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Newsletter 6/2023 - Loslassen
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Dezember 2023

E


s ist Glück.
Es ist Meditation.
Es ist da, wenn
alles wegblättert,
was nicht es ist,
was sich von ihm ausgrenzt.
Es ist da, wenn
Anhaftung ans Begrenzte endet.(1)



Annehmen des Ganzen bedeutet automatisch, in der Mitte zu sein.
Du bist weder für noch gegen etwas.
Du hast nicht gewählt, du fliesst einfach mit dem Strom.
Du bewegst dich auf kein Ziel zu – du bist ohne Wahl.
Du bist im Zustand des Loslassens.
Osho







Liebe Leser

Letzten Sommer habe ich den Zustand des Loslassens entdeckt, ein erfreulicher Meilenstein in meiner persönlichen Entwicklung. Die Zeit in den Bergen ist jedes Jahr so bereichernd und zu tiefen Reflektionen einladend. Während ich im Wind eines ankommenden Gewitters spazierte, dachte ich an Danièle, die eine «Sabbatical»-Auszeit ein paar Bergketten entfernt in Piemont genoss und rekapitulierte dabei die Zeit mit ihr und Samuel, die letzten zehn Jahren in der Kirschblüten-Gemeinschaft und insbesondere die Veränderungen seit Samuels Tod. Ich tue es mir sehr schwer mit Veränderungen, seit immer. Ich vermisse Samuel in der Gemeinschaft sehr, die philosophischen Unterhaltungen, die «intelligenten Gespräche » (wie er sie genannt hatte) rund um die schwierigen Fragen des Lebens und des Tods, zu denen er uns immer eingeladen hat. Diese kommen leider für mich zu kurz. Noch im Juni, an unseren Gemeinschafstagen, hatte ich mit Widerstand reagiert und mich im Stich gelassen gefühlt.
Dort in den Bergen merkte ich plötzlich, dass mir all das keine Gefühle mehr machte, als ob diese vom starken Wind weggefegt wurden. Die Veränderungen, das Vermisste,,… hatten plötzlich in mir Platz gefunden. Ich fühlte eine innere Erleichterung, etwas war zur Ruhe gekommen. Ich hatte das Loslassen entdeckt.

Seit dem Sommer konnte ich schon einiges losgelassen. Vieles, was nicht zu ändern oder hoffnungslos ist, zum Beispiel, oder diejenigen Beziehungen oder Arbeitsgruppen, in denen nicht die richtige Stimmung ist, wo Macht und Konkurrenz wichtiger als Wohlwollen und Respekt sind. Samuel hatte mich einmal mit einem Gedicht gefragt, warum ich immer noch in einer Welt anzutreffen bin, die nicht aus Liebe gebaut ist. Jetzt weiss ich es, weil ich nicht loslassen konnte. In dieser Welt möchte ich jetzt nicht mehr sein.

Loslassen bedeutet aber nicht aufgeben, oder sich nicht mehr ganz dafür einsetzen, woran man glaubt. Loslassen ist akzeptieren, dass es so ist, wie es ist, ohne Trotz, ohne Widerstand, ohne schlechte Gefühle, ohne ein Opfer zu sein. Es lebt sich so viel besser in diesem Zustand!

Neben den Texten von Samuel zum Loslassen in den verschiedenen Bereichen des Lebens möchte ich euch in dieser Weihnachtszeit der Ohnmacht, was die Situation in der Welt betrifft, eine Meditation von Danièle empfehlen, die in Oktober online über Zoom stattgefunden hat, über die Konflikte in der Welt, in uns und zwischen uns. Zum Nachdenken in der Adventszeit. Ihr findet sie im YouTube-Kanal von Samuel und Danièle unter diesem Link hier: https://youtu.be/44sLOo8-iik?si=9u1Mj3by-wcL4_1D.

Eine Weihnachtszeit in Frieden wünschen wir euch
Romina Mossi
mit Danièle Nicolet Widmer und Marianne Principi

Wir informieren Interessierte 1-2 jährlich per E-Mail über unser Seminarangebot. Ihr könnt euch hier eintragen: https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht.
Die letzten Newsletter von Juni und Oktober 2023 findet ihr hier.
Die Programmübersicht mit den Angeboten bis Ende 2023 und für 2024 findet ihr jeweils hier: https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht.

Bevorstehende Termine des Hofs zur Kirschblüte
  • Am 13. Dezember findet nach drei Jahren die letzte klassische Online-Meditation statt. Im Februar 2024 beginnen die Online-Meditationen zum Thema "Spirituell-Magisches Träumen", als Vorbereitung für die 3-jährige Ausbildung im „Spirituell-Magischen Träumen“ (voraussichtlich ab 2025/2026)
  • Im Dezember feiern wir Weihnachten mit dem Thema "Magie" in der Seminarreihe "Das Allerinnerste – Vom Duft des Ankommens".
    Die gleiche Gruppe trifft sich dann in Februar zum Thema "Angewiesensein".
  • Im Januar 2024 ist Danièle im Vogelsberg/Hessen für ein Seminar über die Tiefendimension in der Meditation (in Zusammenarbeit mit Gosia und Rolf Harms)
  • Im April 2024 findet wieder aufgrund grosser Nachfrage ein Seminar zum Thema Zärtlichkeit.
  • In Kolumbien werden wir wieder im Oktober 2024 sein, in Indien wieder im Dezember 2024, in der Wüste im Frühling 2025.

