Newsletter 3/2024 - Liebe
.pdf
Juni 2024
L
iebe ist
Liebe ist
darum ist sie da und jetzt
Liebe ist lauschen
ins Herz der Dinge
Liebe sieht
Liebe nimmt wahr
Liebe ist Stille und Bewegung
in der Einheit von jetzt. Da und du
Liebe ist frei
darum lässt sie frei
Liebe geht einsame Wege
sie bindet nicht, sie geniesst die Schönheit
Liebe weiss
Liebe ist klar
Liebe ist das, was ist, will das, was ist
bewegt das, was ist, geht mit allem leben
Liebe ist Ganzheit
darum heilt sie
Liebe ist Stimmigkeit und Ehrlichkeit
zwischen deinem und meinem Herz
Liebe lernt
Liebe ist Licht
Liebe begreift, aber ergreift nicht
ist ergriffen ohne zu begreifen
Liebe ist stark
darum ergibt sie sich
Liebe lässt den andern gewinnen
sie gibt sich hin und versetzt damit Berge
Liebe ist. (1)
Love is like a cat, always ready to divorce
Osho
Liebe Leser
Vor ein paar Wochen, auf der Suche nach einem Gedicht von Samuel über die Liebe für einen Flyer, musste ich feststellen, dass ich in den letzten sechs Jahren noch nie einen Newsletter über die Liebe zusammengestellt habe. Und das obwohl die Liebe das Wichtigste für Samuel war. In seinem Leben, in seiner Lehre ging es schlussendlich immer um die Liebe, weil für ihn die Liebe für alles die Lösung ist. «Versuchen wir es mal mit Liebe! Wieso nicht endlich mit Liebe?» ruft im Roman «Kirschbaumblüterblätterweiss» sein Alter Ego Sebastian.
Über die Liebe gibt es von Samuel tausende von schönen Texten , wovon hier unten eine Auswahl aus nur ein paar Büchern ist. Das Lesen von diesen Texten, von Liebesgedichten und Liebesge-schichten hat mich in den letzten Tagen wehmütig gestimmt und sehnsüchtig gemacht; über das wunderbare Erlebte, aber auch über das Vermisste. Einem Frühling oder Sommer ohne ganz per-sönliche und romantische Liebegeschichte fehlt irgendwie immer etwas.
Und trotzdem ist die Liebe ein fester Bestandteil meines Lebens, die ganz persönliche zu den wichtigsten Menschen, zu den Tieren und der Natur, zum Leben trotz allen Herausforderungen, und dann das Immer-Dranbleiben, ein offenes Herz für alles und alle trotz allem zu haben.
Ich hatte das unbezahlbare Glück, die bedingungslose Liebe zwischen nicht nur zwei, sondern drei Personen kennenzulernen. Heute, wo wir Hochzeitstag haben (immer ein besonders trauriger Tag, wenn der Geliebte im Himmel ist), und wenn man alles immer wieder hört, wie zwischen Menschen die Liebe fehlt, scheint mir dieses Wunder noch grösser als sonst.
Lasst euch inspirieren von den schönen, zur ganz grossen Liebe einladenden Texten!
Romina Mossi
mit Danièle Nicolet Widmer und Marianne Principi
N.B. Seit April ist die Website
www.samuel-widmer.ch online. Diese ist in den letzten zwei Jahren entstanden, als so zusagen Höhepunkt der Arbeit des Vereins Samuel Widmer Nicolets Erbe und ist als Dokumentationszentrum für Samuels Lebenswerk und Lehre entstanden. Zu jedem
Thema, mit dem sich Samuel in seinem Leben befasst hat (Psycholyse, Selbsterkenntnis, Gemeinschaftsbil-dung, Tantra, Inzesttabu, Liebe, Schichtenmodell, uvm), gibt es zusammenfassende Texte, die auch als .pdf herunterladen werden können. Die meisten
Werke (Vorträge, Meditationen, Artikel, Briefe, Gedichte, seine Bilder,…) sind schon hochgeladen und stehen allen zur Verfügung. Habt Freude damit!
Bevorstehende Termine des Hofs zur Kirschblüte:
Die Praxis Hof zur Kirschblüte informiert Interessierte ein paar Mal jährlich per E-Mail über ihr
Seminarangebot. Ihr könnt euch hier eintragen:
https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht.
Die letzten Newsletter findet ihr hier
hier.
Die Programmübersicht mit den Angeboten für 2024 und
neu auch für 2025 findet ihr jeweils hier:
https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht.
- Am 6. juni treffen wir uns wieder online für die Meditation zum Thema "Spirituell-Magisches Träumen" (auch als Vorbereitung für die 3-jährige Ausbildung im "Spirituell-Magischen Träumen" ab Herbst 2025 geeignet).
- Im Juli findet das jährliche Seminar in Berlin statt in Zusammenarbeit mit Konstantin Stavridis und Marie Kretzschmar zum Thema "Verlässlichkeit und Treue".
- Im August treffen wir uns wieder in der Seminarreihe "Das Allerinnerste – Vom Duft des Ankommens".
zum Thems "Mut/Sanftmut".
- Im September findet wieder ein Kleingruppenseminar statt.
- Ebenfalls im September findet ein offenes Tantra-Seminar mit dem Titel "Heimat beinhaltet Authentizität" statt.
- In Kolumbien werden wir wieder im Oktober 2024 sein, in Indien wieder im Dezember 2024, in der Wüste im Frühling (5.-19.4.) 2025.
Ab sofort bietet die Praxis Hof zur Kirschblüte für Menschen mit einem Euro-Einkommen eine
Preisermässigung bis zu 20% nach eigenem Ermessen für die Seminare in der Schweiz an.
Dieser Newsletter kann auf der Website des Vereins "Samuel Widmer Nicolets Erbe" (
https://samuel-widmer.org/de/news) kostenlos abonniert werden.
Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis.
