Newsletter 2/2024 - Neid
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April 2024
Z
u träumen wäre wohl ein Segen,
Zu schwelgen in Unendlichkeit.
Stattdessen stehe ich im Regen
Der nackten, kalten Wirklichkeit.
Was haben wir wohin getrieben,
Dass alle nicht mehr glücklich sind?
Was lässt uns nicht im Grossen fliegen,
Was tötet unser innres Kind?
Noch immer wollen sie nicht sterben,
Die Bastionen allen Leids.
Der Eigennutz bringt das Verderben,
Geboren aus dem Topf des Neids. (1)
Ein Krieger kann einen kleinen Tyrannen,
einzig bewaffnet mit der Erkenntnis,
dass dieser sich todernst nimmt, besiegen.
Don Juan Matus
Liebe Leser
Habt ihr auch einen kleinen Tyrannen in eurem Leben, oder sogar mehrere? Ich habe ein paar davon, die mich seit längerem begleiten und die ab und zu, wie gerade in diesen Zeiten, besonders «aktiv» werden.
Kleine Tyrannen sind Menschen, die ihre Macht, wenn sie welche haben, aber auch ihre abwehrenden Gefühle wie Neid, Eifersucht, Konkurrenz, Geiz, Gier, Unzufriedenheit, Frust, Zukurzgekommensein, Minderwertigkeit, die wiederum vor den tieferen Gefühlen des Ausgeschlossenseins oder der Einsamkeit stehen, an anderen Leuten ausagieren müssen. Man wird zu ihrer Projektionsfläche, zu einer Art Punchingball zur Entladung ihrer Gefühle.
Ich kann aber durchaus sehen, dass ich auch hier die Gelegenheit bekomme, mich in Reaktionslosigkeit, Gelassenheit, Ohnmacht, vielleicht auch Verständnis usw. zu üben.
Einzig ungerecht finde ich, dass man (zu?) oft Rücksicht auf die Gefühle oder auf die Forderungen der kleinen Tyrannen nimmt, oder nehmen muss, um nicht noch mehr strapaziert zu werden. Neben der Frage, wann und ob man nachgeben soll und wann nicht, war ich in den letzten Wochen mit dieser Ungerechtigkeit unterwegs. Danièle sagte zu mir: «Vielleicht ist es ungerecht, aber du hast doch das bessere Leben, oder nicht?». Ja, das ist auch eine Wahrheit…
Auf jeden Fall, mein Seit-Immer-Lieblings-Thema Ungerechtigkeit zur Seite gelegt wegen Mangel an Texten in Samuels Büchern, habe ich für diesen Newsletter von allen oben erwähnten nicht-genommenen Gefühlen den Neid gewählt.
Einen schönen Frühling! Vielleicht hilft die Energie der Frühlingssonne, stiller zu werden.
Romina Mossi
mit Danièle Nicolet Widmer und Marianne Principi
Bevorstehende Termine des Hofs zur Kirschblüte
Die Praxis Hof zur Kirschblüte informiert Interessierte ein paar Mal jährlich per E-Mail über ihr Seminarangebot.
Ihr könnt euch hier eintragen:
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Die Programmübersicht mit den Angeboten für 2024 findet ihr jeweils hier:
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- Am 4. April treffen wir uns zum zweiten Mal online für die Meditation zum Thema "Spirituell-Magisches Träumen (auch als Vorbereitung für die 3-jährige Ausbildung im "Spirituell-Magischen Träumen" (ab Herbst 2025) geeignet).
- Im April findet nach längerer Zeit wieder ein Seminar zum Thema Zärtlichkeit statt, ein innig-zärtliches Erforschen von sich selbst und vom Zusammensein, begleitet von ganz besonderen Heilritualen.
- Im Mai treffen sich die Krieger und Kriegerinnen zum vierten Mal im Seminar "Der Kriegertrupp (über das erwachte Herz, das Gehirn als Sinnesorgan, Meditation und das Spirituelle Träumen)".