Dieser Newsletter kann auf der Website des Vereins "Samuel Widmer Nicolets Erbe" (https://samuel-widmer.org/de/news) kostenlos abonniert werden. Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis. Die Newsletter findet ihr auch auf der Website der Praxis Hof zur Kirschblute (https://hof-zur-kirschbluete.ch) und der Kirschblütengemeinschaft (https://gemeinschaft-kirschbluete.ch) oder auf dem Facebook-Kanal der Kirschblütengemeinschaft (https://www.facebook.com/Kirschbluetengemeinschaft).


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Kriegerschule / Die Kriegertexte, Sachbuch Spiritualität, Basic Editions, 2010
Die Stimmung des Kriegers beinhaltet gleichzeitig Selbstbeherrschung und Selbstvergessen, gleichzeitig sich zusammennehmen und vollkommen loslassen.
S. 42

Der Weg des Kriegers eröffnet einem Menschen ein neues Leben, und dieses Leben muss völlig neu sein. Seine hässlichen alten Gewohnheiten kann er nicht in dieses neue Leben mitbringen.
Die Hoffnung, seine alten Gewohnheiten ändern zu können, erkennt der Krieger als Illusion; er muss sie loslassen. Dieses Loslassen entspricht dem, was er als Verlust der menschlichen Form bezeichnet. Erst, wenn wir die menschliche Form verlieren, hören wir auf dumm zu sein. Der beständige Versuch des Kriegers, seine alten Gewohnheiten abzulegen, der zwar nutzlos ist, verscheucht am Ende die menschliche Form. Darum fällt es dem Krieger leicht, fröhlich zu scheitern. In der Welt der Krieger gibt es keine Garantien.
S. 66


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Durchdrungen sein vom Du, Von der Praxis der Liebe, Protokolle einer Gemeinschaft, ein ganz persönliches und ein gemeinsames Buch, Basic Editions, 2004
Um eine Bindung zu lösen, muss ich zuerst die Bereitschaft entwickeln, dass sich mein und unser gemeinsames Schicksal in jede mögliche Richtung entfalten darf. Das beinhaltet zum Beispiel Abschied, Veränderung, Verlassenwerden, Verlust usw. Das ist Loslassen. Ich halte nicht mehr an einer bestimmten Vorstellung fest. Ich will dich nicht mehr unbedingt für mich haben. Dadurch wird innerlich wieder etwas frei. Alle Energie wird wieder frei. Ungebunden. Dadurch entsteht erst die Möglichkeit, mich aus der konflikthaften Situation, wenn ich das denn will und als gut erachte, zu lösen. Zuerst muss ich also mit der Entfaltung der Situation in jede erdenkliche Richtung einverstanden sein, sie also ganz und gar nehmen, mich ihr ergeben, bevor ich sie beenden kann. Vielleicht will oder muss ich sie dann gar nicht beenden, weil, wenn ich sie wirklich genommen habe, kann ich ja auch darin glücklich sein, so wie sie ist. Vielleicht bin ich dann aber auch ganz froh, gehen zu können, weil mich ausser der Bindung nichts an sie "gebunden" hat. Keine Liebe, keine Freude, kein Glück. Es wird dann ganz leicht, das Richtige zu entscheiden.
Wenn ich aber loslasse in einer bestimmten Situation, indem ich mich an einer anderen festhalte, entsteht da wieder Bindung, und das Spiel beginnt von vorn. Vor allem entsteht darin bestimmt keine Offenheit für ein Überschwappen der Liebe, für Dreiecke, fürs Teilen, für Gemeinschaft, für eine Erweiterung. Das ist alles Illusion. Wenn ich Bindung einfach durch neue Bindung ersetze, weil die alte unbequem geworden ist, wechsle ich einfach Beziehung. Ich gehe vom einen weg zu einem andern hin. Ich verlasse, weil das Verlassensein als Möglichkeit nicht Platz in mir gefunden hat, und bin dann durch dieses nicht integrierte Verlassensein in der neuen Beziehung wieder gebunden. Gebunden sein und gleichzeitig frei sein kann ich nur in der Liebe. In ihr gibt es völlige Abhängigkeit, totale Verlässlichkeit und Verbindlichkeit gleichzeitig. Und gleichzeitig bleibt die Energie ungebunden. Die Situation darf sich in jede erdenkliche Richtung bewegen und ich gehe aus Liebe sowieso mit. Oder auch nicht. Das ist eben die Freiheit. Abschied hat immer auch Platz in der Liebe. Abschied, der nicht Reaktion ist und voller Hader und Trotz, welche mich binden an das, was ich zurücklasse. Sondern Abschied ganz einfach. Ich gehe, weil etwas anderes ruft, weil die Liebe ruft, das Schicksal ruft, weil kein Glück und keine Liebe aus dem Verharren in der alten Situation kämen, weil die alte Situation, die ursprünglich so wichtige Möglichkeit unbedeutend wird.
Loszulassen oder vielleicht am Ende noch vielmehr die Dinge einfach sein zu lassen ist zuerst eine Angst und ein Schmerz. Das Festhalten aufzugeben, macht zuerst weh. Da ist Angst, verloren zu gehen, ins Bodenlose zu fallen. Und das Bodenlose ist ein Weh. Es ist das Weh der Eröffnung. Festhalten macht mich eng. Wieder loslassen macht mich wieder weit. Die Weitung ist ein schmerzlicher Prozess. Festhalten in Beziehungen, in den verschiedensten Lebenssituationen, an fixen Vorstellungen tun wir vor allem, um diesen Schmerz zu vermeiden, den Schmerz des Ver¬lorenseins, des Verlassenseins, des Alleinseins. Weitung ist schmerzhaft. Aber Ankommen in der Weite ist Freiheit, ein Glück, ein Zustand der Stille und der Freude.
In einer Situation des Loslassens können das volle Ja und das totale Nein zur Situation ganz nah beieinander liegen. Das verwirrt zuerst. Will ich nun gehen oder bleiben? Soll ich nun dranbleiben oder beenden? Ich scheine wankelmütig und hin- und hergeworfen, zerrissen und ambivalent zu sein.
S. 486


