Newsletter 4/2025: Opfersein
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Oktober 2025
D
ass du dich einsetzt für Gerechtigkeit
wenn du das Opfer des Unrechts bist
reicht nicht; es wird die Welt nicht ändern
Auch dass du gegen Ungerechtigkeit
die an anderen verübt wird, hinstehst
ist nicht genug; die Welt bleibt gleich
Dass du Unrecht entlarvst, vielleicht gar
zu deinem Schaden, das sich als Recht verkauft
wird auch nicht helfen, die Welt zu heilen
Was es braucht für eine von Grund auf neue Welt
ist deine persönliche Bereitschaft, Unrecht zu lassen
im Kleinen, da wo es niemand sieht
Das, was von Nöten ist, ist deine Lauterkeit
in diesen Dingen, unter allen Umständen
obwohl dies für sich allein gar nichts bewirkt (1)
Ein erwachter Mensch erkennt seine Aufgabe.
Er ist verantwortlich, kein Opfer mehr.
Niemand muss oder wird ihm sagen, was er zu tun hat.
Liebe Leserinnnen, liebe Leser
Letzte Woche hat die allererste Ausbildung im magisch-spirituellen Träumen "fulminant" (um Danièles Worte zu verwenden) gestartet. Ein ausserordentlicher, beglückender Start, mit einer schönen hochmotivierten Gruppe. Ich freue mich riesig auf die nächsten drei Jahre!
Das Thema des ersten Treffens war "Die Tiefendimensionen des Seins", mit einer von Danièle meisterhaft begleiteten Reise zwischen den Oberflächen- und Tiefendimensionen der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Neben den Reisen in der kollektiven Vergangenheit, das Entfalten von persönlichen und unpersönlichen Zukunftsvisionen, war auch die Rekapitulation der eigenen Vergangenheit angesagt. Ein Thema, dem ich mich in den letzten Wochen intensiv gewidmet ha-be, vor allem mit dem Opfer-Täter-Aspekt darin.
Ich habe für mich und für euch ein paar Texte aus Samuels Büchern herausgesucht. Das Lesen hat mir gutgetan und mich ein bisschen aus der Depression der aussichtslosen Krankheit herausge-holt. Kriegertexte wirken immer Wunder!
Einen schönen Herbst Wünsche ich euch
Romina
Die Programmübersicht mit den Angeboten für 2025 und 2026 findet ihr jeweils hier:
https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht.
- Am 23. August findet die nächste
Online-Meditation über das Spirituell-Magische Träumen statt.
- Im Oktober findet das
Kleingruppenseminar mit dem Titel "Freundschaft und Beziehung" statt.
- Ebenfalls im Oktober treffen sich Kriegerinnen und Krieger zum siebten Mal im Seminar "
Der Kriegertrupp
(über das erwachte Herz, das Gehirn als Sinnesorgan, Meditation und das Spirituelle Träumen)"
- Unsere
Weihnachtssitzung findet im Dezember im Rahmen der Reihe "Integration und Heilung" statt, zum Thema "Freisein von Hoffnungslosigkeit – innere und äussere Friedensar-beit".
- Im 2026 startet nach fast 10 Jahren wieder eine
Ausbildung zum/zur Tantrameister/Tantrameisterin, wofür ihr euch schon anmelden könnt. Tantrisch treffen wir uns vorher im April in einem
Zärtlichkeitsseminar.
Wir informieren Interessierte ein paar Mal jährlich per E-Mail über die Seminarangebote des Hofs zur Kirschblüte. Ihr könnt euch hier eintragen:
https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht.
Seit letztem Jahr bietet die Praxis Hof zur Kirschblüte für Menschen mit einem Euro-Einkommen eine
Preisermässigung bis zu 20% nach eigenem Ermessen für die Seminare in der Schweiz an.
