amazonas beim indigenen Stamm der Tikuna, bei unseren Freunden José, Stammesmitglied der Tikuna und seiner Frau Heike.
- Am 23. August findet die nächste Online-Meditation statt, und ebenfalls im August das Eintagesseminar "Das Allerinnerste – vom Duft des Ankommens" zum Thema Kraft/Verantwortung.
- Im September treffen wir uns zum zweiten Mal in der neuen Form zu einem Kleingruppenseminar.

Die Programmübersicht mit den Angeboten bis Enden 2023 (mit z.B. Indien, der Wüste,…) findet ihr jeweils hier: https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht .

P.S. Dieser Newsletter kann auf der Website des Vereins "Samuel Widmer Nicolets Erbe" (https://samuel-widmer.org/de/news) kostenlos abonniert werden. Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis. Die Newsletter findet ihr auch auf der Website der Praxis Hof zur Kirschblute (https://hof-zur-kirschbluete.ch) und der Kirschblütengemeinschaft (https://gemeinschaft-kirschbluete.ch) oder auf dem Facebook-Kanal der Kirschblütengemeinschaft (https://www.facebook.com/Kirschbluetengemeinschaft).


Verschiedene Aufnahmen über das Thema "Freiheit" auf dem Youtube-Kanal von Samuel und Danièle Widmer Nicolet
Samuel Widmer: Freiheit, was ist Freiheit, Vortrag, Berlin Juni 2001
Video: https://youtu.be/lHe7hsnD3cY
Audio: https://youtu.be/7SYlDenRFHU

Samuel Widmer & Danièle Nicolet - Von der Freiheit: Vortrag, Lüsslingen 2001
Video: https://youtu.be/6ytKNA92FXs

Samuel Widmer & Danièle Nicolet : Freisein
Audio: https://youtu.be/jtakkYcQDL8

Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Erneuerung von uns selbst und unserer Welt, Briefe an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis, Basic Editions, 2018
Freiheit heisst, sich selbst ein Licht zu sein. Dann ist sie keine abstrakte Idee, nichts vom Denken Fabriziertes. Echte Freiheit ist Freiheit von Abhängigkeit, vom Haltsuchen, vom Verlangen nach Erfahrungen. Freiheit von der gesamten Gedankenwelt ist, sich selbst ein Licht zu sein. In diesem Licht findet alles Handeln statt und führt daher niemals zu einem Gegeneinander. Gegeneinander existiert nur, wenn dieses Licht vom Handeln abgetrennt ist, wenn der Handelnde von der Handlung abgetrennt ist. Das Ideal, das Prinzip, ist das fruchtlose Vorgehen des Denkens, das nicht zugleich mit diesem Licht existieren kann. Das eine schliesst das andere aus. Wo der Beobachter da ist, ist dieses Licht, ist diese Liebe nicht da. Der Beobachter ist ein Produkt des Denkens, das niemals neu ist, niemals frei. Es gibt kein "Wie", kein System, keine Methode. Es gibt nur das Sehen, das zugleich das Handeln ist.
Sie müssen sehen – aber nicht mit den Augen eines anderen. Dieses Licht, dieses Gesetz, ist weder Ihres noch das eines anderen. Es ist nur Licht da. Das ist Liebe.
S. 24

Die Freiheit, welche exakte Selbsterkenntnis schliesslich zusätzlich bringt, ist höchste Sensitivität und damit höchste Intelligenz, in der das Gute erblühen kann.
S. 171

Sich zu befreien, und das bedeutet das totale Verwerfen der gesellschaftlichen Moral- und Wertvorstellungen, ist zwar der erste Schritt in der Selbsterkenntnis. Die Freiheit, tabulos auf alles schauen zu können, muss, […], von Anfang an gegeben sein. Die ganzen Gedankengebäude, denen wir ausgesetzt sind, zu negieren, ermöglicht erst Selbsterkenntnis und Meditation. Aber die Freiheit kommt allein aus dem Sehen, aus einer inneren Loslösung von all dem Aufoktroyierten durch das Erkennen des persönlichen Tümpels der Ich-Sucht, in dem sich jeder Mensch infolge der erlebten Konditionierung isoliert hat, durch das Verstehen, dass er darin verkommt. Im Verneinen von dem, was Liebe nicht ist, finden wir zur Liebe. Und in ihr verschwindet die Trennung zwischen dem Ich und dem Ganzen, löst sich der Pool des Ichs wieder auf in den Fluss der Ganzheit hinein.
S. 175

Selbsterkenntnis führt zur Freiheit. Aber was ist eigentlich Freiheit? Ist sie etwas, was man in Opposition zu etwas anderem durchsetzen kann? Ist sie etwas, was einem ein anderer schenken kann? Freiheit, die von einem anderen oder etwas anderem abhängt, kann nicht Freiheit sein. Sie würde einen kastriert zurücklassen. Sie existiert nicht in Opposition oder Abhängigkeit zu irgendetwas. Sie steht für sich und kennt kein Gegenteil.
Freiheit ist ein innerer Zustand, ein Raum, der sich durch alle Energiezentren hindurch auftut und dadurch entsteht, dass wir mit nichts, aber auch gar nichts in Konflikt stehen, dass wir alles nehmen können, so wie es ist, dass wir mit allem ohne Reaktion verharren können, dass wir innerlich die Welt anhalten, wie die Krieger diesen Umstand umreissen. Freiheit kommt aus der Selbsterkenntnis, dem Prozess, in dem wir lernen, lediglich reines Sehen als adäquate Antwort auf alles, was innerlich oder äusserlich geschieht, zu praktizieren. Die Freiheit, zu sehen, was ist, muss allerdings von Anfang an gegeben sein, damit sich der grosse Raum der Freiheit im Prozess des Sehens in uns öffnen kann. Und alles nehmen zu können, wie es ist, heisst keineswegs, alles gut zu finden so, wie es ist.
S. 183