Die Newsletter findet ihr auch auf der Website der Praxis Hof zur Kirschblute (
https://hof-zur-kirschbluete.ch) und der Kirschblütengemeinschaft
(
https://gemeinschaft-kirschbluete.ch) oder auf dem Facebook-Kanal der Kirschblütengemeinschaft (
https://www.facebook.com/Kirschbluetengemeinschaft).
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Liebe äussert sich ganz einfach, Wundersame, hinterhältige, humorvolle und schauerlich schöne Geschichten, Geschichtenband, Basic Editions, 2000
Die Liebe äussert sich ganz einfach
sie sagt:
du, ich komme
du, ich gehe
wo viele Worte sind,
da wohnt die Liebe nicht -
sie ist,
wenn ICH nicht bin –
S. 75
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Vom Allerinnersten, Meditationen, Basic Editions, 2005
Liebe
Der Prozess der Selbsterkenntnis führt zum Entdecken der Liebe im eigenen Herzen. Das ist vielleicht das Wichtigste überhaupt. Im Innersten des Herzens beginnt ein Quell zu sprudeln, der unversiegbar ist und der aus dem Nichts zu kommen scheint. Der innerste Kern in uns drin, in allem drin ist vor allem auch Liebe. Immer wieder erstaunt es, dass noch nicht Allgemeingut ist, was Liebe nicht ist, denn die Liebe lässt sich nur schwer fassen, viel leichter lässt sie sich negativ definieren dadurch, dass wir alles abstreichen, was sie nicht ist.
In der Auseinandersetzung mit den Angriffen auf unsere Arbeit, denen wir oft ausgesetzt waren, mussten wir immer wieder erkennen, dass man uns missverstanden hat, weil man meinte, wir meinten das Übliche, was Menschen darunter verstehen, wenn wir von Liebe redeten, nämlich Sex, Abhängigkeit, Besitzdenken, Eifersucht. Aber all das hat mit Liebe nichts zu tun. Liebe ist das, was übrigbleibt, wenn dies alles im Prozess der Selbsterkenntnis verstanden ist und darum von einem abfällt.
Liebe ist der innerste Kern in uns. Das Heiligtum, das, was wir wirklich und in der Tiefe sind. Was soll man noch sagen über die Liebe, alles ist über sie gesagt, und trotzdem wohnt sie nicht unter den Menschen. Ich dachte, jeder hätte es begriffen inzwischen. Aber immer wieder muss man es aufzeigen, was die Liebe nicht ist. Sie ist nicht Abhängigkeit, nicht Eifersucht, nicht Besitzdenken. Aber was ist sie dann? Und wie erlangt man sie?
Zuerst öffnet einen Selbsterkenntnis, die Beschäftigung mit sich selbst für den Fluss der Liebe. Aber ab einem gewissen Punkt ist es umgekehrt: Die Beschäftigung mit uns selbst macht uns zu. Was uns öffnet ist dann, das Du zu berühren, uns zu kümmern, uns zu verschenken, uns vom Du durchdringen zu lassen. Das ist dann die tägliche Übung der Überwindung des Selbst, ein Leben lang.
Etwas plakativ könnte man sagen: Lieben ist die Fähigkeit, zu dritt, zu vielt zu lieben. Das, was üblicherweise als Liebe bezeichnet wird, die Liebe zu zweit, ist eher die Art von Liebe, die in Wirklichkeit Eifersucht und Besitzdenken ist, die Art von Liebe, die lieber etwas dagegen hat, dass die anderen beiden im Dreieck sich auch lieben, als selbst zu lieben.
Früher glaubte ich immer, die Menschen seien nicht dreiecksfähig, weil es verboten ist, sie müssten entsprechend befreit werden. Das ist auch tatsächlich ein Teil des Problems. Aber in Wirklichkeit ist es vor allem die andere Tatsache, dass die meisten Menschen gar nicht zu dritt lieben wollen, sie wollen nicht teilen und Rücksicht nehmen, sie wollen nicht gestört werden. Sie wollen den anderen für sich allein, jeden, den sie treffen, für sich allein. Liebe, könnte man sagen, ist die Bereitschaft, sich aufs Teilen einzulassen, aufs Rücksichtnehmen, aufs Berücksichtigen, dass der andere, die anderen dieselben Bedürfnisse haben.
Das, was dem Fluss der Liebe im Weg steht, ist der Widerstand des Selbst. Dieses kann man nicht einfach loslassen. Niemand tut das freiwillig. Das hält nicht. Vielmehr ist es so, dass man an seinem eigenen Nicht-Wollen verzweifelt, weil man sich ihm stellt, es sieht. Weil man es nicht verdrängt, sondern beharrlich mit dieser Tatsache bleibt, bis es schliesslich zu einem Zusammen-bruch kommt in einem drin. Der Boden fällt gewissermassen raus. Der Widerstand bricht auf sei-nem Höhepunkt zusammen, nicht Ich habe ihn aufgegeben. Darum ist schliesslich seine Kraft, meine ganze Kraft in der Liebe enthalten.
Ein weiterer Aspekt der Liebe ist zum Beispiel, das sie den anderen den Freundschaftsdienst nicht schuldig bleibt. Das heisst, sie ist fähig, Schmerz zuzufügen, da wo es notwendig ist. Sie trägt den anderen zwar in diesem Schmerz, sie leidet mit ihm im Mitgefühl, aber sie vermeidet nicht, dem anderen die schwierigen Gefühle in der Beziehung zuzumuten, die daraus resultieren, dass dieser falsche Bilder hat, die korrigiert werden müssen. Die Gefühle zuzumuten, an denen der andere wachsen kann.