Dieser Newsletter kann auf der Website des Vereins "Samuel Widmer Nicolets Erbe" (
https://samuel-widmer.org/de/news) kostenlos abonniert werden. Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis. Die Newsletter findet ihr auch auf den Websites der Praxis Hof zur Kirschblute (
https://hof-zur-kirschbluete.ch) und der Kirschblütengemeinschaft (
https://gemeinschaft-kirschbluete.ch) oder auf dem Facebook-Kanälen von Samuel Widmer Nicolet (
https://www.facebook.com/samuelwidmernicolet) und der Kirschblütengemeinschaft (
https://www.facebook.com/Kirschbluetengemeinschaft).
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Kriegerschule / Die Kriegertexte, Sach-buch Spiritualität, Basic Editions, 2010
Vor allem übernimmt der Krieger für alles, was er tut und was mit ihm ist, für sein ganzes Leben die Verantwortung. Das heisst, dass er kein Selbstmitleid hat, sich nie als Opfer fühlt und seine Entscheidungen, einmal getroffen, weder anzweifelt, noch bereut. Der Krieger schafft sich seine eigene Stimmung. Es ist nicht einfach, die Stimmung eines Kriegers in sich zu errichten. Es ist eine Revolution; es ist die grossartige Tat eines Kriegergeistes.
S. 25
Der Durchschnittsmensch ist immer besorgt darum, geliebt zu werden. Der Krieger liebt. Er liebt alles. Er liebt für nichts und wieder nichts. Das ist seine Freiheit.
Wenn ein Mensch sich auf den Weg macht, ein Krieger zu werden, wird er sich allmählich be-wusst, dass er das gewöhnliche Leben für immer hinter sich gelassen hat. Er legt sich eine neue Art zu leben zu. Für alles, was er tut, auch für die kleinste Kleinigkeit, übernimmt er die Verant-wortung. Er agiert seine Gedanken und Gefühle nicht mehr aus wie der Durchschnitts¬mensch, der niemals die Verantwortung übernimmt für das, was er tut. Er ist nicht länger Op¬fer oder Täter. Allem Leid hat er ein Ende gemacht in sich. Er ist frei.
S. 44
Das Leben der Menschen ist die Hölle, solange sie denken, sie seien Opfer. Das, was sie un-glücklich macht, ist ihr Begehren. Nur ein Krieger kann wirklich überleben. Sein Wille, seine Ab-sicht macht ihn unverletzlich und erfolgreich. Absicht ist der Link, die Verbindung zwischen ei-nem Menschen und der Welt, letztlich dem Menschen und dem Geist des Ganzen.
Für den gewöhnlichen Menschen bedeutet Wille Charakter und persönliche Veranlagung. Was der Krieger Wille nennt, ist eine Kraft, die von innen kommt und sich vom Bauch, vom Solar her an die Welt heftet. Sobald wir die Welt mittels der Absicht fühlen, nehmen wir sie nicht mehr aus-serhalb von uns wahr, sondern in uns drin. Das Äussere entspricht dann eher einer möglichen Beschreibung, der Beschreibung des Durchschnittsmenschen. Seinen Willen entwi¬ckelt der Krie-ger im Umgang mit den Dingen des Alltags.
S. 69
Ein Krieger als Pirscher pirscht alles an. Er kann alles zu seinem Opfer machen, das er schliesslich erlegt. Sogar seine eigenen Schwächen. Was er braucht, um ein makelloser Pirscher zu sein, ist eine klare Absicht. Er beabsichtigt, die menschliche Form zu verlieren, um frei zu sein. Deshalb überwindet er alles Selbstmitleid und alle Wichtigkeit, da sich die menschliche Form davon er-nährt. Am Ende geht er über alle menschlichen Gefühle hinaus. Da er sein Schicksal völlig akzep-tiert hat, wird für ihn alles gleich. Darin liegt ein Glück, wie es nur der Krieger kennt.
Was andere sagen und denken, hat für ihn alle Bedeutung verloren. Sein Kampf findet in der eige-nen Brust statt. Die Kunst des Kriegers ist es ausserhalb von allem zu stehen und unbe¬merkt zu bleiben. Er vergeudet seine Kraft nicht und verwickelt sich nicht in allerlei Idiotien.