- Ebenfalls im Mai findet das erste Wochenende der neuen Tantra-Reihe zu Thema "Erfüllung und Verzicht" statt.
- Das letzte Angebot im Mai ist die Seminarreihe "Das Allerinnerste – Vom Duft des Ankommens"
zum Thems "Mitgefühl".
- In Kolumbien werden wir wieder im Oktober 2024 sein, in Indien wieder im Dezember 2024, in der Wüste im Frühling (5.-19.4.) 2025.
Ab sofort bietet die Praxis Hof zur Kirschblüte für Menschen mit einem Euro-Einkommen eine
Preisermässigung bis zu 20% nach eigenem Ermessen für die Seminare in der Schweiz an.
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Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis.
Die Newsletter findet ihr auch auf der Website der Praxis Hof zur Kirschblute (
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Aus: Samuel Widmer Nicolet: Von der unerlösten Liebe zwischen Va-ter und Tochter, Vom Inzesttabu und seinen Folgen, 1995, 3. Auflage Basic Editions 2018
Wir vergleichen uns mit andern, die besser sind. Unser Denken macht das häufig, ist ständig damit beschäftigt. Dahinter steht Neid. Den müssen wir zuerst fühlen, bevor wir ihn auflösen können. Das Vergleichen ist das Agieren aus diesem Gefühl. Solange wir mit dem Agieren identifiziert sind und den Motor dahinter nicht annehmen, werden wir ihn nicht abstellen können.
Das Wahrnehmen des Gefühls beendet das Vergleichen, das Agieren aus dem Gefühl heraus. Dann sind wir bei uns. Wie bei allen schwierigen Gefühlen geht es also darum, ste-hen bleiben zu lernen vor dem Gefühl ohne innere Regung, ohne Reaktion. Dann wird das Gefühl zu einem Tor, durch das wir hindurchschreiten in eine andere Dimension.
Warum sind wir neidisch? Weil wir von klein auf darauf getrimmt werden, uns zu vergleichen, nach Erfolg zu streben, Macht und Ruhm anzubeten, weil wir ehrgeiziges Streben verherrlichen lernen und so weiter. Neid, Ehrgeiz, etwas erreichen müssen, all das hängt zusammen. Dass wir darauf getrimmt werden, erklärt vielleicht, warum wir neidisch sind. Aber warum ist diese Haltung überhaupt da in der Gesellschaft? Wie ist es dazu gekommen, dass sie so allgegenwärtig ist in unserer Welt?
Neidisch sind wir, wenn ein anderer etwas hat, das wir nicht haben. Er ist zum Beispiel schöner, kräftiger oder intelligenter. Er hat irgendeine Begabung, die wir auch haben möch-ten. Neidisch sind wir also, weil wir selbst nichts haben und uns minderwertig fühlen. Und nichts haben wir, weil wir mit uns selbst nicht im Kontakt sind. Auch da spielt natürlich die gesellschaftliche Prägung, dass gewisse Gaben besser sind als andere, wieder eine Rolle. Sind wir aber bei uns, und das beginnt mit dem Fühlen des Neides, werden wir entdecken, was unsere Fähigkeiten, unsere Qualitäten sind. Dann mag es wohl sein, dass ein anderer schöner ist, aber ich selbst habe bestimmt etwas anderes. Wenn wir neidisch sind, können wir dem andern seine Fähigkeit nicht gönnen, wir können ihn damit nicht wertschätzen und uns selbst auch nicht mit unserer Gabe. So verachten wir beides und nähren uns nicht damit.