Liebe ist Mitgefühl, oder zumindest eine Vorstufe davon. Mitgefühl ist kein nettes Gefühl zum anderen hin, sondern ein Einssein mit ihm; die Fähigkeit, energetisch, gefühlsmässig seinen Schmerz, sein Leid, seine Angst, sein ganzes Sein mitzufühlen. Mitgefühl ist Liebe, die sich mit dem Schmerz über unsere Tragik gepaart hat, eine Leidenschaft, die für Wahrheit und Wirklich-keit geht und nicht locker lässt, bevor alles, alles wirklich gut ist. Die bereit ist zu tragen und zu transformieren, bis nur noch das Gute bleibt.
Lieben heisst, aus dem Herzen heraus zu leben, aus dem Herzen zu schauen, vom Herzen her in Beziehung zu stehen. Der Quell im Herzen wird genährt von unten, von der Kraft der Erde, die durch Becken und Bauch ins Herz hochsteigt und weiter in den Kopf und darüber hinaus. Das ist der eine Fluss, der das Herz stärkt. Der andere kommt von oben, vom Himmel, vom Unermessli-chen. Er fliesst in ein stilles Gehirn ein und senkt sich ins Herz hinunter, in den Bauch und das Becken, und verbindet sich schliesslich wieder mit der Erde.
S. 20
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Im Irrgarten der Lust - Abschied von der Abhängigkeit/ Die Geburt der Freude: Eine Liebesgeschichte, Sachbuch Psychologie, Basic Editions, 3. Auflage 2010
Die Einsamkeit endet dort, wo ich beginne, mich selbst zu lieben und aufhöre, die Liebe, die ich brauche, ausser mir zu suchen.
Damit beginne ich überhaupt zu lieben. Ich erkenne, dass der einzig adäquate Gefühlszustand in Bezug auf mich selbst, in Bezug auf die anderen Menschen, in Bezug auf die Welt, wie sie immer gerade ist, der Zustand der Liebe ist, und lieben heisst nichts anderes, als jederzeit und in jeder Situation mit dem innersten Wesenskern dessen, was gerade ist, in Kontakt zu sein, diesen zu er-kennen und zu respektieren. Damit enden alle Projektionen. Damit enden auch alle Gefühle in mir. Die Liebe erkennt, was ist, lebt mit dem, was ist, und liebt das, was ist. Sie sieht zwar, dass das, was ist, häufig nicht gut ist, nicht richtig ist, nicht stimmig ist; sie sieht auch, dass das Paradies sein konnte und nicht stattfindet. Aber sie reagiert darauf nicht mit Trauer, nicht mit Wut; sie reagiert überhaupt nicht auf diese Tatsache, sondern, sie sieht sie, wie sie ist und tut, was nötig ist, damit vielleicht irgendeinmal das Paradies entstehen kann. Sie liebt, was ist!
S. 20
Nur wer ganz in der Liebe steht, macht keine Fehler mehr. Was er tut, ist dann in jedem Fall richtig.
S. 57
Das was wirkt in der Psychotherapie, ist die Liebe; das was wirkt, ist der Liebende im Therapeuten. Je mehr dieser hervortreten kann, sich offen zeigen kann, ganz entfaltet ist in ihm, desto ganzer seine Wirkung. Dies gilt nicht nur für die Psychotherapie, das gilt für Beziehung überhaupt, fürs Leben überhaupt. Es ist immer die Liebe, das Durchbrechen dieser Kraft, die das Gute, das Heile, das Ganze schafft. Wir können es drehen und wenden wie wir wollen, wir stossen immer wieder auf diese Tatsache. Wir können es erklären in den kompliziertesten Terminologien, wir können noch und noch wissenschaftliche Analysen darüber anfertigen, was den Lehrer zum Lehrer, den Therapeuten zum Therapeuten, den Menschen zum Menschen macht. Weder Ausbildung, noch Wissen, noch Technik, noch Methode ersetzen die Liebe zum Nächsten und die Freude an ihm, wenn sie nicht da ist. Wenn wir einen Therapeuten brauchen, können wir den nächsten Menschen, dem wir begegnen, nehmen und ihn daraufhin prüfen, ob er liebt oder nicht. Er kann Fabrikarbeiter, Generaldirektor, Hausfrau oder Polizistin sein; wenn er liebt, wird er uns helfen können; wenn er nicht liebt, wird er uns in die Irre führen.
S. 69
Nur wer sich lieben lässt, kann geliebt werden.
S. 100
Was wir normalerweise unter Liebe verstehen, ist tatsachlich Anziehung. Sie findet statt zwischen mir und andern. Zu ihr gehört die Einsamkeit, das Ausgeschlossensein und auch die Abstossung. Das alles ist unzertrennlich. Auch negative Emotionen gehören dazu. Liebe ist etwas ganz anderes. Sie verändert sich nicht. Das, was jeden Tag anders ist, sind Emotionen. Schone Gefühle für einen andern zu haben, ist nicht Liebe. Um zur Liebe zu finden, muss man zuerst ganz ehrlich in sich beobachten und entdecken, was Liebe nicht ist, und wo wir nicht liebesfähig sind. Sich das einzugestehen, heisst, sich zu öffnen für die Möglichkeit unterrichtet zu werden. Und das ist vielleicht der wichtigste Schritt, um frei zu werden. Bereits alles wissen zu meinen, hindert uns daran zu lernen.
Von wem können wir lernen? Vor allem von seiner inneren Wahrheit, dann von Beziehungen überhaupt und eventuell im speziellen von einer Beziehung zu jemandem der voraus ist, bewusster ist, was man erkennt, wenn man ehrlich ist und es sich eingestehen kann. Auch von Büchern oder vom Bewusstsein, das andere vor uns erworben haben, zu dem wir einen inneren Zugang herstellen können, können wir lernen. Unsere Vorstellung, getrennte Wesen zu sein, getrennt von den andern, getrennt vom Bewusstsein der Vergangenheit, dem Verstorbenen, ist eine Illusion. Wenn wir demütig genug sind, uns von der vorhandenen Weisheit lehren zu lassen, ist sie auch da.