Aus: Samuel Widmer Nicolet: … jedes Lidschlags dir gewahr/ Tantra - Ein Lehrbuch - von der Liebe Lebenskunst, Basic Editions, 2016
Die Kunst nicht anzuhaften
Es lohnt sich sicher, sich mit der Kunst, nicht anzuhaften, zu beschäftigen – denn das, was alles Leiden verursacht, hat tatsächlich damit zu tun, dass man sich mit seinem Begehren in Vergänglichkeiten verstrickt (2)
wie geht das, sich auf ein volles Leben einzulassen, und trotzdem darin eine freie Energie zu bleiben? wie geht dies, das Leben in vollen Zügen zu geniessen, sich auf alle Schönheiten des Lebens einzulassen, ohne konflikthaft daran hängen zu bleiben
wie kann man dieses Gleichgewicht finden zwischen verbindlichem, unverbrüchlichem Eingelas¬sensein und sich trotzdem jederzeit der Vergänglichkeit von allem bewusst bleiben, so dass man jederzeit loslassen kann?
es ist tatsächlich wichtig, sich bewusst darüber zu sein, dass man am Ende alles wieder loslassen muss, weil alles, was uns ausmacht, zum Reich der Vergänglichkeit gehört und daher in dem Sinne, wie die Buddhisten oder die Hindus es ausdrücken, nicht wirklich ist – allerdings nicht in der Art, wie es dann irgendwelche verblendeten Religionstheoretiker oder Verrückten daraus schliessen, dass die Schöpfung selbst nicht wirklich sei – sie ist wirklich, jedoch nicht wirklich in dem Sinn, dass sie vergänglich ist – sie ist nicht in einem absoluten Sinn wirklich für das, was absolut wirklich ist, dafür haben wir uns aufgemacht, das wollen wir ergründen – in der Leere, im Nichts, das man ganz zuinnerst in sich findet, das von Glückseligkeit erfüllt ist, entdeckt man das Absolute – anhaften, das heisst, besitzen wollen, etwas besitzen zu wollen, was zum Reich der Vergänglichkeit gehört und nicht wirklich von uns kontrolliert werden kann, muss man dafür aufgeben – nicht zu sehen, dass eine andere Kraft die Vergänglichkeit kontrolliert als unser Wille, nämlich die universelle Absicht, das Schicksal, wirkt sich verheerend aus in unserem Leben – wir können nicht darüber bestimmen, was wir bekommen, und nicht darüber befinden, wann und wie wir etwas wieder zurückgeben müssen – nicht anhaften bedeutet, darin flüssig zu sein, einzusehen, wann es an der Zeit ist, etwas wieder zurückzugeben – es heisst, mit dem Wandel gehen zu können, der als Gesetzmässigkeit in allem Vergänglichen gegeben ist
aber wie macht man das? sieht man es überhaupt? ist es bereits getan, sobald man es sieht?