Vielleicht meinen wir, dass wir gar nichts haben, keine Qualität, keine besondere Gabe. Möglicherweise haben wir dann eine ganz einzigartige, welche wir gering achten. Unser scheinbarer Mangel wird uns nämlich dann auf unsere Nichtigkeit stossen. Wenn wir den Mut haben, nichts zu sein, was wir tatsächlich alle sind, werden wir im Zentrum dieser Nichtigkeit aufs Alleinsein, auf einen Quell der Aufmerksamkeit stossen, der Liebe ist. Und wenn wir Liebe sind, haben wir die höchste Gabe, jene, welche alle Gaben und Fähigkeiten der andern wertzuschätzen und zu nutzen weiss. Auch beim Neid geht es also wie bei allen Gefühlen darum, ihn in sich selbst zu beobachten mit allen Auswirkungen, die er hat in unserer Gegenwart und Vergangenheit. Ihm nicht auszuweichen, nicht auf die Tatsache des Neides zu reagieren, sondern einfach davor stehen zu bleiben und langsam tiefer einzudringen. Wenn wir auf diese Weise alles Vergleichen einstellen, werden wir auf uns selbst zurückgeworfen, auf das, was wir tatsächlich sind, mit der Tatsache unserer Minderwertigkeitsgefühle und unserer tatsächlichen Nichtigkeit konfron-tiert. Wir werden feststellen, dass wir keinen Kontakt haben zu unseren Qualitäten und Fähigkeiten. Diese Wahrnehmung öffnet dann das Tor dazu, so dass wir nun ausloten und auch wieder ohne jede Illusion einfach hinschauen lernen können, wer wir eigentlich sind.
Dabei werden wir auch feststellen, dass wir gar nicht jemand anderes sein möchten. Hinter allen Fähigkeiten, seien sie mager oder gross, werden wir der tatsächlichen Nichtigkeit in uns allen begegnen. Wir werden bald sterben, und da bleibt nichts von all dem, was wir sind. Wenn wir diesem Nichts nicht ausweichen, entdecken wir vielleicht im Zentrum dieses Nichtseins den Quell der Aufmerksamkeit, welcher Liebe ist.
S. 205
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Aus dem innersten Herzen gemeinsamen Seins, Von den Basics bezüglich Gemeinschaftsbildung/ Weitere Briefe an die Gemeinschaft, Basic Editions, 2007
Kann das Leben, welches einem anderen geschenkt ist, grundsätzlich das bessere (oder das schlechtere) sein, als das, was mir gegeben ist? Oder meint mein Neid nicht eher des anderen Umgang mit seinem Leben, sein Akzeptieren dessen, was in seinem Leben gegeben ist, seine Dankbarkeit darüber, seine Freude daran, sein Blühen darin – wozu ich nicht fähig bin – und gar nicht die Fakten davon?
Wäre ich nicht in jedem Leben neidisch, einfach weil ich so bin? Weil ich nicht mit Unabänderlichem sein will, weil ich nicht konfliktfrei leben kann, weil mir nicht das Allerwichtigste ist, alles, alles in mir und um mich herum zum Blühen zu bringen, was oft eine recht grosse Herausforderung ist? Und vor allem und immer wieder zuerst, weil ich nicht bereit bin, die Gefühle, mit denen mich mein Leben konfrontiert, ganz zu nehmen und auszutragen?
Ein gutes Leben ist nicht unbedingt ein einfaches Leben, sondern eines, das mit Einverständnis, Geduld, Demut und Dankbarkeit genommen und gelebt wird, oder nicht? Mein Leben ist ein gutes, wenn ich es ganz zu meinem mache, so sehr, dass weder Zeit noch Lust noch Sehnsucht bleiben, es mit einem anderen zu vergleichen oder zu messen; so sehr, dass ich es einfach liebe und immer wieder glücklich bin über die Chance, die darin liegt...
S. 38
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Wahrheit, Sachbuch Philosophie, Basic Editions, 2010
Liebe ist nicht Vergnügen, nicht Neid, nicht Eifersucht, nicht Trennung, nicht Besitzen, nicht Bindung. Mit dem allem aufzuhören, würde doch dazugehören, gut zu sein. Keine Barrieren zwischen uns allen, errichtet durch Ländergrenzen, durch unterschiedliche religiöse Glaubensvorstellungen, durch Wissen und Besitz! Wir alle versuchen unaufhörlich, unsere Grenzen und unseren Besitz zu sichern, weil wir ohne das, was wir besitzen, einsam und verloren wären. Auch wenn wir vielleicht alle gelegentlich Anflüge von Grosszügigkeit haben, davon, etwas ohne Motiv zu tun, sind diese doch selten. Beziehung heisst, vollständig aufeinander einzugehen, verbunden zu sein, den anderen angemessen zu behandeln.