S. 80
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Das Inzesttabu, Band I, Die Art des Kriegers, Zusammenfassende Gedanken zum Lebenswerk, Basic Editions, 2010
Was dem Krieger hilft, die Welt anzuhalten, eine Vorbedingung, um Wirklichkeit sehen zu kön-nen, ist das Erwachen für die Zeichen, die ihm die Welt gibt. Er schärft seine Wahrnehmung. Um Energie zu gewinnen, die für das Sehen, das Erwachen für den Geist notwendig ist, gibt er über-dies seine persönliche Geschichte auf. Um sie aufzugeben, muss er dies zuerst wollen. Demselben, Energie zu gewinnen und für die Zeichen der Welt offen zu sein, dient auch sein lebenslanges Bemühen, die eigene Wichtigkeit zu überwinden. Dabei hilft ihm vor allem, dass er in allen Situa-tionen den Tod als Ratgeber nimmt. Das Bewusstsein seines Todes erinnert den Krieger wie nichts sonst daran, dass nichts wirklich wichtig ist.
Vor allem aber übernimmt der Krieger für alles, was er tut und was mit ihm ist, für sein ganzes Leben die Verantwortung. Das heisst, dass er kein Selbstmitleid hat, sich nie als Opfer fühlt und seine Entscheidungen, einmal getroffen, weder anzweifelt noch bereut. Um all dies zu erreichen, versteht sich der Krieger als Jäger, das heisst, dass er selbst darüber entscheidet, wann er wofür erreichbar und wann er unerreichbar ist. Dies bedeutet, die Welt immer nur dosiert zu berühren und sich nie etwas vorzunehmen, was zu gross für ihn ist. Der Krieger erschöpft weder sich noch andere. Ein Jäger zu sein, heisst aber auch, Gewohnheiten immer wieder zu durchbrechen. Um seine Kontinuität zu zerbrechen, tut der Krieger alles, was er tut, so, als wäre es seine letzte Schlacht auf Erden. Um sich zugänglich für Kraft zu machen, befasst er sich mit dem Träumen und dem Pirschen.
S. 62
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Wahrheit, Sachbuch Philosophie, Basic Editions, 2010
Wir haben ein Herz, das uns sagt, was zu tun ist. Jeder hat ein Herz, das ihm ganz klar aufzeigt, wie er in irgendeiner bestimmten Situation zu handeln hat. Es bleibt dabei, wir wissen und wir sind frei. Wir benutzen diese Freiheit selten für das Gute und haben dann als Konsequenz davon den „letzten Menschen“. Und niemand wird dies verändern können. Wir gestalten unsere Welt, unser Zusammenleben auf unserem Planeten so, wie wir es wollen, und das haben wir dann auch. Keiner ist darin Opfer. Jeder hat den Platz, der ihm zusteht. Lauter Wahrheiten, einfache, simple Wahrheiten.
S. 103
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Bis dass der Tod uns scheidet…/ Psycholyse - Psycholytische Psychotherapie, Die Geschichte der substanzunterstützten Psychotherapie in der Schweiz und in Europa nach 1970, Basic Editions, 2013
Auch bezüglich des Innern beschäftigt uns oft das Kleine. Das Kleinliche. Es muss verstanden, betrachtet, rekapituliert sein, damit es Energie sparend unkompliziert funktionieren kann, so dass Raum bleibt und Stille, in denen sich das Grosse offenbaren kann. Ordnung im Kleinen schafft Platz für das Grosse.
Verweigerung gibt es anzuschauen. Das verpasste Leben. Die Verweigerung des Lebens, die Ver-weigerung Geschenk zu sein.
Rekapitulation. Was ist Rekapitulation? Wir lernen darüber.