wie dumm es ist, sich mit den Gesetzen des Universums in einem Autoritätskonflikt zu verstricken, der sich dann als Konflikt in Beziehungen, in alltäglichen Situationen abbildet?
reicht es, dass man die Dummheit davon sieht, dass man dafür erwacht, wie absurd es ist, stur seinen Willen haben zu wollen, wo man tatsächlich nichts zu sagen hat
eigentlich reicht es, dass man es sieht – daraus kommt nämlich auch die Bereitschaft, es loszulassen, aufzugeben, nicht auf etwas zu beharren, was einem nicht gehört
aber wir sind schon stur – sogar wenn wir es genau sehen, hoffen wir noch auf einen Ausweg, darauf vielleicht, in gewissen Situationen doch Gott spielen zu können – oder zumindest wollen wir daran leiden, dass Gott unsere Wege nicht gefallen, denn das ist ja das Verstricktsein, ändern kann man es trotzdem nicht – die Dinge laufen, wie sie laufen; das Verstricktsein macht einen daran leiden, es bewirkt keine Veränderung; es läuft trotzdem alles, wie es läuft – sich der Angst zu stellen, die hinter dem Kontrollwahn sitzt, der Angst vor dem Ausgeliefertsein an dieses Grosse, ist die Lösung darin – für das Ausmass unseres Bestimmtseins zu erwachen – all das beinhaltet Nicht-Anhaften
die Hyperindividualisten, die heute in unserer Welt so verbreitet sind, üben sich auch darin, nicht anzuhaften – sie lassen sich auf nichts wirklich ein, alles muss Fun und Lust sein – verbindliche Liebe darf nicht aufkommen – auch im Bereich des Tantras findet man dieses Fehlgeleitete – das interessiert uns persönlich nicht – das ist nicht das richtige Nicht-Anhaften – es ist das Gegenteil, das Gegenstück zum Sich-Verstricken – Nicht-Anhaften ist die Kunst des Gleichgewichts – ein Gespür dafür zu haben, wann man etwas festhalten soll, und wann man es wieder loslassen muss – ein Gespür zu haben für Geschenke, die zu uns kommen wollen, und für Forderungen, die an uns gestellt sind, etwas wieder abzugeben – ein Gleichgewicht zu finden zwischen totalem Fest¬gelegtsein und darin auch wieder wie Luft zu sein – man könnte auch sagen: zu sein wie die Liebe – die Liebe in sich drin zu verstehen, ihren Wegen zu folgen und nicht denjenigen der Macht

in letzter Zeit ist mir das wieder besonders deutlich geworden, wie viele Menschen in Machtspiele verstrickt sind – man meint immer, Macht, das sind die grossen Dinge, die offensichtlich mächtigen, aber es ist diese kleine Macht, diese Besessenheit zu kontrollieren und zu manipulieren, diese Machtbesessenheit, die alles verdirbt – da flieht die Liebe; dort wo sich das findet, zieht sich die Liebe zurück – da zeigt sie sich schliesslich nur noch als Schicksalsschlag
nicht anhaften, losgelöst sein, ohne den Boden zu verlieren, darin besteht die Kunst – das Leben geniessen, ohne süchtig zu werden – Nicht-Anhaften, den Zustand der Glückseligkeit in sich entdecken – ohne darin zu verkommen, ohne sich gehen zu lassen – jederzeit bereit, auch wieder darauf zu verzichten – be like a cat, always ready for divorce (Osho) – sich verschenken, das heisst, lieben wie ein Wasserfall, wie eine Feuersbrunst, wie ein Wirbelwind, and like a cat, always ready for divorce – nicht anhaften bedeutet, einander die Gefühle des Verlassenseins zumuten zu können, und sich selbst natürlich auch, und dann darüber hinauszugehen in den Raum der Glückseligkeit

durchs Leben hüpfen, ohne dabei die Schuhe zu verlieren – aber hüpfen!

was macht eigentlich, dass eine Begegnung Liebe ist, oder etwas anderes? Warum fühlt man sich eigentlich selten in einer Berührung geliebt? warum ist es oft irgendwie traurig? warum ist es unter den Menschen, wenn sie im Normalzustand sind, eigentlich so selten, tatsächlich fast nie gut?
S. 42

ein Kind der Freiheit will ich sein – eine grössere Heimat will ich kennen als diejenige, die wir im menschlichen Gerangel um das Geliebtwerden finden können
kann ich so viel von dieser Energie zulassen, dass es schmerzt, dass ein schöner Schmerz entsteht im Kopf, ein leidenschaftlicher Schmerz, weil die Energie alle alten Strukturen im Gehirn wegzuschwemmen beginnt? kann ich alle Bilder und Ideen darüber, wie das Leben zu sein hat, loslassen? all dieses kleinkarierte, enge Denken im Kopf mir wegnehmen lassen?
S. 135


Aus: Samuel Widmer Nicolet: … der Tod hingegen ist ein Morgen/ Sterben - Tagebuchnotizen von Samuel Widmer Nicolet, Autobiographisch, Basic Editions, 2015
Es ist noch nicht allzu lange her, da stellte mir der Tod in seiner knappen, ruppigen Art zwei Fragen. „Wenn ich „Jetzt!“ sage, wenn ich dich jetzt holen will, bist du dann bereit, mitzukommen?“ Unvermittelt überrumpelte er mich mit seinem ersten Begehren. „Natürlich“, stotterte ich, „was könnte ich schon einwenden, du hast das Sagen.“ „Ich wollte nur wissen, ob das auch klar ist“, bestätigte der stille Bleiche unseren früheren Deal. Miteingeschlossen schien mir in seinem befriedigten Nicken, dass er keineswegs mehr als die Absicht hegte, sich diesbezüglich zu versichern. Wir befanden uns draussen an einem stillen Platz. Danièle und ich. Steineichen umgaben uns und die frühlingshafte Stimmung toskanischer Hügel. Eichelhäher flatterten von Ast zu Ast. Ein ruhiger, paradiesischer Nachmittag. „Und was sagst du, wenn ich dir das Liebste nehme?“, kam prompt die zweite Frage. Sofort dachte ich an Romina, meine neue, grosse Liebe zu Hause, und auch an Danièle, die sich neben mir sonnte. Ein kurzes Zögern, eine Enge in der Brust offenbarten mir, dass dieses Loslassen das Schwierigere war. „Wenn es denn sein muss; wie könnte ich anders, als einverstanden sein, als mit dir gehen“, erklärte ich mich. „Ich wollte es nur wissen“, wiederholte sich der dunkle Geselle und zog sich wieder lautlos zurück. Mein Geist entspannte sich und öffnete sich der Weite und Schönheit des ruhigen Sommertages. Magisch, in dieser Weise von diesem fremden und vertrauten Freund berührt zu werden. Nicht erklären könnte ich, über welche Kanäle die Wahrnehmung dieses Geschehens von mir aufgenommen wurde. Hatte ich es gesehen? Gehört? Innerlich erlebt? Tatsächlich hatte ich ein Bild, und auch mein Ohr hatte etwas vernommen. Und doch war es nicht wirklich aussen. Wie ein Traum war es und doch kein Traum. Unerklärlich.
S. 76