Der Versuch, etwas definitiv zu besitzen, wird immer scheitern, weil nichts an unserem Leben dauerhaft ist. Die Leere, die Unsicherheit, die Einsamkeit und die Angst, die aus ihnen kommt, wollen wir nicht haben. Darum verbarrikadieren wir uns, wollen unser Ich durchsetzen und dominieren. Damit verschanzen wir uns in Isolation, in Verhaltenheit und Geiz. All dem sterben wir im Prozess der Selbsterkenntnis dadurch ab, dass wir die völlige Futilität davon erkennen. Die Energie, die dadurch frei wird, schenkt uns Freiheit, die Freiheit, uns dem Tod, dem Unbekannten, das uns am meisten Angst macht, zu ergeben.
Selbsterkenntnis mündet in die Meditation und führt damit am Ende in die Freiheit, in den Raum, der entsteht, wenn man endlich mit allem einverstanden sein kann, so wie es ist. Ohne dass man sich dem, was ist, dabei unterworfen hätte. Ganz im Gegenteil!
Im Licht innerer Stille verschwinden schliesslich alle Probleme. Es ist das Licht, das aus der Überwindung allen Getrenntseins kommt. Von dieser Warte aus gesehen, ist alles in Ordnung so, wie es ist. Es folgt der universellen Ordnung. Dadurch verschwinden alle Schwierigkeiten, die für eine weniger umfassende Ebene und damit Sicht Gültigkeit zu haben scheinen. Stille ist Freiheit. Und Freiheit kommt aus dem Erkennen der Absolutheit und Komplettheit dieser universellen Ordnung.
S. 188


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Vom Allerinnersten, Meditationen, Basic Editions, 2005
[…] Freiheit, das heisst, keinen Konflikt zu haben, innerlich, psychologisch, ohne Konflikt zu sein. Freiheit bringt ein ganzheitliches Gehirn hervor, das nicht zersplittert, nicht fragmentiert ist. Freiheit ist auch Liebe, Mitgefühl und Intelligenz. Das Gehirn ist darin in einem Zustand voller Vertrauen, voller Vertrauen in die mysteriösen und letztlich nie ganz verstehbaren Wege des Lebens, des Seins.
S. 70


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Reise in die Wüste – Reise in die Freiheit / Ein Schüler begegnet seinem Lehrer in der Wüste (zusammen mit Kurt Moser), Meditationen, Basic Editions, 2002

Freiheit, das höchste aller Ziele, erlangt man im Alleinsein. Die Wüste steht für die Würde des Alleinsein, für die Freiheit auch und die Leere, das Nichts, welche damit zusammengehen.

Die Wüste ist das Haus der Freiheit.
Aber ohne unverbrüchliche Verlässlichkeit, ohne Freundschaft bedeutet die Freiheit in ihr den Tod.

Freiheit ist die verlorene Dimension, die unter den Menschen verlorene Dimension.

Freiheit ist nicht die Freiheit vom Menschlichen, sondern vom Menschen. Die Abwesenheit des Menschen ermöglicht Freiheit. Die Freiheit vom Menschen gerade für das essentiell Menschliche; jedenfalls zuerst und dann darüber hinaus.

Dadurch, dass ich mich dem Nahen ergebe, öffnet sich in mir etwas für das Weite und Ferne, und die Folge ist dann, dass ich mich im Konkreten, im Alltag bewegen kann, ohne dass er mir zur Enge wird. Dadurch kann ich mich verbindlich verpflichten und mir trotzdem das Gefühl erhalten, mich frei und ungebunden darin bewegen zu können. Dazu gehört auch die Freiheit, jederzeit aufstehen und gehen zu können, eine innere Losgelöstheit, letztlich die Freiheit, jederzeit sterben zu dürfen.


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Einsamkeit auf dem Weg, Geschichte, Träume, Gedichte, Meditationen mit Samuel Widmer, Basic Editions 1995

DIE EWIGE BEZIEHUNGSGESCHICHTE:
Und noch eine andere Geschichte

Eine Frau sagt zu ihrem Mann: "Es geht um die Hingabe", und ein Mann sagt zu seiner Frau: "Nein, es geht um die Freiheit." Und damit hat der ewige Kampf zwischen den Geschlechtern einen neuen Schauplatz gefunden, der ewige Machtkampf um die Frage: Wer hat Recht?
Die Frau sagt dann zu ihrem Mann: "Ich möchte, dass du dich mir ganz zuwendest." Und der Mann sagt zu ihr: "Ich möchte, dass du mich ganz frei lässt."
Die Frau aber sagt: "Ich kann dich nur ganz frei lassen, wenn du dich mir ganz hingibst. "Und der Mann sagt: "Ich kann mich dir nur ganz geben, wenn du mich ganz frei lässt."

Einer, denke ich, muss den ersten Schritt tun. Beide haben Recht. Freiheit und Hingabe gehen Hand in Hand. Auf Grund ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen und Konditionierungen betonen sie, Mann und Frau, die eine Seite und übersehen die andere. Dabei haben sie beide Recht. Hingabe kann nur in völliger Freiheit geschehen, Freiheit findet sich nur, wo man sich ganz hingibt.