Die Gesamtheit seiner Energie auf einmal, in einem Griff mit seiner Wahrnehmung zu umfassen, ohne über das nachzudenken, was dann geschieht, und entschlossen, in keinem Fall wieder loszu-lassen. Transformation kommt daraus. Man kann auch die Energie eines anderen rekapitulieren, die Energie einer ganzen Situation, eines Felsens, Tieres oder Busches. Verständnis kommt daraus, ein Einsichtnehmen in die Geschichte, die Evolution, in alles. Träumen kommt daraus, ein Reisen des Bewusstseins in Zeit und Raum. Ein Ergrün¬den von allem, was ist.
Wichtig ist es, sich allen Aspekten einer persönlichen oder kollektiven Erinnerung zuzuwenden. Nicht nur das Opfer einer gewalttätigen Situation gilt es zu verstehen, gilt es zu sein. Sich auch mit dem Täter-Aspekt zu identifizieren, ihm nachzuspüren, ist notwendig und erhellend, und vor allem auch den feigen Zuschauer zu betrachten, der in allen Situationen des Lebens gegenwärtig ist, der nie zu etwas Stellung bezieht und der dadurch vielleicht am meisten mitverantwortlich ist für alles Leid, das die Menschheit erfüllt. Wir sind das ganze Bild, das sich uns zeigt, wir sind ver-antwortlich für das ganze Gehirn, das wir besitzen und welches das Gehirn der Menschheit ist.
Exakt zu sein in der Selbsterkenntnis, exakt zu sein bezüglich der Rekapitulation, treu zu sein im Kleinen, sowohl was das Äussere wie das Innere betrifft, all dies ist Voraussetzung, um einladend für das Grosse zu sein. Dieses ist immer da, die Einheit von allem ist als Hintergrund immer ge-geben, oft sehen wir sie nur nicht. Aufgeräumt zu sein bezüglich des Kleinen hilft, damit nicht alle unsere Energie darin gefangen bleibt, verbraucht wird, damit Weite und Musse entstehen, in de-nen sich uns das Grosse mitteilen kann.
S. 209
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Ins Herz der Dinge lauschen, Vom Erwa-chen der Liebe, Über MDMA und LSD, Die unerwünschte Psychotherapie, Sachbuch Psychologie, Nachschat-ten-Verlag, 7. Auflage 2013
Wenn du depressiv bist, bist du auch ein sehr trotziger Mensch. Du willst immer nur das Opfer sein und versteckst den Täter in dir. Du willst keine Verantwortung übernehmen, vor allem nicht für deine eigene Wahrheit. Du willst sie fliehen. Du willst lieber bedauernswert und hilflos bleiben um jeden Preis. Du willst nichts geben, sondern nur nehmen. Nur wenn du deinen wahren Willen hinter deinem Trotz wiederentdeckst, nur wenn du einsiehst, wie du dich selbst im Stich lässt, wirst du den Weg daraus finden.
S. 111
Es wurde oft diskutiert, ob unsere Gesellschaft krank und damit für die Erkrankung des Einzel-nen verantwortlich sei. Sicher ist unsere Gesellschaft tatsächlich krank. Mir scheint, eine Gesell-schaft, in der sich die Mehrheit der Menschen nicht wohlfühlt, eine Gesellschaft, die sich gegensei-tig in dauernden Kriegen zerstört, in der dauernd gegeneinander statt füreinander gearbeitet wird, die auf Konkurrenz, Wettbewerb und Ehrgeiz statt auf Zusammenarbeit basiert, kann als krank oder jedenfalls als unterentwickelt bezeichnet werden. Trotzdem ist der Einzelne, der krank wird an dieser Gesellschaft, nicht der Gesunde, sondern einer der sich wehrt gegen das Kranke, ohne sich aber davon befreien zu können. Besonders bei der Schizophrenie wird das sehr schön sicht-bar. Geistesstörungen sind nicht einfach Ausdruck der gesellschaftlichen Widersprüche. Wer dies sagt, schiebt die Verantwortung ab auf eine anonyme Gesellschaft, die vom Einzelnen, der nur Opfer und nicht auch Verantwortlicher ist, getrennt ist. Gesellschaftliche Widersprüche und da-mit auch Geistesstörungen sind viel mehr Ausdruck innerer Widersprüche. Dies führt dann zu Wechselwirkungen, zu Teufelskreisen, indem innere Widersprüche gesellschaftliche Widersprüche erzeugen und diese den Einzelnen wieder beeinflussen. Am Anfang beginnt es aber mit dem “In-nen”, das das “Aussen”, die Gesellschaft, erzeugt. Wir sind die Gesellschaft, nicht getrennt, son-dern verantwortlich für sie.