Natürlich habe ich die Sterbeerfahrung auf vielen Meditationen vorweggenommen und geübt. Vom ins Universum hinausgeschleudert Sein bis zum voll bewussten Loslassen, vom schmerz- und angstvollen Übergang bis zum glückseligen Hinübergleiten habe ich alles erlebt. Die Ekstase des wesenhaften Seins draussen im All hat mich genauso beglückt wie das Aufgenommen- und Willkommengeheissen-Werden durch Lichtwesen in einem rein geistigen Raum des Lichts. Immer mal wieder habe ich die Grenze einer undurchdringbaren Wand berührt, welche die Lebenden und die Toten zu trennen scheint, ohne sie je definitiv überschreiten zu dürfen.
S. 117


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Erneuerung von uns selbst und unserer Welt, Briefe an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis, Basic Editions, 2018
Was Beziehung zerstört, ist das Besitzdenken, das in der egozentrisch ausge¬richteten Gesellschaft alles dominiert. Besitzen, einander besitzen in Bezie¬hung, das Besitzen überhaupt. Jeder Krieger, jeder der ernsthaft an Selbst¬erkenntnis interessiert ist, muss es irgendwann aufgeben, überwinden, loslassen! Da gibt es nichts; ohne dies gibt es kein Sterben am Sterbepunkt, keine Entwicklung über die egozentrische Persönlichkeit hinaus. Kontrolle muss enden, die Illusion der Trennung muss überwunden werden. Alles Mein und Dein muss ein Ende haben, sonst gibt es kein Erwachen für die Ebene des einen Herzens, kein Aufgenommenwerden im einen Geist.
S. 283


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Liebe - Bilder, Gedichte und kleine Meditationen, Basic Editions, 2014
Unsere unerfüllbare Sehnsucht in allerlei Wünsche, vor allem aber in Beziehungen zu projizieren, ist die menschliche Art. Ist das Aufgeben dieses Menschlichen, wie es Krieger vollbringen, die Lösung? Das Aufgeben des Menschlichen hinterlässt auch im Krieger zuerst eine Traurigkeit. Aber schliesslich verändert es seine Beziehungen. Sie verlieren an Bedeutung. Unsere Sehnsucht ist nicht mehr auf das Menschliche ausgerichtet, in dem sie nicht gestillt werden kann, auf nichts Illusionäres, sondern auf das Unendliche, auf das Grosse. Auf die grosse Liebe auch, heisst das, auf das Wesen Liebe, das unabhängig von uns im Universum existiert und alles erfüllt. Das Loslassen bezüglich der Wichtigkeit menschlichen Bezogenseins, der menschlichen Liebe macht uns zuerst traurig. Wir wollen dieses süsse Glück nicht verlieren, obwohl wir längst verstanden haben, dass wir damit am Ende immer nur in Enttäuschung und Gewohnheit enden werden.
Auch wenn wir diese Traurigkeit schliesslich überwinden und tatsächlich loslassen, hören wir aber nicht auf, in menschlichen Beziehungen zu stehen. Diese werden sogar besser, konfliktfreier, friedvoller, dauerhafter, weniger geprägt von Bindung und Verlangen. Die Liebe blüht darin tatsächlich viel ungehemmter, verändert die gewohnten Beziehungsmuster und öffnet uns für neue Beziehungsstrukturen, die uns viel besser entsprechen und bekommen. Trotzdem wird gerade darin dieses unstillbare Verlangen noch stärker spürbar, noch mehr herausgearbeitet.
Hängt es damit zusammen, dass wir im Bereich des Materiellen nie ganz eins sein können, dass die Einheit, wie sie uns das Wesen Liebe vermittelt, in dieser groben Dimension nie ganz verwirklicht werden kann? Sehnen wir uns nach dem Raum der Transzendenz dieses Materiellen, nach einem rein geistigen Raum, einem rein energetischen? Ist das der Todestrieb, die Sehnsucht nach der Auflösung im Ganzen, die ohnehin auf uns wartet, nach dem definitiven Aufgehen im Raum der Liebe, im Wesen Liebe?
Im materiellen Bereich können wir nicht überall gleichzeitig sein, das Verwirklichen der einen Liebesgeschichte schliesst die andere, auf jeden Fall für denselben Moment, aus. Der erfolglose Versuch, diese Sehnsucht durch Ausschliesslichkeit zu stillen, führt zu Enge, zu Abhängigkeit und Kontrolle, zum Tod der Liebe. Darum wählt der Krieger den anderen Weg. Er akzeptiert das Unstillbare, das Unerfüllbare in seinem Herzen als Faktum, dem er sich nicht zu entziehen versucht. Darum liebt er den Abschied in den Beziehungen, die Trennung, die Wandlung. Er kommt an im Augenblick, steht mit allem, was gerade da ist, in unmittelbarer Beziehung. Mit allen Dingen, allen Wesen, wahllos mit allem. Das bedeutet fortwährendes Abschiednehmen, es bedeutet, mit dem Tod zu leben, denn jeder Augenblick stirbt fortwährend in den nächsten. Deshalb gehen Liebe und Tod immer Hand in Hand. Der Krieger hält an nichts fest, bindet sich an nichts definitiv, ist bereit zur jederzeitigen Veränderung. Das beinhaltet immer mal eine gewisse Traurigkeit, ein Leben mit der ungestillten Sehnsucht, aber dann auch immer wieder ein Ankommen in der gänzlichen Erfüllung des Moments, ein Aufgehen in der Liebe des Augenblicks zu allem und jedem.
Darum kann man sagen, dass es etwas gibt, was in uns für immer unerfüllt bleibt, und gleichzeitig, dass sich diese Sehnsucht und Trauer schliesslich ganz auflösen im sich Ergeben in das, was immer ist. Darin liegt die grösste Liebe. Die grosse Liebe findet in dieser Haltung Platz. Es ist die Haltung des schöpferischen Prinzips im Universum überhaupt, der sich der Krieger anschliesst. Aus dieser Ambivalenz "Gottes", aus diesem universellen Paradox erwächst fortwährend Schöpfung, die sich aus dem Raum der Einheit erhebt. Das grosse Nichts, das in sich eine Wesen Liebe bringt aus seiner unstillbaren Sehnsucht die Schöpfung als Gegenüber hervor, das sie lieben kann, nur um dann zu erleben, wie diese Schöpfung im Tod wieder ins Eine, in die Leere zurücksinken muss, will sie diese Liebe wirklich umfassend würdigen können.
S. 142