Können wir uns überhaupt vorstellen, ohne Konflikt zu leben, ohne uns miteinander zu messen und zu vergleichen, ohne Neid und Konkurrenz? Was wäre dies für ein Zustand, in dem es kein Ausnutzen mehr gäbe, um innere Unzulänglichkeit zu verbergen? Liebe, das bedeutet doch, keine Trennung, kein Beherrschen voneinander, keine selbstsüchtigen Aktivitäten. All das und unsere permanente Jagd nach dem Vergnügen müssten wir doch beenden, wenn wir herausfinden wollten, was Gutsein meint. Was Liebe heisst. Die Liebe ist immer jung, immer neu, sie hat nicht Kontinuität wie das Vergnügen. Das Vergnügen ist in der Zeit zu Hause, die Liebe in der Ewigkeit, der Zeitlosigkeit.
Aber es macht wenig Sinn, die Tendenz zum Vergnügen in uns zu kontrollieren oder zu unterdrücken. Es geht beim Prozess der Selbsterkenntnis lediglich um Untersuchung, objektives, eingehendes Forschen. Das genügt. Das für sich allein bringt Wandlung und Einsicht.
S. 275
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Einsamkeit auf dem Weg, Geschichte, Träume, Gedichte, Meditationen mit Samuel Widmer, Basic Editions 1995
Genauso wie Hass im Dienste der Konformität für unendliche Unterdrückung und unendliches Leid zuständig zeichnet, ist auch Eifersucht im Schlepptau des Besitzdenkens eine riesige Plage, welche die Liebe zu fesseln versucht. Unbewusst oder bewusst ausagiert bilden die unterdrückenden (abwehrenden) Gefühle zusammen das Böse in der Welt. Im Prozess der Selbsterkenntnis verstanden und neu ausgerichtet, wird ihre Energie zur Waffe gegen dieses Böse und für die Liebe. Hass und Eifersucht als Aspekte der Angst versuchen Zugehörigkeit zu erzwingen, weil sie das Alleinstehen der Einsamkeit nicht ertragen können. Im Prozess der Selbsterkenntnis lernen wir, frei von Angst Aussenseiter zu sein. Mit Hilfe der Energie, die in diesen schwierigen Gefühlen steckt und die wir nicht länger in den Dienst der Angst stellen, gelingt es uns, uns freizuschütteln und uns aus aller Abhängigkeit gegenüber aller Zugehörigkeit zu befreien. Sobald wir aufhören, eifersüchtig, hasserfüllt, neidisch zu sein, werden wir zu Aussenseitern, die nicht länger dem Erfolg nachrennen oder nach Macht und Kontrolle streben. Ein Aussenseiter zu sein, erscheint dann nicht länger als ein beängstigendes Leid, sondern wird zum erstrebten Ziel inneren Verstehens. Hass und Eifersucht fallen von uns ab, sobald wir sie mit Bewusstheit durchdringen. Die Kraft, die in ihnen steckt, wird befreit und in den Dienst der Liebe gestellt.