S. 144
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Zusammen leben - Gemeinschaft und Ge-meinschaftsbildung, Basic Editions, 2013
Um „Ziele“ wie Konfliktfreiheit und konfliktfreies Zusammenwirken in einer echten Gemein-schaft zu „erreichen“, muss man ein Krieger sein. Als durchschnittlicher Mensch geprägt von Konditionierungen, gefangen in Gewohnheitsmustern und Verdrängungen, belastet mit der unse-ligen menschlichen Tendenz, sich gehen zu lassen, ein Opfer sein zu wollen und nie die Verant-wortung für sein Handeln zu übernehmen, hat man nicht die geringste Chance. Nur der Krieger wird den Zugang zur Herzgruppe finden, nur dem Krieger wird es möglich sein, seinen Krieger-trupp zu erkennen.
S. 227
Der Geist des Kriegers ist ein Geist des Trotzdems, die Haltung des Kriegers ist eine Haltung des Trotzdems. „Obwohl das Leben hart ist mit seinen Herausforderungen, bin ich trotzdem kein Opfer. Obwohl auch in mir diese schier unüberwindbare Nachlässigkeit der menschlichen Kondi-tion, sich ständig gehen lassen zu wollen, sitzt, werde ich ihr trotzdem widerstehen. Obwohl heute am Übergang einer alten zu einer neuen Geschichte alles hoffnungslos und sinnlos erscheint, wer-de ich mich trotzdem nicht unterkriegen lassen. Obwohl noch kaum jemand die Zeichen sieht, werde ich mich trotzdem schon ganz allein aufmachen und trotz aller Schwierigkeiten, allen Wi-derstandes, aller Gegnerschaft und allem Belächelt-Werden zum Trotz gegen den Strom schwim-men.“
S. 229
Ein Krieger ist nie am Ende seiner Lehrzeit. In seiner Makellosigkeit reift er solange er lebt. Die Haltung des Kriegers umschreibt die grundlegende Qualität, aus der echte Gemeinschaft hervor-wachsen kann: Er lässt sich nicht gehen, er übernimmt die Verantwortung für alles, was er tut; er ist nie Opfer seiner Situationen; und vor allem stellt er sich der Wirklichkeit, dem, was immer ist. Diese Haltung und schliesslich die Meisterschaft darin ist die Voraussetzung für diesen Zustand der Konfliktlosigkeit, für die Stimmung des Kriegers, die Konfliktfreiheit in Beziehungen, im Zusammenleben einer Gemeinschaft am Ende möglich macht
S. 230
Der Krieger lernt während seiner Schulung, den inneren Dialog, das Denken, anzuhalten. Dies ist ein ganz wichtiger Schritt, wenn er es erreicht, da ihm der Zustand innerer Stille nicht nur Wohl-befinden und Glück, den Zustand der Gelassenheit, den er die Stimmung des Kriegers nennt, ge-währt, sondern ihm auch das Tor öffnet zum Erleben neuer Räume der Wirklichkeit, der Tie-fendimension unseres Seins. Ohne innere Stille sind die Verschiebung des Montagepunktes, die dafür eine Voraussetzung bildet, das Träumen, das er als Fahrzeug dafür benutzt und das Sehen, das unmittelbare Wahrnehmen von Wahrheit und Wirklichkeit in diesen Räumen, letztlich ihres rein energetischen Ausdrucks, undenkbar. Darunter, „nicht zu denken“, stellt sich der Anfänger oft allerlei Wirres, zum Beispiel einen Zustand der Dumpfheit und Blödheit vor, wie er uns etwa von einem schweren Alkoholrauch her bekannt ist. Nicht denken, ist tatsächlich etwas ganz ande-res. Nicht denken, könnte man gerade so gut als höchst entwickeltes, einsichtsvolles und intelli-gentes Denken verstehen.