Und wenn nach langem, zähem Ringen in vielen Leben und vielen Beziehungen schliesslich in einem Menschen Freiheit und Hingabe zusammenfallen, die Fähigkeit gewachsen ist, seine Freiheit dafür zu nutzen, sich irgendwo ganz einzulassen und sich hinzugeben an den andern, ohne ihn irgendwie einschränken zu müssen, dann wird der Mann schliesslich eine Frau finden, zu der er sagen kann: "Ich sehe, du lässt mich ganz frei, darum kann ich mich dir ganz hingeben." Und die Frau wird einen Mann finden, zu dem sie sagen kann: "Ich sehe, du gibst dich mir ganz hin, darum kann ich dich ganz frei lassen."
Und niemand weiss genau, ob die Sehnsucht in uns nach einer solchen Beziehung illusorisch ist, weil dieses Zusammenfallen nur in uns selbst, im Innern geschehen kann, oder ob diese Sehnsucht auch im Äussern gerechtfertigt ist, weil das innere Zusammenfallen seinen Ausdruck in den äusseren Beziehungen finden wird.
Wenn letzteres zutrifft, wird endlich der Tag anbrechen, an dem die Frau zum Mann wird sagen können: "Ich gebe mich ganz deiner Freiheit hin." Und endlich wird der Mann zur Frau sagen können: "Deiner Hingabe schenke ich meine ganze Freiheit."
Und in welche äussere Form dieser Ausdruck dann fliessen wird, das wird sich zeigen. Es wird ja Freiheit da sein zum Experimentieren und Hingabe aller Kräfte ans gemeinsame Experiment. Man wird ausprobieren, allein, zu zweit, zu dritt, mit vielen, bis man herausgefunden hat, was sich richtig anfühlt; und die Bedürfnisse werden sich auch wandeln dürfen und damit ihr Ausdruck und ihre äussere Form, denn in jedem Moment wird ja Freiheit dazu da sein und Hingabe daran.
S. 51

Aus: Samuel Widmer Nicolet: Zusammen leben - Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildung, Basic Editions, 2013
Hoffnungslosigkeit, verdrängt, zementiert durch so genannten Realismus und Pragmatismus, schliesst das Tor zu weiterem Wachstum. Erst wenn der Mensch sein Konditioniertsein, das heisst, sein Gebundensein an irgendwelche gesellschaftlichen Konventionen überwindet und zu seiner vollen Freiheit findet, eine freie Energie wird, meint Don Juan Matus, wird er weiterwachsen können. Darum darf bei aller Hoffnungslosigkeit gegenüber dem gegenwärtigen Elend des Menschen, der Haltlosigkeit und Verwahrlosung, die das Zusammenbrechen bürgerlicher Ordnung begleitet, darin doch auch ein Schimmer einer neuen Zukunft gesehen
S. 53

Die Kunst besteht letztlich darin, eine völlig befreite, freie Energie zu sein, die sich in einem Universum zurechtfindet, dessen tiefste und letzte Wirklichkeit die grundsätzliche Einheit alles Seienden und aller Energie beinhaltet. Lebenskunst drückt sich darin aus, in einem völlig unstrukturierten Feld angstfrei seinen Weg finden zu können. Das ist die Überwindung des Inzesttabus. Das alles beinhaltet der tantrische Geist, der tantrische Weg.
In dieser Freiheit verankert zu sein und trotzdem Struktur benutzen zu können, ohne sich daran zu verletzen, ist die Herausforderung. Die grosse Gefahr bezüglich Strukturbildung besteht darin, dass man sich als Gemeinschaft im Organisatorischen verlieren könnte. Ein Haus hat feste Wände. Es braucht sie. Man würde sich den Kopf einrennen, wollte man durch sie hindurchgehen. Die Struktur der Wände hilft uns, Geborgenheit zu schaffen, Heimat, uns Wärme zu garantieren. Die Kunst besteht darin, sich völlig frei und flüssig zwischen diesen Mauern zu bewegen, ohne dass sie uns behindern und einengen und ohne uns ständig mit den Mauern befassen zu müssen, gleichzeitig aber als Energie unberührt davon zu bleiben, sich ohne Mühe ausdehnen zu können, bis über den Himmel hinaus.
S. 80

Die Freiheit, sich selbst sein zu dürfen, und das Glück, gleichzeitig darin geliebt und nicht nur toleriert zu sein, ist vielleicht das grösste Geschenk, das Gemeinschaft zu bieten hat, auch im Unterschied zur Pseudogemeinschaft, wie sie in der heutigen rein funktionalen Gesellschaftsordnung angeboten wird.
S. 99

Freiheit und Leidenschaft, ein Aufbruch ins Unbekannte.
S. 99


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Durchdrungen sein vom Du, Von der Praxis der Liebe, Protokolle einer Gemeinschaft, ein ganz persönliches und ein gemeinsames Buch, Basic Editions, 2004
[Danièle] Ohne Bindung zu leben heisst nicht, dass man sich nicht verpflichtet, sich nicht verpflichten lässt, aber man verpflichtet sich nicht der gegenseitigen Angst und Abhängigkeit und der Sicherheit, sondern der Liebe, der Freiheit, deinem Wesen und nicht deiner Neurose und der allgemeinen Konditionierung. Das Schicksal bestimmt mein Leben, nicht meine Vorstellungen! Je freier und losgelöster ich bin, umso mehr kann ich tragen und umso mehr äussere Enge und Festgelegt-Sein darf in meinem Leben sein. Freiheit ist vor allem ein innerer Zustand, der sich nicht darin äussert, dass ich ständig mache, was ich will. Vielleicht ist es die Freiheit, das machen zu können – und dies eben mit Freude –, was gerade getan sein muss, sei es Windelnwechseln, Teekochen, Putzen oder ein Therapiegespräch führen. Alles wird irgendwie gleichwertig gerade dadurch, dass ich innerlich nicht darauf limitiert bin durch Widerstand und Konflikt! Freundschaft ist diese Haltung dir gegenüber, die dich so sein lässt, wie du bist, die mit dir verbunden bleibt, auch wenn du unmöglich bist, und die sich für sich selber dieselbe Freiheit nimmt, oder nicht?!
S. 487