Liebe ist nicht etwas, was wir tun, sondern etwas, das wir sind und dem wir erlauben, durch uns zu fliessen. Wir haben keinerlei Kontrolle darüber. Sie ist uns gegeben von der Quelle. Sie gehört uns nicht. Im Zustand der Liebe zu sein, heisst daher auch total ausser Kontrolle zu sein. Man kann sie nicht tun, man kann sie nicht wollen, nicht beherrschen. Unsere Freiheit besteht lediglich darin, einem Weg zu folgen, von dem wir hoffen, er enthalte sie. Wir können uns öffnen oder ver-schliessen für sie. Oft bilden wir uns ein, liebende Menschen zu sein und dieser Umstand hindert uns am meisten, dies zu werden. Liebende sind wir, wenn wir jedem, dem wir begegnen und jedem, der uns in den Sinn kommt, unter allen Umstanden mit Mitgefühl und Verständnis gegenüberstehen können.
Alle Emotionen, die kommen und gehen, sind nicht die wirkliche Liebe. Ein Gefühl, das nicht ständig in uns ist, ist nicht das Echte. Wir können Liebe nicht machen, aber wir können uns öffnen für sie, das kann jeder. Dann kommt sie und unterrichtet uns in der Form, wie es gut ist für uns. Mit der Liebe kommt auch die Weisheit. Die beiden gehen zusammen. Liebe ist die Essenz unseres Wesens. Wir sind das! Das Problem besteht darin, sich noch darüber bewusst zu wer-den.
S. 135
ZUR LIEBE UND IHREN WEGEN
Mit der Liebe zu gehen, ist wie einem Geheimbund an zugehören. Man ist beigetreten, kennt aber keines der Mitglieder. Man hat sich lediglich verpflichtet, den verschlüsselten Zeichen, die einen manchmal erreichen, zu gehorchen, den Weg, den sie einem diktieren, zu gehen und den eigenen Willen, die eigenen Pläne und Vorstellungen im Interesse der gemeinsamen Sache zurückzustel-len. Solche Zeichen erreichen uns dann von Zeit zu Zeit. Sie sind verschlüsselt und unklar, so dass wir immer ganz die Verantwortung übernehmen müssen, uns nicht einmal ganz klar ist, ob die Botschaft vom Geheimbund, das heisst, von der Liebe herkommt, und ob wir sie richtig aufgeschlüsselt haben. Das bleibt in unserer Verantwortung. Wir werden dann in Prüfungssituationen hineingeführt, wo uns in verschiedenster Weise immer wieder die gleiche Frage vorgelegt wird: Gehst du da mit, auch wenn es heisst, etwas dir Liebgewordenes, eine liebe Gewohnheit, eine liebe Sicherheit aufzugeben? Es kommt dann immer eine Zeit der Angst, der Unsicherheit, der Zweifel, des inneren Ringens, bis wir loslassen können oder scheitern. Wenn die Prüfung erfolgreich bestanden wird, das Loslassen gelingt, sind wir daran gewachsen, fähiger geworden und nun bereit, wichtigere, ausgedehntere Aufgaben zu übernehmen, denen wir durch das Bestehen der Prüfung gewachsen wurden. Zur Prüfungssituation gehört meistens, dass unser Herz uns sagt, wir müssten einen bestimmten Weg durchschreiten; wenn wir ihm aber zu folgen beginnen, signalisieren uns alle Menschen unserer Umgebung, vor allem aber auch die, die uns lieb sind, dass wir die falsche Entscheidung getroffen hatten, die Prüfung nicht bestanden hatten. Durch solche Situationen lernen wir, ganz allein auf uns gestellt zu sein und ganz allein unseren Weg zu finden, auch wenn alle äusseren Anzeichen in eine andere Richtung weisen, auf das Innere zu hören. Die Zweifel, die dann an uns nagen und die Angst, ob wir nicht doch falsch verstanden haben, sind aber in solchen Momenten äusserst gross.
Die letzte solche Prüfung, die ich zu bestehen hatte, hing damit zusammen, dass die Liebe vorbei kam in Form einer neuen, einer sehr unsicheren und sehr neuartigen Beziehung, der Liebesgeschichte, die in diesem Buch am Ende der Kapitel immer wieder aufleuchtet, und mir unmissverständlich zu verstehen gab, ich hatte meine Situation, in der ich sicher, sehr erfolgreich und ei-gentlich recht zufrieden war, zwar nicht zu verlassen aber zu riskieren zugunsten dieses neuen, unsicheren Beziehungsweges. Meine alte Situation, das war meine Familie, die Beziehung zu mei-ner Frau, in der ich zu jenem Zeitpunkt glücklicher war als je zuvor, das neue Haus, das wir gebaut hatten, die gemeinsame Arbeit, das gemeinsame Werk, den gemeinsamen Lebensplan, den wir angelegt hatten. Das Neue schien in die Irre zu gehen, ins Abseits, und alle meine Freunde und Feinde sagten mir das auch.
Und doch waren die inneren Zeichen immer wieder unmissverständlich: Geh diesen Weg, die Liebe triffst du im Moment auf diesem Weg. Der andere Weg, der bisherige, ist im Moment ein Weg der Sicherheit. Wenn du festhältst daran, setzt du die Sicherheit über die Liebe. Es war auch völlig klar, dass es nicht darum ging, die alte Situation gegen eine neue einzutauschen, sondern darum, dem Neuen Platz im Alten zu schaffen, und das hiess, das Bekannte, Gewohnte, Liebgewordene aufs Spiel zu setzen, bereit zu sein, es möglicherweise opfern zu müssen.