Das, was „eingestellt“ wird, wenn das Denken angehalten wird, ist eine bestimmte Art des Den-kens. Dieses beinhaltet das Drehen um sich selbst, das Kommentieren und Kontrollieren von al-lem, was einem widerfährt, das unbewusste, unaufmerksame, innerliche vor sich hin Plappern, das sich Beklagen über alles und jedes und das sich in gedanklichen, Emotionen schaffenden Reaktio-nen sich Gehen-Lassen bezüglich aller Situationen, in denen man sich als Opfer erfährt. Es ist das Denken des Durchschnittsmenschen, das durch eine schludrige, unbewusste, nicht wache Haltung allem gegenüber zustandekommt.
Das Gegenmittel, das diese Art des Denkens beendet, ist Wachheit, Bewusstheit. Der Krieger lässt sich nichts entgehen. Man kann daher den Zustand des Nichtdenkens auch einfach als Zustand erhöhter Aufmerksamkeit sehen. Sobald alle Energie in die Aufmerksamkeit geführt ist, bleibt keine für die Art nachlässigen Denkens übrig.
S. 251
Aus: Samuel Widmer Nicolet und Mitautoren: Echte Psychotherapie, Eine Psychotherapie für eine neue Zeit, Ein Lehrbuch, Anleitung zur Selbsterkenntnis als therapeutischer Prozess, Basic Editions, 2013
Natürlich gibt es auch diejenigen, die es nie lernen oder nicht lernen wollen, die Opfer bleiben wollen und nicht willens sind, die Verantwortung zu übernehmen. Sie wollen keine Krieger wer-den. Das Konzept des Kriegers fasst gut zusammen, zu welchem Wirklichkeitsverständnis und welcher Lebenshaltung Therapie führen will. Und selbstverständlich gibt es auch diejenigen, bei denen man feststellen muss, dass sie es beim besten Willen einfach nicht schaffen, dass es ihnen an Intelligenz oder an Willensstärke fehlt, auf diesem Weg weit vorankommen zu können.
S. 79
Immer wieder ist es der eine Schritt, zu dem die Selbsterkenntnis einlädt: das Beobachten, das sich Hinwenden, das Einswerden. Es ist eine bewusste Haltung, eine Entscheidung. Kann ich für ein-mal all meinen Widerstand aufgeben und einsinken in das Unausweichliche, in das, was ich finde, wenn ich genau betrachte? Kann ich in mir selbst die Opferhaltung und die Täterschaft erkennen und ihren Hintergrund aufspüren? In den gewaltsamen und zum Teil extrem traumatisierenden Konflikten der Menschen ist es schwierig genug, die Seite des Opfers ganz in sich zu fühlen und zuzulassen. Es braucht viel Mut und Bereitschaft sich auch der Seite des Täters zu widmen, auch dort wirklich verstehen zu wollen. Auf dem Grund des Eins-Seins liegt Verstehen, ein tiefes Ver-stehen für mich und die Welt, für das Opfer und den Täter. Tiefes Verstehen bringt Ruhe, Stille; man ist vom Konflikthaften des Veränderns in der Stille des Verstehens angekommen. Von hier aus für Recht und Unrecht einzustehen, ist frei von Reaktion, ist frei von Aggression. Und wenn die Hand das Schwert führen muss, dann ist es das Herz, das die Hand aus der Stille und aus der Liebe herausführt.
S. 304
Frei zu werden von der Konditionierung auf ein angepasstes, mittelmässiges Leben, verlangt die exakte Prüfung und danach komplette Negierung eines jeden gewohnheitsmässigen Verhaltens-musters, in Beziehung, von Glaubenssätzen und Tabus. Das Denken als ein adäquates Werkzeug im Umgang mit dem Lebendigen zu betrachten, muss total negiert werden.