Aus:: Samuel Widmer Nicolet: Freiheit beinhaltet Verantwortung, Briefe an die Welt, sowie weitere Briefe an die Gemeinschaft, Basic Editions, 2007
Die Einsamkeit hat sie manchmal umschlichen, die V., wie ein hungriges Tier. Man kann keinem helfen beim Umgang mit ihr. Jeder ist damit allein. Das ist eben die Einsamkeit. Man sieht, wie ihre Vermeidung sich im Leben der anderen zur Neurose auswächst, wie sie das Tor zur Freiheit und zum definitiven Ankommen für den Betroffenen verschlossen hält. Man hat viel Mitgefühl, aber man kann nichts tun. Wer frei sein will, muss da durch; er muss sie nehmen. Da gibt es einfach nichts. Wer sich darum betrügt, damit spielt, ihr entflieht, bleibt ihr Gefangener. Er sitzt in seinem Gefängnis und träumt von der Freiheit, spielt allenfalls Freiheit oder rebelliert ein bisschen und hält dies für Freiheit. Aber die Freiheit ist etwas ganz anderes. Sie meidet ihn, so wie er die Einsamkeit meidet. Solange er die Einsamkeit meidet. Es gibt kein anderes Tor zu ihr.
S. 66

Was beinhaltet eigentlich sexuelle Befreiung? Wir reden so viel davon, beschäftigen uns so viel damit. Aber was bedeutet es eigentlich, sexuell befreit zu sein?
Sicher gehört dazu ein unneurotischer Umgang mit der Sexualität, die wiedergewonnene Fähigkeit, darin hemmungslos zu sein, sich hemmungslos verschenken, aber auch hemmungslos den Partner nehmen zu können, keine Grenzen und Tabus darin zu kennen. Alles hat Platz. Dazu gehört auch, sich ungehindert dem Objekt des Verlangens nähern zu können, sich darin direkt und unmittelbar zeigen zu können, ohne durch irgendeine Angst vor Abweisung darin gebremst zu sein.
Darüber hinaus gehört aber zur Freiheit im Bereich des Sexuellen, sich in seinem Leben so einrichten zu können, dass die eigenen Bedürfnisse vollumfänglich gestillt sind. Sich nehmen zu können, was man braucht, andere dafür gewinnen zu können, dass man von ihnen kriegt, was man braucht. Darin, dass man seine Bedürfnisse kennt und zu stillen weiss, drückt sich die Freiheit des Kriegers aus.
Natürlich darf man auch die Freiheit, verzichten zu können, nicht vergessen, die Freiheit, alles, was Konflikt bringt, lassen zu können und nur mit dem zu gehen, was in der Liebe blühen will.
Vor allem aber zeigt sich die Freiheit eines Menschen überhaupt und im Speziellen eben im Bereich des Sexuellen darin, dass allfällige Einsamkeit nicht länger etwas ist, was einen davon abhalten könnte, seinen Weg zu gehen. Natürlich kalkuliert ein Krieger die Risiken, wägt ab und entscheidet sich nicht für etwas, was ihn bestimmt den Kopf kosten wird. Er schreckt aber auch nicht davor zurück, wenn ihn das, was er will, mit Gefühlen konfrontiert. Er ist bereit geworden, diesen Preis, den die Freiheit nun einmal kostet, zu bezahlen. Weder die Möglichkeiten von Verrat, von Unverständnis, von Ausgrenzung und Ausgeschlossensein, noch das Risiko, ganz allein zu stehen mit seiner Sicht und Wirklichkeit, können ihn davon abbringen zu tun, was er tun will und tun muss, wenn er sich dafür entschieden hat. Selten ist jemand wirklich bereit, diesen vollen Preis für die Freiheit zu bezahlen. In einem Gemeinschaftsfeld, das sich um diese Dinge kümmert, wie dem unseren, findet man viele, die gerne ein bisschen auf der Freiheit, die das Feld bietet, die ihnen aber nicht gehört und die sie verlieren, sollte das Feld verschwinden, reiten. Aber den Geschmack wirklicher Freiheit lernen sie dabei nicht kennen, weder im Bereich der Sexualität, noch überhaupt. Von den besten Geschenken der Freiheit, die sich als Belohnung erst einstellen, wenn der Preis, den Freiheit kostet, beglichen ist, haben sie keine Ahnung.
Menschen, die nicht frei sind, sind gefährlich. Unberechenbar und gefährlich. Sie stehen immer unter einem Einfluss, dem sie folgen. Kommen sie unter einen anderen Einfluss, können sie die Dinge plötzlich völlig anders sehen und entsprechend ausagieren. Das macht sie gefährlich. Für einen freien Menschen sind sie immer ein Risikofaktor, den er einberechnet oder noch besser häufig meidet. Und wiederum, auch in diesen Dingen ist es die Einsamkeit, immer ist es sie, diese ganz besondere Freundin, die zu begrüssen, zu würdigen, zu lieben ist, wenn sie das Tor zur Freiheit, das sie bewacht, für einen aufstossen soll. So erschreckend sie uns zuerst auch erscheinen mag, sobald wir sie genommen haben und befreit durch das freigegebene Tor gestolpert sind: Wenn wir zurückblicken, ist es, als hätte es sie nie gegeben.
Die besonderen Geschenke, welche die Freiheit uns bringt, auch im Sexuellen, haben viel damit zu tun, dass Angst und Einsamkeit aus uns verschwunden sind. Sie erscheinen uns besonders, weil wir sie nicht länger durch diese Brille verkennen. Sie haben natürlich zu tun mit der Aufhebung des Inzesttabus in uns und in unseren Beziehungen. Sie hängen damit zusammen, dass in uns und in all unserem Tun der Tod, das mögliche Ende von etwas oder von allem Platz gefunden hat. Das ermöglicht anderen – oft sogar, ohne dass sie selbst Freiheit erlangt haben – sich uns immer wieder zu schenken, als wäre es das letzte oder das einzige Mal. Ein Glück, das man in Beziehungen, die auf Gewohnheit, Sicherheit und Kontrolle beruhen, ständig sucht, allenfalls zu kopieren versucht und trotzdem niemals finden wird.
Na ja!
S. 146