Und wie es immer ist in solchen Situationen, nach langem Zweifeln, Ringen, nach grossen Ängsten, nach vielem Hin und Her, nach viel Einsamkeit und Unverstandensein, nach langer Wanderung durch die Dunkelheit fiel die Entscheidung ganz klar in mir für den neuen Weg und damit begann sich alles zu fügen. Ich musste das Alte gar nicht loslassen, meine Bereitschaft genügte. Das Alte wurde wie immer nicht abgebrochen, sondern zu einem Baustein des Neuen, und das Neue wurde ein grösseres, umfassenderes Ganzes. Die alte Beziehung wandelte sich zwar, aber sie zerbrach nicht daran, der Lebensplan musste nicht aufgegeben werden, sondern bekam eine neue Richtung, das Lebenswerk war nicht zerstört am Boden, sondern erhielt einen neuen Inhalt, und auch auf der materiellen Ebene arrangierte sich alles zum Besten. Und vor allem brachte die neue Beziehung viel Glück, viel Liebe in mein Leben, viel Freude auch. Es war gut! Ich hatte mich richtig entschieden!
S. 226
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Ins Herz der Dinge lauschen, Vom Erwachen der Liebe, Über MDMA und LSD, Die unerwünschte Psychotherapie, Sachbuch Psychologie, Nachschatten-Verlag, 7. Auflage 2013
Klar sehe ich erst, wenn sich die Verzweiflung im Ganzen auflöst. Und das geschieht, wenn ich damit bis ans Ende gehe; wenn ich wirklich restlos verzweifle, dann erwacht die Liebe in mir. Wenn ich mich ganz einlasse auf alles, was das Leben bringt und zuletzt auf die Liebe, dann werden das Leben und die Liebe sich meiner annehmen und für mich sorgen.
S. 112
Mir scheint, auf dem Weg nach innen stellt das Leben immer wieder neue und immer schwierigere Prüfungsfragen an dich. Immer wieder wirst du darauf hin getestet, wie weit deine Bereitschaft geht, dich ganz der Liebe hinzugeben. Anfänglich musst du dich vielleicht entscheiden, ob du bereit bist, eine Beziehung aufzugeben oder deinen Job zu wechseln und die damit verbundenen Ängste anzuschauen.
Aber ganz brauchbar für das Leben und die Liebe wirst du erst dann, wenn sie dir wichtiger geworden sind als alles andere, wenn du notfalls auch ganz alleine diesen Weg gehen würdest, wenn du nötigenfalls auch dein Leben, wenn du alles dafür geben könntest.
Diese Bereitschaft muss in dir zuerst geprüft werden. Sonst dringst du in Bereiche vor, in denen dein Überleben von dieser Vorbehaltlosigkeit abhängt und du es verlieren könntest, wenn sie nicht da ist. Meist genügt dann deine Bereitwilligkeit und der Tribut wird nicht tatsächlich von dir gefordert, aber die Tatsache, dass sie da ist, gibt dir die nötige Stärke, die du brauchst, um die Kräfte zu meistern, denen du ausgesetzt bist und um das Universum in dich ganz aufzunehmen. Wenn du das nicht willst und dein Verlangen danach nicht sehr weit reicht, lässt du besser die Finger davon.
S. 155
Wenn uns die Liebe begegnet, merken wir rasch, dass wir sie nie wirklich kennen, dass wir uns lediglich für sie öffnen, sie aber nie besitzen können. Sie gehört nicht uns, wir gehören eher ihr. Wir haben Anteil an ihr, können in ihr aufgehen, aber wir sind ausgeliefert an sie oder positiver ausgedrückt: aufgehoben in ihr; sie ist die Kraft, die das Ganze lenkt, nicht wir. Manchmal ist sie da, und dann ist sie wieder weg, vor allem wenn wir sie festhalten, einzäunen wollen; und wir merken immer wieder, dass wir nichts dazu tun können, damit sie wiederkommt. Wir können uns öffnen für sie, bereithalten für sie, aber dass sie kommt, liegt in ihrer Macht, nicht in der unseren. Sie lädt uns ein, nicht wir sie.
S. 182
Geliebt zu werden hilft uns bei unserer Heilung, aber erst, wenn wir wieder lieben lernen, werden wir wirklich frei.
S. 195
Liebesbeziehungen […] entstehen erst, wenn die Einsamkeit des Herzens akzeptiert und überwunden ist, und wir uns nicht auf der Flucht vor ihr, sondern aus ihrem Wesen heraus treffen. In ihnen bringe ich dem anderen und der andere mir Respekt vor unserem grundsätzlichen Alleinsein entgegen, Achtung vor dem Wollen und Streben des anderen; in ihnen walten im wesentli-chen Zuneigung, Liebe und Freude, die auch zum Ausdruck kommen. Auf solche Beziehungen muss ich auch warten können, weil sie nicht von mir allein abhängen, nicht machbar sind, sondern nur geschehen können. Und das heisst eben, das Alleinsein anzunehmen.
Sobald sich Abhängigkeit in eine Beziehung einschleicht, wird Distanz und damit Trennung und Trennungsschmerz wieder nötig werden. Ganz JA sagen, heisst ganz JA sagen zu sich selbst, zu seiner eigenen Liebe, wohin immer sie sich wenden will, das heisst JA sagen zu der Situation, in der ich gerade stehe und zu allen Wandlungen, die sie erfährt.
Die Bedürftigkeit, das Verlangen, geliebt zu werden, die Jagd nach Beziehungen, die sich daraus ergibt, all das wird in seiner ganzen Sinnlosigkeit deutlich. Dieses Beziehungsmuster muss ersatzlos gestrichen werden, wenn ich frei werden will. Übrig bleibt vorerst nichts. Zwischendurch bricht die Liebe durch, dann wird sichtbar, was adäquates In-Beziehung-stehen eigentlich bedeu-tet: Ich nehme Beziehung auf, weil ich liebe, weil mich die Liebe dazu drängt, oder weil ich spüre, dass mir jemand Liebe entgegenbringt und ich das gerne annehme. Sonst bleibe ich allein. Ich mag mit niemandem mehr zusammensein, der nicht liebt, der mich nicht allein lassen kann. Wenn ich selbst nicht liebe, bin ich lieber allein, und wenn ich liebe, bin ich lieber mit jemandem, der liebt oder geliebt werden möchte, oder wenigstens mit jemandem, der es lernen möchte oder mit einem von denen, die mir besonders lieb sind.