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Von der unerlösten Liebe zwischen Vater und Tochter, Vom Inzesttabu und seinen Folgen, 1995, 3. Auflage Basic Editions 2018
Viele Menschen leben in Beziehungen, an denen nicht einmal gearbeitet wird. Man verdrängt alles, geht allem aus dem Weg. Dies sind eigentlich gar keine Beziehungen. Andere, auch viele, leben wenigstens in Beziehungen, in denen Auseinandersetzung stattfindet, man ineinander verkeilt ist. Das ist schon besser, und wenn man dort steht, bleibt einem auch nichts anderes übrig, als gemeinsam an der Beziehung zu arbeiten. Aber es gibt noch etwas ganz anderes: Beziehung, die erst eigentlich Beziehung ist, an der nicht gearbeitet werden muss, die einfach gut ist ohne jede Anstrengung, von selbst. Von dort aus sieht die zweite Art vollkommen absurd und unnötig aus. Man sieht zwar, dass demjenigen, der dort feststeckt, nichts anderes übrigbleibt, aber gleichzeitig möchte man ihm zurufen: “Hör doch endlich auf mit dieser ewigen Plackerei; die Lösung liegt im Loslas¬sen! Lass diese Art von Beziehung fahren und falle ins Alleinsein, das du damit vermeiden willst, fall ins Lot mit dir selber und damit mit der Welt, dann findet eine völlig neue Art von Beziehung statt, für die du nichts tun musst, weil sie ganz von selbst einfach ist!”
S. 73

Richtige, gesunde Grenzen basieren nicht auf Angst wie die pa¬thologischen, sondern auf dem Wechselspiel des freien Willens. Die natürlichen Grenzen zwischen zwei Menschen bildet dann ihr unterschiedliches Wollen. Wollen sie beide das Gleiche, bestehen keine Grenzen. Alles gehen zu lassen, loszulassen führt zu Freiheit. Loslas¬sen hat aber verschiedene Richtungen. So zum Beispiel in der Sexualität: Völlige Freiheit (nicht in erster Linie tun und lassen zu können, was man will, sondern innerliche Freiheit im Umgang mit Sexualität, Unkompliziertheit, Unschuld), völlige Freiheit in der Sexualität entsteht, wenn ich sie ganz loslassen kann, wenn die Fixierung darauf aufhört. Loslassen heisst dann einmal, sie aufzugeben, sie nicht mehr unbedingt zu wollen, sie nicht mehr unbedingt zu brauchen. Sie kann sein, sie kann aber auch nicht sein. Loslassen heisst aber auch, sie freizulassen, ihr freien Lauf zu lassen, dort wo sie sein will, sie nicht zu behindern durch Tabus, Verbote (vor allem innerliche), sie nicht kontrollieren, steuern zu wollen, sie sein zu lassen, wie sie ist. Loslassen heisst aber auch, alle Gedanken bezüglich der Sexualität, alles Verstehen-Wollen, alles Erklären-Müssen, alles Entscheiden, was richtig und was falsch ist, gehen zu lassen, unschuldig zu werden wie ein Kind, das einfach wieder probiert, experimentiert, forscht, entdeckt, ohne fixiert zu sein. So wird das Lebendige in uns frei, zum Beispiel eben die Sexualität, so wird sie wieder ein Teil des Ganzen, verliert ihre enorme Wichtigkeit, ist da, wenn sie will, muss nicht da sein, wenn sie nicht will, bleibt Geheimnis, unverstanden, Wunder des Lebens.
S. 81