S. 186
Die Werte unserer Gesellschaft basieren auf IchSucht und Besitzdenken, auf Konkurrenz, Ehrgeiz, Neid und Gier. All dies sind abwehrende Gefühlshaltungen, welche die eigentlichen Gefühle wie Schmerz, Trauer und Ausgeschlossensein in uns niederhalten und aus dem Bewusstsein verdrängen. Der Durchschnittsmensch lebt aus diesen unterdrückenden Gefühlen, aus der egozentrischen Persönlichkeit, die sich auf den Gesetzmässigkeiten der zwei kindlichsten Zentren in unserem Energiesystem begründet und für die Ebene des Herzens noch nicht erwacht ist. Unsere Gesellschaft, die von diesem Durchschnittsmenschen hervorgebracht wird, ist deshalb eine egozentrische Gesellschaft, die Trennung und das abgegrenzte eigene Glück verherrlicht. Von gemeinsamem Denken und Teilen hat sie noch keine Ahnung. Es fehlt die Leidenschaft für ein geteiltes Glück.
S. 193
Das Gute unter den Menschen wird nicht zurückkommen dadurch, dass wir besser werden, wie es die Doppelzüngigkeit der Konformitätsmoral befiehlt, währenddem sie im Untergrund des Bewusstseins weiterhin zielstrebig zur Spaltung durch Ehrgeiz und Konkurrenz anstiftet. Das Erblühen des Guten wird niemals aus dem Gut und Besserwerden kommen. Gut werden zu wollen, wuchert genau aus der Gesetzmässigkeit, die Vergleichen, Messen und Bewerten hochhält, hervor. Es ist Teil dieses Systems, das für die Herrschaft des Trennenden, des Bösen verantwortlich zeichnet. Gutsein steht wie Freiheit für sich, allein, ohne Gegenteil. Es findet jetzt statt. Da, wo die Falschheit endet, wo das Böse, Neid und Konkurrenz, ein Ende haben, weil sie in unserem Erwachen für ihr Vorhandensein und ihre Herrschaft über uns abgeschüttelt sind. Allem abzusterben, was nicht das Gute ist, ist der Weg der Selbsterkenntnis. Selbsterkenntnis ist ein Sterben. Geiz, Ehrgeiz, Neid, Konkurrenz und Gier sind Ausdruck eines Egos, das nicht sterben will.
S. 194
Neid und Missgunst sind die natürliche Konsequenz in einer Gesellschaft, die sich auf Konkurrenz begründet. Unzufriedenheit, die Gier des Zukurzgekommenen und des Unersättlichen, Konflikt und Krieg müssen daraus kommen. Probleme wie der Terrorismus zum Beispiel werden sich niemals beenden lassen durch noch mehr Kontrolle und zusätzliche Unterdrückung. Die Eskalation des Mehrdavon führt zum Krieg aller gegen alle. Die berechtigte Unzufriedenheit hinter einem Phänomen wie dem Terrorismus zu sehen, den Neid, der sich aus Ungerechtigkeit erheben muss, und das Ausgeschlossensein, das Zukurzkommen darunter zu würdigen, wird für die Menschheit unumgänglich werden. Ihre diesbezügliche Uneinsichtigkeit wird den Final Showdown herbeiführen, die Unintelligenz, die im nicht SehenWollen dessen liegt, was Wirklichkeit und Wahrheit ist.
Die Freiheit, zu sehen, hinschauen zu dürfen, das Unbewusste ins Licht des Bewusstseins zu zerren, muss am Anfang stehen. Denn Intelligenz, ein intelligentes Neuhinschauen und Neubeginnen kann nur in Freiheit wirksam werden.
S. 195
Bei den abwehrenden Gefühlen haben wir im Speziellen auch Konkurrenz, Neid und Gier untersucht. Zustände, die bewusst oder meist unbewusst die Werte unserer verdorbenen IchGesellschaft bilden. Genau diese Facetten der angstvollen Abwehr sind es, mit denen wir dafür sorgen, dass Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein, die durch sie unter-drückten Gefühle, in unserem Leben nicht aufkommen sollen. Auf dem Weg der Selbster-kenntnis lassen wir dies schliesslich um der Wahrheit und Wirklichkeit willen zu, stellen uns schliesslich diesem unmöglich Erscheinenden und scheinbar in die Irre Führenden.