S. 217
Was ist denn nun eigentlich die Liebe. Das ist eine Frage, die sehr schwierig zu beantworten ist. Liebe lässt sich nicht definieren. Wir können uns ihr in unserem Verständnis nur annähern. Dabei können wir zwei Wege beschreiten. Einerseits können wir sie negativ zu erfassen versuchen. Sie ist dann das, was übrig bleibt, wenn wir alles, was sie nicht ist, negiert haben. Negiert dadurch, dass wir es erkennen, begreifen und loslassen. Liebe ist unsere grundlegende, eigentliche, in der Regel verschüttete Natur. Wenn ich mich entdecke, entdecke ich die Liebe. Der ganze Bereich des Unbewussten und Transpersonalen ist nur ein Vorraum. Erst wenn ich das Ganze gleichzeitig umfasse, bin ich “ich”, bin ich die Liebe, vorher irre ich im Ganzen herum und weiss immer weniger, wer ich bin.
Liebe ist nicht Abhängigkeit, nicht Eifersucht, sie hat nichts zu tun mit Bindung, mit Lust und ähnlichem. Krishnamurti war ein Meister in der negativen Beschreibung der Liebe. In seinen Büchern finden wir ergreifende Kapitel, in denen er dies versucht. Speziell weise ich auf das Kapitel über die Liebe in “Einbruch in die Freiheit” sowie auf die beiden “Journals” hin. Andererseits kann ich auch versuchen, die Liebe positiv zu definieren, indem ich ihre Qualitäten, ihre Eigen-schaften, die sich mir in einem langen Erkenntnisprozess erschliessen, zu beschreiben versuche. Das will ich im folgenden tun.
Die Eigenschaften der Liebe sind nichts anderes als der positive innerste Gehalt, den wir in den unterdrückten Gefühlen gefunden haben. Immer wieder habe ich darauf hingewiesen, dass, wenn wir mit unseren Gefühlen in die Tiefe gehen, wir direkt zur Liebe geführt werden. Dies ist der Hauptweg der Psychotherapie, der uns lange beschäftigt hat. Wenn sich dieser innere Gehalt zu erschliessen beginnt, wird die Arbeit viel einfacher. Die Abwehr ist dann zusammengebrochen, wir brauchen nicht immer nur von aussen zu bohren, um Einsicht zu finden, nein, das Innere beginnt zu explodieren und nach aussen zu drängen, was zu einer starken Beschleunigung des Geschehens führt.
S. 224
Liebe ist Nichts. Liebe ist weder Geben noch Nehmen. Liebe ist einfach da, sie gehorcht nicht, sie befiehlt nicht, sie leidet nicht, sie ist. Liebe ist nichts, und das ist kein Gedanke, sondern eine Wahrnehmung des Fühlens, sonst ist sie nicht echt. Liebe ist frei, sie lässt frei und hält sich frei. Sie bindet sich nicht und bindet nicht. Sie steht allein und will nichts anderes mehr. Liebe ist Freude, Liebe ist Weite, Liebe ist nichts.
S. 225
Liebe geht, wo sie keinen Platz findet, sie besteht nicht auf ihrem Recht, sie zieht die Einsamkeit der Geselligkeit vor, wenn diese nicht von ihr durchdrungen ist, sie macht keine Kompromisse, sie ist erbarmungslos, wenn es um die Wahrheit geht, und ewig nachsichtig, wenn du sie brauchst und dich für sie öffnest. Sie hat keinen Stolz und ist immer wieder bereit zum Neubeginn. Sie kennt keine Grenzen und enthält darum alle Schönheit, sie zerstört gnadenlos alles Feste und dringt in alles ein, und doch behütet sie alles Feine und Reine. Ohne sie hat unser Leben keinen Sinn, keine Bedeutung, ohne sie finden wir unsere Berufung nicht und unser Leben ist entweder wie ein Blatt im Wind oder wie eine vergessene Mauer am Weg: nichts nütze. Und trotzdem meidet sie die Nützlichkeit. Sie ist eher dort zu finden, wo nichts von Bedeutung geschieht. Wir finden sie überall, sie drückt sich auf jede erdenkliche Weise aus. Wo wir sie lassen, nimmt sie unser Leben in Besitz, und da sie auch Intelligenz ist, gestaltet sie es von Grund auf neu. Sie säubert unser Denken, klärt unsere Verwirrung, macht unsere Hände stark zur Arbeit und unseren Körper weich für ihren erotischen Ausdruck. Sie zeigt uns wie wir leben sollen, nährt uns richtig und schenkt uns alles, was wir brauchen. Sie nimmt das Unnötige von uns, lehrt uns, wann wir warten sollen und wann die Zeit da ist zum Handeln. Sie lässt uns oben sein, macht uns gross, wenn wir darüber zu lernen haben und führt uns nach unten, wenn wir noch zu wenig klein sind. Du kannst nichts da-zu tun, dass sie bei dir wohnt, und trotzdem wird sie dich nicht aufsuchen, wenn du nicht alles versucht hast, um sie zu erlangen. Erst dann kannst du einsehen, dass dies nicht möglich ist, und aufgeben. Liebe ist Kraft, Liebe ist stark, und doch ist sie weich wie das Wasser. Sie kann es sich auch leisten zu versagen, ungenügend zu sein, nachzugeben. Darum ist sie frei, frei im Ausdruck; sie muss nicht perfekt sein, und gerade darum ist sie vollkommen.