In der stillen Betrachtung seiner persönlichen Geschichte, in der Negation einer jeden Reaktion darauf, des Selbstmitleides zum Beispiel, der Opferhaltung, der Wut oder Ohnmacht, des Unge-liebtseins und der Einsamkeit, löst diese sich schliesslich als gefühlsmässige Wirklichkeit und als Form, an welche die Energie gebunden ist, auf.
Eine gewissenhafte Rekapitulation sowohl seiner persönlichen, wie später dann auch der kol-lektiven Geschichte bis in die Gegenwart hinein, ermöglicht dem leidenschaftlichen Bewusstseins-forscher das Negieren seiner Vergangenheit. Alles, was gründlich rekapituliert ist, kann schliess-lich negiert werden. Nichts bleibt davon. Daraus kommt das, was die Krieger „die menschliche Form verlieren“ nennen.
[…] Nichts Besonderes sein müssen, nichts unbedingt zu wollen, alles, was ist, zulassen zu kön-nen, lässt einen zunehmend eine freie Energie sein.
S. 330
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Letters to the World/ Briefe an die Welt, Briefe, Basic Editions, 2009
[Brief an die Unterdrückten] Sind wir nicht alle in irgendeiner Weise Opfer unserer Konditionie-rung, geknechtet, geknebelt, gefoltert in der Anpassung an irgendein System, eine Ideologie, einen Glauben, den wir zwar selbst geschaffen haben, der uns aber nichtsdestotrotz gefangen hält. Nir-gends, wenn man gründlich sucht, findet man den Verursacher, den Verantwortlichen für unser Leid. Es sind nicht wirklich die Reichen und Mächtigen, die schuldig sind, die sich dies alles er-dacht haben. Es sind weder die Behörden, noch die Geistlichen. Auch sie alle sind genauso wie die offensichtlich Unterdrückten Opfer der Gehirnwäsche, der Gedankenmuster, in die wir uns ver-fangen haben. Wer dann hat sie hervorgebracht?
Sind wir etwa alle Opfer und Täter zugleich? Sind wir etwa gleichzeitig betroffen und verantwort-lich?
S. 125
[Briefe an die Dumme] Denn auch wenn du innerlich noch so kaputt gemacht worden bist, wenn du dich wirklich zu Recht als Opfer sehen kannst, schlummert in dir doch immer noch etwas Wahres, etwas Lebendiges, zu innerst drin die Liebe, der du dienen solltest. Und es ist trotz allem deine Verantwortung und liegt im Bereich deiner Möglichkeit, dafür zu erwachen.
S. 104
[Brief an die Behinderten] In Auseinandersetzungen zwischen Menschen, die lieben, und solchen, die nicht lieben, wird praktisch immer so empfunden, als wäre der Liebende der Täter, der Nicht-Liebende hingegen das Opfer. Das kann man auf den verschiedensten Ebenen der Auseinander-setzung beobachten, in Beziehungskrisen, in Gruppenstreitigkeiten, auf der internationalen Bühne. Tatsächlich ist es genau umgekehrt. Der Liebende ist immer das Opfer. Er empfindet sich aber nicht so und stellt sich auch nicht so dar. Im Gegensatz zum Nicht-Liebenden, der immer der Täter ist, dies aber grundsätzlich anders empfindet und darstellt. Dies ist eine der Hauptanwen-dungen des Abwehrmechanismus Projektion und ist verantwortlich für viel Unwahrheit in der Welt.
Lieber Bruder, liebe Schwester, die ihr behindert seid, euer Opfersein, resultierend aus dem Um-gang von uns Menschen mit dem Leben, stellt euch in eine Pflicht. Schicksalhaft seid ihr aufgefor-dert, ein Fingerzeig zu sein für das, was wir alle nicht sehen wollen.
S. 191
1)
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Einfachheit / Simplicity (zweisprachig, englisch/deutsch) - Gedichte, Basic Editi-ons, 2009, S. 186