Die Menschen versuchen seit jeher, in ihrer Angst vor dem unkontrollierten Lebendigen eine soziale Ordnung durch Unterdrückung, Reglementierung, durch Gesetze, Zwang, Verbote und Tabus hervorzubringen. Es wird niemals gelingen. Unser Leben, das weltweit im Chaos zu versinken droht, beweist es uns täglich. Freiheit wird schliesslich das Paradies bewirken, für das wir schon immer gedacht sind, Freiheit, die zusammengeht mit Achtsamkeit und Verantwortung.
Ist es nicht eigenartig, dass man in Verruf gerät, wenn man den Leuten Freiheit bringen will? Dass man auf Widerstand stösst, bekämpft und angefeindet wird, wenn man ihnen helfen will, sich aus den Käfigen und Gefängnissen zu befreien, die ihre Gedanken und Vorstellungen, die sie einander überstülpen, geschaffen haben? Ist es nicht sonderbar, dass die meisten sich lieber gegenseitig kontrollieren, sich lieber ins Leben ihrer Mitmenschen einmischen, statt ihr eigenes Leben zu entfalten und zu zelebrieren? Dass sie es vorziehen, einander zu verbieten, was gut tut, sexuelles Glück zum Beispiel oder bewusstseinserweiternde Götterspeisen, statt zusammen die Geschenke des Lebens zu geniessen? Statt zu erwachen und heranzureifen für ein verantwortetes, bewusstes Leben?
Alle leiden darunter, dass sie nicht tun dürfen, was sie wollen, speziell in der Sexualität, dass sie nicht leben dürfen, wie es ihnen beliebt, dass sie nicht sich selbst sein dürfen; aber denjenigen, der ihnen die Möglichkeit der Freiheit aufzeigt, greifen sie an.
Die Spiritualität beginnt im Becken. Ohne dass sie als Energie vollkommen befreit ist in und zwischen uns, werden wir uns nie zu friedliebenden und reifen Menschen, nie zu ganzen, gesunden und unbehinderten Menschen entwickeln können.
Deshalb bin ich ja auch mit einer Gruppe von mir anvertrauten Personen hierher nach Brasilien gefahren, weil man sich hier mit Hilfe eines Urwald-Zaubertrankes von allen Zwängen befreien und für das Grosse, Universelle öffnen darf. Denn bei uns zu Hause ist dies trotz aller angeblichen Religionsfreiheit verboten. Und für viele Menschen scheint es immer noch unvorstellbar, dass Gott so etwas Unanständiges wie die Sexualität erfunden haben soll.
Die Unterdrückung dieser Kraft in uns, wie sie trotz aller sexuellen Revolution und Befreiung immer noch weltweit geschieht, führt zu ihrer Entartung, ihrer Entheiligung; ihre Befreiung bewirkt das Erblühen des Herzens, des Geistes und des Gemeinsamen in und zwischen uns Menschen.
Die Lebenskraft in uns will frei sein. Sie muss frei sein, sonst pervertiert sie in uns. Wir können sie nicht abtöten, sonst würden wir uns selbst umbringen. Wir können sie nur einsperren, aber daran wird sie krank, werden wir krank. Und wenn sie bereits in unserem Becken blockiert wird, kann sie niemals aufsteigen in unsere Herzen, nicht explodieren in fröhliche Gemeinschaft und Lebensfreude hinein und das Paradies schaffen, auf das wir alle warten. Und das Heilige, das ganz Grosse, die Dimension des Spirituellen bezüglich unserer Existenz bleibt uns verschlossen. Das Ganze des Lebens ist heilig! Das Göttliche ist bereits in seinem ursprünglichsten Ursprung das Wunderbare!
Eine befreite Sexualität ist eine verantwortete Sexualität. Sie ist nicht entgleist, nicht verantwor-tungslos. Sie ist sich ihrer Schöpferkraft bewusst. Sie öffnet sich zur Liebe hin. Sie ergiesst sich ganz selbstverständlich in ein Sorgen füreinander.
S. 270