Im Konkurrenzkampf zu unterliegen, hinterlässt in uns dieses schier unaushaltbare Gefühl der Ohnmacht, das wir normalerweise gleich durch wütendes inneres und äusseres Ausagieren abwehren. Konflikt und Krieg haben dadurch in der Welt kein Ende.
S. 223
Neid und Gier begleiten alles Konkurrenzgerangel. Der ohnmächtige Verlierer versucht die Hilflosigkeit, die daraus kommt, sich nicht durchsetzen zu können, zu kompensieren, indem er boshaft neidisch intrigiert, um wenigstens dadurch, dass er dem Widersacher Schaden zufügt, eine gewisse Oberhand zu gewinnen. Solange er darin verstrickt bleibt, geht er mit der Angst, die im Zentrum aller abwehrenden Haltungen und Gefühlszustände steht. Er ist angstgesteuert.
Geübt in der Selbsterkenntnis sieht er jedoch schliesslich ein, dass angstvolles Denken im-mer nur weiter angstvolles Erleben gebären kann, und beginnt innezuhalten. Das Innehalten, das Stillhalten, führt ihn zum Weh, zum Schmerz, der die Essenz in allem Abgewehrten, allen abgewehrten Zuständen und Gefühlen bildet. Im Erwachen der Intelligenz, die dieses Innehalten, dieses Handeln durch Nichthandeln bringt, beginnt er zu erkennen, dass der Schmerz das Tor zum Allerinnersten, zu Erleuchtung und Erlösung von allem Weh bil-det, dass im Anerkennen des Wehs dieses seine innerste Essenz zeigen kann, die über alles Leid hinausführt. Und obwohl er sieht, dass es keine Garantie gibt, dass er dieses voll-kommene Stillstehen, das für eine solche Wandlung Voraussetzung ist, je so vollbringen kann, dass er mehr vom Glück, das jenseits davon liegt, erhaschen könnte als eine flüchtige Ahnung, beginnt er sich auf den Weg zu machen, wissend, dass er sein Lebensthema ge-funden hat, seine Berufung, sein Schicksal. Er wird bereit zu akzeptieren, dass es ihm auch reichen müsste, auf diesem Weg zumindest zum unbeirrbaren, unbeugsamen Krieger zu werden. Und wie bei allen abgewehrten Gefühlen wird er in diesem Prozess auf jeden Fall so viel Reife erlangen, dass er begreifen kann, dass das Aushalten dieser Zustände am Ende gar nicht so schwierig, gar nicht mehr ein Aushalten, sondern eher ein Innehalten bei ihrer Schönheit, die sie auch haben, ist.
S. 224
So wie hinter jedem abwehrenden Gefühl durch konsequente Selbsterkenntnis-Archäologie sich ein abgewehrtes Gefühl herausschält, gilt es auch für die abgewehrten Gefühle: Hinter jedem von ihnen zeigt sich schliesslich eine der Qualitäten des Allerinnersten wieder, zu denen wir im Prozess der Ich-Bildung den Zugang verloren hatten. So wie sich hinter den abwehrenden Zuständen, die wir speziell betrachtet haben, Eifersucht, Hass und Geiz oder auch Konkurrenz, Gier und Neid oder gar Vergnügenorientiertheit, abgewehrte Gefühle wie Verlassensein, Ausgeschlossensein, Zukurzgekommensein oder Ohnmacht, Hilflosigkeit sowie Ausgeliefertsein verborgen haben, finden wir hinter diesen, sobald sie verstanden und genommen sind, erst recht etwas Wunderbares: Angenommensein hinter dem Verlassensein, Heimat hinter dem Ausgeschlossensein, Fülle hinter dem Zukurzkommen, Befreiung hinter der Ohnmacht, Würde hinter der Hilflosigkeit, Aufgenommenwerden hinter dem Ausgeliefertsein und Liebe hinter aller Einsamkeit. Das Allerinnerste in uns erblüht im AnnehmenKönnen der Gesamtheit von allem Abgewehrten; das Abgewehrte in uns bildet das Tor zum verlorenen Paradies des Allerinnersten. Jedes einzelne abgewehrte Gefühl bildet einen Eingang, der die Unschuld des Unverletztseins wiederbringt.