Sie kommt bei dir vorbei, immer wieder und fragt dich, ob du mit ihr gehen willst. Immer wieder habe ich als Therapeut mit Menschen zu tun, die eine solche Entscheidung zu fällen haben. Immer wieder sehe ich die Vermessenheit der Menschen, die meinen, sie hätten eine Wahl, die es sich überlegen, wähnen, sich entscheiden darüber, ob sie die Liebe wollen oder nicht, und nicht mer-ken, dass die Liebe prüft, ob sie überhaupt für ihren Zweck zu gebrauchen sind. Und wenn sie dann gegangen ist, wenn der Sinn weg ist aus ihrem Leben, trauern sie und meinen, ein Therapeut könne ihnen zurückgeben, was sie verschmäht haben. Der Bewusstseinsprozess, in dem wir alle stehen, erscheint mir häufig wie eine Reihe von Prüfungssituationen, in denen wir immer wieder auf unsere Tauglichkeit als Mitarbeiter der Liebe geprüft werden. Es ist vielleicht die grösste Tragik des therapeutischen Berufes, immer wieder sehen zu müssen, wie leichtfertig die Menschen ihre diesbezüglichen Chancen vertun.
Die Liebe kann nur in unser Leben kommen und es neu gestalten, wenn wir keine Bedingungen stellen. Das Gefühl der Unausweichlichkeit, das wir meistens so fürchten, führt uns direkt zu ihr.
Keinen Vorbehalt mehr in sich zu fühlen, ganz JA sagen zu können, was nicht heisst kopflos oder kritiklos zu sein, macht uns frei für sie.
S. 226
Aus: Samuel Widmer Nicolet (zusammen mit Danièle Nicolet): Sag mir Liebste, was ist das Leben? Und sag mir Liebster, was ist der Tod? - Ein Briefwechsel zwischen Liebenden, Basic Editions, 2003
Liebe ist nie enttäuscht, weil Liebe immer mit dem geht, was wirklich ist, unmittelbar. Weil die Liebe sich kein Bild macht, weil sie keine Erwartung hat, weil sie sich nicht täuscht, weil sie sieht! Weil sie sich die Mühe nimmt, wirklich zu schauen, wer du bist, wie du bist oder wo du stehst, weil sie sich dafür interessiert. Weil du ihr wichtiger bist als die eigenen Wünsche und Hoffnun-gen. Enttäuschung ist in der Tiefe immer die Enttäuschung darüber, dass ich nicht liebe, dass ich nicht blühe. Enttäuschung ist die Enttäuschung darüber, das ich nicht den Mut habe, mit dem Wirklichen zu gehen, dass ich nicht den Mut habe, wahr zu sein, dass ich es nicht riskiere, für mein Blühen zu gehen. Enttäuschung ist auch die Verweigerung zu sehen, dass ich selbst und allein für mein Blühen zuständig, verantwortlich bin, dass ich es nicht dir anhängen kann. Ein blühendes Leben kennt keine Enttäuschung, weil es mit der Entfaltung eines jeden Momentes geht, weil es nicht auf Entfaltung besteht da, wo sie nicht stattfindet. Demut lässt Enttäuschung hinter sich. Ihr genügt die Liebe zum Leben.
S. 22
[Danièle] Was macht denn, dass die einen es kennen und die anderen nicht? Was macht es aus, dass es aus des einen Augen leuchtet und aus des anderen nicht? Dass es bei den einen im Herzen blüht, wenn oft auch versteckt und verschüttet, und dennoch spürbar, unzerstörbar, und bei den anderen gar nicht?
Die Liebe! Ich meine diesen Zustand der Unschuld, des Mitgefühls, des Gemeinsamen; diese Energie, die zum anderen hingeht, die teilt, sich hingibt, die immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht malt und aus den Augen strahlt…
Dieses Unfassbare, Unbeschreibliche, das man nicht sehr oft antrifft unter den Menschen, welches man aber sofort erkennt, wenn es in jemandem wohnt. Man sieht es bei Kindern, aber längst nicht bei allen, man trifft es bei Menschen aller Nationen, oft in unbewusster Weise, in kindlicher Unschuld, oft unreif, selten in geläuterter Form, in voller Blüte…
Was macht, dass es die einen kennen und die anderen nicht?
Lange war ich der Meinung, dass jeder Mensch, wenn er auf diese Erde kommt, ein gleiches Mass davon mitbringe, dass jeder mit demselben Potenzial starte… Dass es dann aber durch Erziehung, persönliches Schicksal etc. mehr oder weniger verloren gehe, verschüttet oder zerstört werde.
Mittlerweilen sehe ich es anders: Wenn ich Kindern zuschaue, Neugeborenen, Kleinkindern, grösseren, dann sehe ich auch da: Es gibt Kinder, die scheinen davon berührt zu sein und andere nicht. Und das, obwohl sie dieselben Eltern, gleiche Erziehung und vergleichbares Schicksal haben.
Sag mir, woran mag das liegen?
Siehst du es auch so – und, wie erklärst du es dir?
Ist es Schicksal – und wie wäre man daran beteiligt? Oder hat es karmische Hintergründe – und
gibt es das überhaupt? –
Sag mir etwas dazu – wie siehst du es!?
S. 29
Die Frage nach dem Geliebtwerden ist das Selbstmitleid, nicht wahr? Und die Frage nach dem Lieben ist die Verweigerung zu lieben, oder nicht? Und beides kann man einfach beenden, einfach so. Und dann darüber hinausgehen.