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Durchdrungen sein vom Du, Von der Praxis der Liebe, Protokolle einer Gemeinschaft, ein ganz persönliches und ein gemeinsames Buch, Basic Editions, 2004
Du möchtest,
dass es zwischen uns wäre,
als würdest du mich lieben,
du wünschst dir diesen Duft,
der da ist,
wenn man sich liebt,
den Duft des Freiseins
Aber das,
was zu tun ist dafür,
nämlich mich zu lieben,
vorbehaltlos,
einfach so, wie ich bin,
mich in meiner Freiheit,
davor scheust du eigenartigerweise zurück,
das verweigerst du
S. 380


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Letters to the World/ Briefe an die Welt, Briefe, Basic Editions, 2009

Brief an die Unterdrückten
Weisst du, das ist mein eigentliches Anliegen, das, was ich dir aufzeigen möchte, wenn ich zu dir rede: Es liegt mir so viel daran, dich frei zu sehen, völlig frei!
Die erste Voraussetzung, um Freiheit zu erlangen ist einzusehen, einzugestehen, dass man sich in einem Gefängnis befindet, zu erkennen, dass das Ich, mit dem wir uns identifiziert haben, nicht unserem innersten Wesen entspricht, dass es ein Konstrukt ist, das wir nicht einmal selbst erschaffen haben und das eine Enge in uns und in der Welt bewirkt, an der wir alle leiden.
Freiheit kommt aber nicht daraus, dass ich die Bindung, die aus den Ränken des Ego erwachsen ist, einfach abschüttle. Das wäre lediglich eine Reaktion, die auch wieder Probleme schafft. Das ist das, was wir alle immer wieder versuchen. Was es wirklich braucht, ist vielmehr ein genaues Hin-schauen, ein genaues Verstehen dieser inneren Abläufe, Einstellungen, Muster. Daraus erwachsen schliesslich ein Mitgefühl und eine Liebe für alles, vor allem auch für das Unterdrückte und Benachteiligte, und eine Bereitschaft, dies alles zu tragen. Nicht länger nach persönlicher Befreiung zu streben, die sich abkoppeln will vom Leid der anderen, sondern eine Bereitschaft zu entwickeln, mit allen anderen die menschliche Problematik durchzustehen, nicht zu ruhen, bevor alle Menschen Freiheit gefunden haben. Und dies aus der Einsicht heraus, dass wir in der Tiefe Eines sind, dass dein Unglück für immer mein Glück trüben wird, wenn ich mich nicht darum kümmere, dass dein Glück auch mein Glück ist, mein Unglück auch dein Unglück.
Freiheit liegt gerade darin, dass man sich auf die Seite der Unterdrückten und Benachteiligten schlägt. Die Liebe ist in der Welt das, was sich nicht durchsetzen kann, das, was unerwünscht, nicht willkommen ist. Wenn du die Liebe sein willst – und das bist du, wenn du dein tiefstes Wesen auf dem Weg der Selbsterkenntnis schliesslich findest –, dann bist du zuerst das, was von allen getreten wird, das, was niemand sein will, das, was im Stich gelassen wird.
Genau daraus kommt Freiheit. Es ist ein Paradox. Dass du willig wirst, alles Leid auf dich zu nehmen, macht dich frei. Denn die Summe allen Schmerzes ist das Ganze, ist die Liebe. Und nur die Liebe ist frei. Nur die Liebe ist ungebunden und kann letztlich tun und lassen, was sie will, ohne dass etwas anderes als das Gute und das Wahre daraus kommen. Freiheit ist die Freiheit zu lieben. Es gibt keine andere Freiheit jenseits davon.
S. 210


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Im Irrgarten der Lust - Abschied von der Abhängigkeit/ Die Geburt der Freude: Eine Liebesgeschichte, Sachbuch Psychologie, Basic Editions, 2. Auflage 1997
Aus allem machen wir eine Gewohnheit, einen Tramp, eine Tradition und schon ist die Lebendigkeit weg, die Unmittelbarkeit des Seins verloren, die Angst gebannt. Gewohnheit dient dem Verdrängen der Angst vor dem Unausweichlichen, vor dem Tod, der jedem Moment innewohnt, vor dem Abschied von Augenblick zu Augenblick vom Bekannten, vor dem Nicht-wissen-Können des Lebendigen, vor der Freiheit. Nicht der Freiheit tun zu können, was man will, sondern der Freiheit, den inneren und äusseren Prozess beobachten zu können, in Musse betrachten zu können, nicht gefangen zu sein in einem Problem, einem Vergnügen, einer Sucht. Warum will ich nicht unausweichlich mit dem sein, was ist in mir und was um mich ist? Wenn ich mich dazu entschliesse, habe ich Musse, nichts mehr zu tun, weil jedes Streben aufhört. Warum will ich das nicht? Es steht mir nichts im Weg, ausser dass ich nicht will. Ich will das Unangenehme nicht, ich will das Angenehme, das Bessere. Ich will mich nicht unterwerfen, nicht gehorchen, nicht fugen dem, was ist. Ich will frei sein, im Sinne tun und lassen zu können, was ich will. Es besteht ein Autoritätsproblem mit meinem tieferen Sein, ein Kampf des Egos mit dem Sein überhaupt. Ich will auch die Angst und die Unsicherheit des Lebendigen nicht haben. Ich unterwerfe mich lieber dem gesellschaftlichen Zwang, dass es mir immer oberflächlich gut gehen muss.
Was kann ich also tun, wenn ich nicht will? Wenn ich vielleicht nicht einmal sehen will, dass ich nicht will? Dass ich lieber in der Tradition, in der Gewohnheit hängen bleibe, als mich meiner Wahrheit zu stellen und trotzdem das authentische Gefühl möchte, das sich daraus ergäbe? Denn wenn ich mich der Unausweichlichkeit des Seins stelle, löst sich alles auf, der Boden von allem fällt schliesslich raus, und es bleiben nur Weite, Raum, Fluss, Freiheit. Nicht unbedingt die Freiheit, tun und lassen zu können, was ich will, aber die Freiheit, sein zu können, was ich bin. Was kann ich also tun, wenn ich nicht will? Nichts kann ich tun! Nichts! Wenn ich in dieser Tatsache lange genug geschmort habe, immer wieder geschmort habe, entscheide ich mich vielleicht eines Tages zu wollen. Denn darin bin ich frei.
S. 78