S. 274
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Liebe - Bilder, Gedichte und kleine Meditationen, Basic Editions, 2014
Es ist gut, sich die Verbote, die uns bezüglich der Liebe auferlegt sind, genau anzuschauen. Sie zuerst anzuerkennen, um sie überhaupt in ihrer ganzen Tragweite zu sehen, ist wichtig, zu sehen, dass sie in uns drin da sind. Wir lernen dabei viel über Fairness, dass es nicht richtig ist, sich etwas zu nehmen, was man anderen nicht zugestehen will, aber auch über Stimmigkeit, dass es gut ist zu schauen, was an sich richtig und gut ist, und auf alles zu ver-zichten, was nicht dem Ganzen und allen Beteiligten dient.
Vor allem wird man aber dabei am Ende begreifen, wer diese Verbote überhaupt verhängt hat, nämlich wir selbst. Ich. Du. Wir verbieten uns selbst und einander die Liebe, das Glück, die Nähe, das Sich-Verlieben, das Blühen, die Freiheit. Und wenn wir das sehen, werden wir auch erfassen, dass wir, da wir die Täter in der Angelegenheit sind, diese auch verändern können. Wir könnten einander auch all diese schönen Dinge erlauben. Wir könnten uns selbst und einander das Blühen gönnen. Wir könnten uns freuen am Glück voneinander. Es ist unsere Freiheit, uns dafür zu entscheiden. Wenn wir das alles sehen, werden wir es vielleicht zu wollen beginnen. Dann bricht eine neue Zeit an, beginnt ein ganz neues Leben.
Dass dies seinen Preis hat, haben wir in der Auseinandersetzung mit den Verboten längst verstanden.
Wir verbieten uns selbst ja alles, damit die anderen aus Fairnessgründen auch nichts dürfen. Und wir verbieten alles Schöne, weil wir das Ausgeschlossensein fürchten, weil wir ängstlich sind und neidisch. Der Preis für die Freiheit und damit für das Inder-Liebe-Blühen-Dürfen ist das Überwinden dieser menschlichen Konditionierung. Dies ist letztlich ein Entschluss, ein Entschluss aus Einsicht, weil man die Schönheit und die Liebe will. Ein Entschluss, der zuerst als heroischer erscheint, am Ende aber gar nicht bringt, was er einzu-fordern schien. Nicht Ausgeschlossensein, nicht Einsamkeit wird als Ergebnis zu uns kommen, sondern das Ende allen Leids, ein Aufgehobensein in einem Feld von Liebe, in dem der Mangel ein Ende hat und der Üppigkeit der Liebe Platz macht.
S. 88
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Freiheit beinhaltet Verantwortung, Briefe an die Welt, sowie weitere Briefe an die Gemeinschaft, Basic Editions, 2007
Will ich wichtig sein? Ist das mein höchstes Ziel im Leben? Willst du wichtig sein? Oder ist es das Ziel, dem wir uns verschrieben haben, die eine grosse Aufgabe, das wichtig ist. Und wir sind darin unbedeutend, Diener, strahlende Diener gar? Gehe ich für etwas ganz Ausserordentliches, für etwas Gemeinsames, oder will ich ausserordentlich sein? Verfolge ich meine kleinen, persönlichen Ziele oder sind längst die Zielsetzungen des grossen Ganzen meine Ziele geworden? Bin ich dabei bei diesem Unglaublichen, Umwerfenden, an der vordersten Front des evolutionären Geschehens, bei diesem absolut grossartigsten Unter-nehmen, in der gemeinsamen Absicht, die es hervorbringen will, oder will ich selbst gross sein? Beschäftigen mich unablässig die Probleme, die sich in diesem riesigen Geschehen ergeben, die zu lösen sind, die Probleme der Menschheit, oder drehe ich weiter in Mittel-mässigkeit um mein ganz Eigenes? Halte ich noch immer an der Illusion fest, "ich" zu sein, oder bin ich erwacht für das Faktum, dass ich "du" bin?