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Was ich dir noch sagen wollte… Über den Umgang mit der Lehrer/Schüler-Beziehung, Begegnungen mit Manuel Schoch, Basic Editions, 2010
Freundschaft hat Platz für den Tod, und nicht nur das.
Freundschaft braucht das immerwährende Sterben, das Loslassen- Können von mir, um in Freundschaft bleiben zu können, durch alle Phasen und Ränke des gemeinsamen Lebens hindurch. In einer langjährigen und tiefen Freundschaft ist vor allem dies das besondere Geschenk aneinander, dass du dich selbst sein darfst, dass du allein sein darfst, dass du anders sein darfst und dass du verlassen darfst.
Im Sterbenlassen aller Bilder über dich, aller Erwartungen an dich und aller Gewohnheit mit dir, übe ich im Leben und in der Beziehung mit dir, im Loslassen und Alleinestehen, innere Verbundenheit. Unsere Liebe, unsere besondere Form der Freundschaft besteht nicht aus einer äusseren Form und Gewohnheit, sondern sie entfaltet sich aus einem Einssein auf der energetischen Ebene, aus der Verschmelzung unserer Herzen. Als dein Freund bin ich bemüht, in der Beziehung zu dir immer wieder ganz neu zu sein, offen, unschuldig. Die Freundschaft äussert sich vor allem in der Treue und Verbundenheit zum magischen Wesen, das du bist, zu der Energie und zum Duft, die dich in der Tiefe ausmachen.
Dir Freund sein, heisst auch, einfach sein, allein sein, nichts sein, damit du bei mir immer und mit allem Heimat finden kannst. Und als mein Freund darfst du sterben, wann immer du willst und musst. Und mit Liebe und Mitgefühl werde ich dich begleiten in diesen neuen, weiten Raum hinaus, so weit es mir möglich ist.
S. 271


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Das Inzesttabu, Band I, Die Art des Kriegers, Zusammenfassende Gedanken zum Lebenswerk, Basic Editions, 2010
Wenn wir uns der Gesamtheit unseres Seins in einem einzigen Moment stellen könnten – und das beinhaltet unsere ganzen Gefühle, unseren ganzen psychosomatischen Ausdruck, alles – dann könnten wir vielleicht wahrnehmen, dass unsere Versuche, unser Leid zu erklären oder aufzulösen, immer fehlschlagen werden, weil sie offensichtlich im Ansatz falsch sind. Die Gesamtheit unserer Symptome entspricht einem Zusammenhalten, einem Nichtloslassenkönnen, welches sich als innere Spannung äussert und viel Angst enthält. Es liegt wie eine Krankheit in unseren Körpern.
Was halten wir denn eigentlich zusammen? Nichts! Auch das kann man ganz klar wahrnehmen. Da ist die Angst, nichts zu sein, und da ist der ständige Versuch, etwas zu sein, wichtig zu sein, etwas zusammenzuhalten, was es nicht gibt, um nicht NICHTS sein zu müssen.
Das ist das Ego, das Ich. Aus diesem Zentrum heraus versuchen wir beständig unsere Probleme zu lösen und haben scheinbar beachtliche Erfolge dabei. Doch wenn wir genauer hinsehen, erkennen wir, dass das Zentrum selbst das Problem ist und dass wir darin blockiert sind.
Wenn wir uns von diesen Blockierungen in die Enge treiben lassen, wird es still in dieser Enge, dann sind wir das ganz, was wir unausweichlich sind: dieses Nichtloslassenkönnen, dieses Zusammen¬halten von Nichts, diese Spannung, diese Krankheit; unbewegt für immer, hoffnungslos, unaus¬weichlich. Alle Vergangenheit, alles Gedachte, alles, was ich war und bin, wird nichtig. Ich habe keine Chance mehr, ich bin NICHTS. Und darin entsteht eine Bewegung, eine neue Bewegung, das Zentrum löst sich auf, die Struktur fällt, löst sich auf in Angst und schliesslich NICHTS.
Neue Hoffnung? Ist es nicht wieder ein Trick des Alten? Naht die Befreiung wirklich? Alles, was ich aus diesem Zentrum heraus wollte, ist nichtig. Wichtig auf der ganzen Reise war nur zu entdecken, was dieses Zentrum wollte, und vor allem das Tabu zu lösen, dass dieses Zentrum nicht wollen dürfe. Dieses Zentrum war durch Erziehung unterdrückt. Nun wird aber gerade durch die Befreiung des Zentrums klar, dass das Zentrum selbst nichts wert ist. Das Wollen an sich ist das Problem und muss losgelassen werden. Was dann sein wird, zum Beispiel in Beziehungen, ist nie im voraus klar, wird sich zeigen, geht sicher von der Liebe aus, wird das sein, was ich will, weil das, was ich will, das ist, was geschehen will, was stimmig ist, was in der Liebe ist.
S. 26