Freiheit auf der materiellen Ebene beinhaltet: Alles miteinander teilen zu können, und jederzeit bereit zu sein, auch einmal der Ausgeschlossene zu sein.
S. 247

Eine Grenze die unüberwindlich scheint, bildet immer wieder die Sexualität, unsere Unfähigkeit, Beziehungen miteinander teilen zu können. Das ist einer der Hauptgrunde, warum die Sexualität so überdimensioniert wichtig ist in unserer Welt. Das müssen wir zuerst lernen: Bereit werden, den andern zu geben, zu lassen, was man im tiefsten Grunde seines Herzens gerne von ihnen hatte: Freiheit. Freiheit, seine Liebe, seine sexuellen Anziehungen sich entfalten lassen zu dürfen, wie immer sie wollen. Zuerst kommt das Geben und dann das Bekommen.
Man bekommt immer nur, was man zuerst zu geben bereit ist: Das ist ein Gesetz.
S. 250


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Der Gesang des Begnadeten/ von der unendlichen Liebe (The Song of the Blessed One/ about love infinite), Samuel-Shri-Prem-Avinash-Gita, Meditationen, Basic Editions, 2017

Was ist Wahrnehmung?
Bin ich in der Tiefe
dieser endlos weite, stille Raum,
diese Leere, diese Ausdehnung,
welche Wahrnehmung ist?
Ich bin diese Freiheit, die alles umfasst.
Die Identifikation des Sehers
mit dem Gesehenen
schafft die Bindung,
die mir alle Freiheit nimmt.
Dinge, Erscheinungen, Objekte
kommen und gehen.
Nicht so der stille Zeuge.
Er kann nicht gesehen werden,
nicht lokalisiert werden,
er erscheint nicht im Raum,
S. 66

Die Essenz einer freien Energie
ist Freiheit von Gedanke und Gefühl.
S. 164

Aus: Samuel Widmer Nicolet: … der Tod hingegen ist ein Morgen/ Sterben - Tagebuchnotizen von Samuel Widmer Nicolet, Autobiographisch, Basic Editions, 2015
"Und was ich lernte?", fragst du.
Nun, ich lerne immer noch, dass in einem Körper oder gar in einem Felsen eingeschlossen zu sein, gar nicht schrecklich sein muss, sondern dass es auch seine Schönheit hat. Seine Aufgabe zu erfüllen, wie immer diese aussieht, seine Liebe dafür zu geben, ist immer ein Glück. Und im Ganzen erwacht, findet sich zudem immer die Freiheit, als befreite Energie in der Struktur von Körper oder Stein zu existieren, ohne dass das Licht, das man ist, dadurch gebunden wird. Es bleibt frei beweglich. Hiersein und Dortsein werden damit ebenbürtig. Das Jenseitige und das Diesseitige treffen sich. Die geistige Welt der Energiekörper ist eins mit der Welt der materiellen Schöpfung, die sich aus ihr erhebt. Ich stehe im Dienst des grossartigen Unternehmens, diese Einheit in allem und allen bewusst machen zu helfen, die materielle Welt zu vergeistigen. An der vordersten Front des Bewusstseins einsatzfähig zu sein, das lerne ich.
S. 32

Dass man im Verlaufe seines Lebens ein Feld, ein Gemeinschaftsfeld, geschaffen hat, in dem alles Experimentieren und Forschen zum Beispiel bezüglich Sexualität und Beziehung erlaubt ist, muss man sich unter dem Gesichtspunkt, dass allen die Liebe zu heiss ist, fast als Fehler anrechnen. Denn, da ihnen die Liebe zu heiss ist, können die Menschen nicht wirklich mit Freiheit umgehen. Sie produzieren lauter Unstimmigkeiten und massenhaft Chaos. Vor diesem Hintergrund leuchtet es plötzlich ein, dass Gesellschaft und Moral entstanden sind, die alles kontrollieren und verbieten wollen. Man sieht ein, dass es die Verbote und Gebote tatsächlich braucht.
Freiheit ist nur denkbar, wenn alle lieben, wenn niemandem die Liebe zu heiss ist, sie im Gegenteil eine Selbstverständlichkeit wird und alle folglich das Stimmige tun.
S. 130


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Aus der Stille / Out of Stillness - Short Cuts to Enlightenment (zweisprachig: englisch/ deutsch), Meditationen, Basic Editions, 1996

Brich mit allen Gewohnheiten,
Brich mit allen Mustern,
Brich mit der Vergangenheit!
Schau dir deine persönliche Geschichte genau an,
Und dann – vergiss sie komplett!
Brich mit jeglicher Konditionierung!
Sei frei!
S. 7