Solche Fragen treiben mich um. Ich stelle sie mir bezüglich meiner selbst, und ich stelle sie mir bezüglich dir. Bin ich zu gebrauchen für das grosse Werk? Bin ich ein brauchbarer Diener? Bist du zu gebrauchen? Oder bist du noch immer ein Kind, ein Narr, ein Unerwachter, der nicht mithilft im einzig Sinnvollen, zu dem wir eingeladen sind, sondern eine Last ist darin, einer, der sein Gelingen behindert?
Dass man die grosse Aufgabe sieht und darin seinen Platz einnimmt, beendet allen Neid und allen Autoritätskonflikt. Und eine grosse Erleichterung überkommt einen, weil man sich plötzlich aller Führung enthoben sieht, die fortan beim Leben selber liegt, und wieder Kind sein darf, ein Kind, das sich willig einfügt in das, was ihm beschieden wird.
Heimkommen ist ein Heimfinden in sich selbst, in der Tiefe seiner selbst, im Allerinnersten, und dieses ist ein Heimfinden ins Ganze, in die Verantwortung fürs Ganze. Heimkommen ist das Erwachen für die grosse, erschreckend-schöne Aufgabe, die uns immer schon gestellt ist.
S. 37
Müssen wir davon ausgehen, dass Eifersucht, Neid und Hass nicht zu überwindende Hindernisse bilden für die meisten von uns? Ist die Fähigkeit zur Liebe eine genetische Mutante, die bislang nur selten vorkommt und sich noch nicht durchgesetzt hat? Oder ist der Liebende ein biologischer "Freak", wie es schon Krishnamurti von sich befürchtet hatte?
S. 84
Wir sind Liebende. Unser Guru, dem wir dienen, ist die Kraft der Liebe. Wir stehen nicht mehr in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, haben Neid und Eifersucht hinter uns gelassen. Wir haben gelernt, uns am Glück und Erfolg der anderen zu freuen. Darum sind zwischen uns Liebe und Nähe möglich, ein gemeinsames Blühen, in dem man alles Glück und alle Liebe zusammen teilt. Diejenigen unter uns, die ein Gefäss der Liebe geworden sind, die im Stande sind, ihr in sich Heimat zu geben, sind unsere Könige und Königinnen. Weil sie die Liebe sind, sind sie unsere Gurus, unsere Lehrer.
S. 126
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Du bist Schönheit - Krishnamurti - Angewandt im Alltag - Der Einfluss seines Werkes auf die Psychotherapie / Von der Liebesgeschichte eines späten Sommers, Basic Editions 1998
Aggression, Gewalt hat viele Gesichter, aber in der Essenz reduziert sie sich immer auf einen Kampf gegen die Erkenntnis von dem, was ist. Wir wollen es anders haben als es ist, so, wie wir uns vorstellen, dass es sein sollte. Aggression zeigt sich in der Suche nach dem Vergnügen und im Verlangen nach Sicherheit. Sie ist versteckt in der Abhängigkeit und in der Bindung an andere. Sie äussert sich in Besitzgier, welche die ganzen zerstörerischen Beziehungs- und Familienstrukturen hervorgebracht hat. Offensichtlich ist sie in der Ge-walt, im Hass, im Neid, in der Eifersucht. Der Neid vergleicht das Unglück, das er ständig loswerden möchte, fortwährend mit dem gewähnten Glück anderer und schafft damit, wie alles Fliehen vor dem, was wirklich ist, ständig Konflikt und Leid. Der reife Geist kennt keinen Vergleich. Er misst sich nicht mit anderen.
S. 60
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Samuel Widmer Nicolet: … der Tod hingegen ist ein Morgen/ Sterben - Tagebuchnotizen von Samuel Widmer Nicolet, Autobiographisch, Basic Editions, 2015, S. 51