Richtige, gesunde Grenzen basieren nicht auf Angst wie die pathologischen, sondern auf dem Wechselspiel des freien Willens. Die natürlichen Grenzen zwischen zwei Menschen bildet dann ihr unterschiedliches Wollen. Wollen sie beide das Gleiche, bestehen keine Grenzen. Alles gehen zu lassen, loszulassen führt zu Freiheit.
S. 86


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Vom Allerinnersten, Meditationen, Basic Editions, 2005
Das, was dem Fluss der Liebe im Weg steht, ist der Widerstand des Selbst. Dieses kann man nicht einfach loslassen. Niemand tut das freiwillig. Das hält nicht. Vielmehr ist es so, dass man an seinem eigenen Nicht-Wollen verzweifelt, weil man sich ihm stellt, es sieht. Weil man es nicht verdrängt, sondern beharrlich mit dieser Tatsache bleibt, bis es schliesslich zu einem Zusammenbruch kommt in einem drin. Der Boden fällt gewissermassen raus. Der Widerstand bricht auf seinem Höhepunkt zusammen, nicht Ich habe ihn aufgegeben. Darum ist schliesslich seine Kraft, meine ganze Kraft in der Liebe enthalten.
S. 21

Stille ist da, wenn Anhaftung an das Begrenzte aufhört, wenn Bindung an den Teil schwindet. Stille ist Das. Stille ist Ewigkeit. Stille ist der eine Duft.
Stille ist Stille.
S. 19

Wir sehen die Chance in der Zerstörung nicht. Wir sehen die Schönheit des Zerbrechens nicht. Wir sehen nicht, dass das Wunderbare, das Todlose, das Unsterbliche nicht im Bereich des Bekannten und Gewohnten liegt, an dem wir festhalten, sondern jenseits von dem, was vergänglich ist und sterben muss. Das, was zerbrechen muss, ist das Ich, das Angehäufte, damit das Andere, das Ewige sein kann.
S. 143

Selbsterkenntnis, sofern wir dafür gehen und gewissenhaft darin sind, erschliesst sich uns dann bald die Wahrheit, dass hinter solchem Gebaren immer dieselbe Problematik steckt. Ausweichen wollen wir immer der Einsamkeit, die wir in der Tiefe unserer Seele spüren, unserem grundsätz¬lichen Alleinsein. Und wenn wir lernen, uns diesen Fakten zu ergeben und sich dadurch das Tor zum Innersten zu öffnen beginnt, erkennen wir schliesslich, dass wir in einem Autoritätskonflikt stehen mit der göttlichen Fügung, mit dem Schicksal, mit dem, was unausweichlich ist und sein will. Wir erkennen dann auch die Fruchtlosigkeit einer solchen Auflehnung, die Dummheit darin und dass wir einen solchen Kampf auf jeden Fall verlieren werden und dass überdies unser Leben voller Konflikt, voller Angst und Leid sein wird, solange wir daran festhalten. Das Sehen dieser Fakten bringt dann die Wandlung, die Ergebenheit, die Hingabe an die Fügung und damit endlich auch die Einsicht in die Gütigkeit des Schicksals, in die wunderbare, unglaubliche und mysteriöse Regieführung des Lebens, welche uns immer und in jedem Moment das Beste bringt. Wir finden zurück zum Urvertrauen, zur Einsicht, dass das Leben immer Recht hat, und lernen, unser Haupt zu beugen vor dem, was grösser ist, unsere Kraft der grösseren Kraft unterzuordnen, die richtigerweise das Sagen hat. Demut kommt daraus. Das Autoritätsproblem ist erkannt in uns und löst sich auf. Endlich finden wir zurück nach Hause, dürfen wir wieder Kinder des Ganzen sein und uns voller Vertrauen an das Wunder der Existenz hingeben, wohlwissend, dass wir es nie werden verstehen können.
S. 161


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Vom Weg mit Herz,- Die Essenz aus der Lehre des Don Juan/ Eine Würdigung des Werkes von Carlos Castaneda, Sachbuch Psychologie, Nachtschatten-Verlag, 2002
Nur eben, wie überwindet man diese Schwierigkeit, dieses grundsätzliche Verranntsein des menschlichen Geistes, dieses Drehen an Ort, wie Don Juan es bezeichnet, diese definitive Sackgasse, in der wir uns verfangen haben, dieses Festhalten an einer Vernunft, die nicht wirklich vernünftig, an einer Rationalität, die nicht total rational ist? Am Ende bleiben doch immer wieder die Tatsachen, dass wir uns nicht verändern, dass es absolut aussichtslos scheint und dass der Wandel im menschlichen Geist, der absolut notwendig wäre, nicht stattfindet.
S. 323

1) Aus: Samuel Widmer Nicolet: Der Gesang des Begnadeten/ von der unendlichen Liebe (The Song of the Blessed One/ about love infinite), Samuel-Shri-Prem-Avinash-Gita, Meditationen, Basic Editions, 2017, S. 80
2) Das Buch „… jedes Lidschlags dir gewahr/ Tantra“ ist absichtlich ohne Punkte geschrieben, sozusagen in einem Fluss, das Fliessen, die Harmonie des tantrischen Geistes symbolisierend.