Bleib immer allein!
Alleinsein ist die Grundlage für wirkliche Beziehung
und Gemeinschaft und dann auch wieder die Blüte
der Gemeinschaft. Nur wenn du in allem Bezogensein
ganz allein sein kannst, ist Beziehung da, die keine
Bindung ist. Deshalb bleib immer allein, überall, unter
allen Umständen! Bleib innen allein, frei!
S. 84


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Ins Herz der Dinge lauschen, Vom Erwachen der Liebe, Über MDMA und LSD, Die unerwünschte Psychotherapie, Sachbuch Psychologie, Nachschatten-Verlag, 7. Auflage 2013
Freiheit entsteht aus dem Annehmen der Verbote, die wir in uns tragen, indem ich emotionslos erkenne, von wem Gebote und Verbote aufgestellt werden, wer Erwartungen an mich hat und gehabt hat, mit welchen Ultimaten und Konsequenzen gedroht und durchgesetzt wurde und wird. Wenn ich mich auflehne, unterordne oder Angst habe,
S. 215

Was nicht in Freiheit beginnt, wird auch nicht in Freiheit enden. Wenn das Ziel Freiheit ist, müssen auch die Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, Freiheit enthalten. Zwang wird keine Freiheit schaffen, nie!
S. 254


Aus: Samuel Widmer Nicolet: … jedes Lidschlags dir gewahr/ Tantra - Ein Lehrbuch - von der Liebe Lebenskunst, Basic Editions, 2016
nicht zu vergessen beim Wunder, das wir hier besingen und das uns möglich wäre, zu erleben, ist, dass es vorläufig und vielleicht für immer eine ungenutzte Möglichkeit bleibt und bleiben wird, eine Vision, deren Verwirklichung wir Menschen vielleicht für immer verhindern werden – denn diese Freiheit haben wir, nicht zuzulassen, dass Liebe und Schönheit sich entfalten dürfen, daran festzuhalten, alles zu zerstören und kaputt gehen zu lassen – tantrische Ekstase wäre uns nicht möglich, wenn uns nicht diesbezüglich auch völlige Freiheit geschenkt wäre – aber wie wir diese Freiheit nutzen, ob zum Guten oder zum Schlechten beziehungsweise vielleicht eher zum Weisen oder zum Dummen, wie es Bhagwan seinerzeit ausgedrückt hat, das ist eben unsere Freiheit – Moral kennt gut und schlecht, der tantrische Geist hingegen, die Liebe, hält sich an gescheit und dumm oder allenfalls an wahr und unwahr (5)
S. 165

wieso sollte es nicht geschehen, wieso sollte es die Liebe nicht schliesslich doch noch vollbringen, das Bollwerk des Hasses und der Abwehr, welches die Ich-Sucht aufgebaut hat, zu durchbrechen, Schmerz und Einsamkeit darunter wieder zu befreien und zu bewältigen und so den Weg für den freien Fluss der Liebe und der Ekstase in den Menschen wieder offenzulegen? allerdings wird dies nur geschehen können, wenn die Menschen ihr Herz wieder öffnen werden für die Liebe – darin liegt unsere Freiheit, dies zu verweigern oder anzunehmen – darin liegt auch die Lösung, auf die der Tantriker ununterbrochen hinweist – sie kommt von selbst zu uns, als Wunder, wie wir schon gesehen haben, sobald wir uns daran hinzugeben bereit werden
S. 169

frei zu sein dafür, dass mich noch andere besitzen dürfen als du, als mein Partner, frei zu sein, dass ich noch andere besitzen darf als dich, meine Partnerin, ist keine wesentliche Freiheit – noch nicht die Freiheit, welche die Liebe meint – und es wird auch nicht viel besser bezüglich des allgemeinen
Fixiertseins auf Beziehung, wenn es dabei nicht um Besitz, sondern wirklich um die Freiheit geht, sich in einem Feld von Beziehungen zu bewegen, in einem Feld zu lieben, wie es sich im magischen Sommer als Bedürfnis in unserer tantrischen Gemeinschaft definitiv auszubreiten begann
die wirkliche Befreiung von allem Besitzanspruch sehe ich darin, überhaupt nicht auf Beziehung fixiert sein zu müssen – auch allein sein zu dürfen, sich für etwas anderes als Beziehung zu interessieren, eine unabhängige Energie zu sein, die sich nicht nur im Feld von Beziehung, sondern im Feld von Energie überhaupt bewegt – das wäre für mich wirkliche Freiheit von Besitzen und Besessenwerden – wirkliche tantrische Freiheit – die Freiheit, in Beziehung allein zu sein, in der Liebe allein sein, sich selbst sein zu dürfen
S. 295

1) Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Erneuerung von uns selbst und unserer Welt, Briefe an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis, Basic Editions, 2018, S. 75
2) Aus: Samuel Widmer Nicolet: Liebe - Bilder, Gedichte und kleine Meditationen, Basic Editions, 2014, S. 93
3) Newsletter Dezember 2020 – Konkurrenz (https://samuel-widmer.org/de/newsletter_6_2020)
4) Danièle Nicolet Widmer – Online-Meditation über Heimat und Zusammensein (https://youtu.be/j06GpcXIxuU) am 26.3.2021
5) Das Buch „… jedes Lidschlags dir gewahr/ Tantra“ ist absichtlich ohne Punkte geschrieben, sozusagen in einem Fluss, das Fliessen, die Harmonie des tantrischen Geistes symbolisierend.