S. 127
Auch die Liebe kennt eine Bedingung. Sie liebt zwar bedingungslos, sowieso, unter allen Umständen, für nichts und wieder nichts. Aber sie folgt darin ihrem eigenen Gesetz. Und dieses Gesetz besagt: Keine Handlung, kein Zusammenwirken, keine Kooperation, wenn Liebe nicht auf Liebe stösst. Dort, wo Liebe auf Konditionierung trifft, hält sie ganz ungezwungen die Grenzen, die diese Konditionierung beinhaltet, einfach ein. Sie arbeitet vielleicht daran, wenn eine Bereitschaft dazu da ist, sie therapiert sie, aber sie verwickelt sich nicht mit ihr. Lieben heisst auch, allein sein, grundsätzlich allein zu sein. Darin ist dieser Umgang mit der Nichtliebe, deren Grundqualität darin besteht, nicht allein zu sein, beschlossen. Das heisst in Bezug auf die Sexualität: Eher kein Sex, wenn die Liebe nicht gegenseitig ist. Ausser die Liebe verfolgt eine Absicht damit, hofft, mit der Sexualität die Liebe im anderen wecken zu können. Die Liebe beachtet dabei aber die Schicksalskräfte. Sie ist sich über die Kräfte bewusst, die uns lenken. Sie richtet sich nach ihnen aus. Das gehört auch zu den Gesetzmässigkeiten um die Liebe. Sie will nichts zwingen. Sie will nichts un-bedingt haben, sie will nicht partout mit jemand Bestimmtem sein. Sie verweigert sich aber auch keinem, sie geht mit jedem, den ihr das Leben hinstellt.
Und so, wenn sie auf andere trifft, die auch so weit gegangen sind, wenn sie Gelegenheit bekommt, sich in diesen Dingen dadurch zu üben, dass Liebe Liebe begegnet, entdeckt sie, dass die Sexualität gar nicht so wichtig ist, dass es bei der ganzen Geschichte in erster Linie um Freiheit geht, nicht um Sex. Dass die Sexualität so enorm wichtig ist für uns, weil sie das Tor zur Freiheit in ihrem Konditioniertsein verschlossen hält.
S. 136
Das, was ich hier gefunden habe, ist die Tatsache, dass das Paradies einen Preis hat: Unschuld und Liebe. Anders offenbart es sich einem nicht. Nicht einmal, wenn es augenfällig vor einem liegt. Das Paradies zeigt sich der Unschuld und der Liebe. In jeder erdenklichen Situation, wenn sich mir tausend Möglichkeiten auftun, zwischen denen ich wählen kann, ich wähle unbeirrt, zielsicher und unkorrumpierbar die Möglichkeit der Liebe. Warum?
Warum ist das so in mir? Und warum ist es in dir anders? Das ist die Frage, die in mir brennt, allüberall, wo ich dem Menschlichen gegenüberstehe.
Ich sehe, die Situation kann sein, wie sie will, die Liebe ist darin immer gerade die beste Alternative, der Weg, der am meisten Herz, am meisten Freude für alle beinhaltet. Also wähle ich ihn. Vorbehaltlos. Immer. Unschuldig. Ganz von selbst. Ich muss mir dabei nichts denken. Warum ist das in dir anders?
Ich bin diese Frage, wo immer ich vor Menschen stehe. Kann es anders sein, wenn du da wirklich hinschauen würdest? Aber warum schaue ich hin? Und du nicht? Warum?
S. 157
Und in der Entfaltung, die daraus kommt, dass man die Liebe wählt – so habe ich es erlebt –, ist man zuerst ein Mond, der die Liebe nur reflektieren kann, und dann, wenn man genug Kraft aufgebaut hat, wird man zur Sonne, die sie unbeschränkt verschenkt.
S. 158
Liebe ist der Raum der Makellosigkeit, in dem du dich bewegen kannst, wie du willst; und alles, was daraus erblüht, ist das Gute.
S. 245
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Liebe - Bilder, Gedichte und kleine Meditationen, Basic Editions, 2014
Die grosse Liebe, die Jahrtausendliebe, wie wir persönlich sie auch nennen, ist immer vor allem eine unpersönliche Liebe, die alles und jeden meint, sich über alle wahllos ergiesst wie ein Wasserfall. Sie sprudelt aus uns hervor, wenn wir den Kanal, den Link zum grossen Geist in uns gereinigt haben, so dass sie ungehindert durch uns fliessen kann.
Sie drückt sich aber immer auch ganz du-gemeint aus, ganz persönlich, ganz innig. In Liebesgeschichten, die das Potenzial haben, zu Jahrtausendlieben zu werden. Darin findet sich ihre grösste Wucht.
Die grosse Liebe beschränkt sich nicht unbedingt auf eine duale Liebesgeschichte, auch mehrere Menschen können einander zur "Liebe ihres Lebens" werden. Die Liebe selbst befindet darüber, wie sie sich durch uns mitteilen will. Beziehungen kontrollieren zu wollen, verdirbt sie. Beziehungen, wie alles Lebendige, stehen ausserhalb des Bereichs unseres Willens. Wir können der Liebe folgen. Sie zeigt uns den Weg. Dann wird alles gut. Wieder zu Hause, im Alltag, begannen deshalb Liebesgedichte in mir aufzusteigen, die nun zu meinen Allerliebsten wollten, ins ganz persönliche Leben, zu meinen Partnerinnen, Frauen, Geliebten, die mir am allernächsten sind.
Es ist keineswegs so, dass die bisherige Liebe enden muss, wenn eine neue Liebe ins Leben kommt, wie dies die Brutalität der bürgerlichen Moral vorsieht, keineswegs so, dass man eine Liebe verlassen muss, um mit einer anderen zu gehen. Im Gegenteil bereichert eine neue Liebesgeschichte die schon vorhandenen, wenn wir uns öffnen für das Grosse der Liebe, für die Qualitäten der Jahrtau-sendliebe. Die grosse Liebe bringt alles zum Blühen, nicht nur das Neue, sondern auch das bereits Bestehende, erneuert alles, macht alle Beziehungen frisch und jung.
S. 51
Der Liebe können wir trauen. Wenn es sie ist, die uns antreibt, wird sie niemandem zur Überforderung. Hemmungslos können wir uns auf ihre Stimmigkeit verlassen.
S. 57
Bist du die Liebe?
Wenn die Liebe mich ruft,
wie könnte ich ihr widerstehen?
Sie ruft mich in ein neues Leben, eine neue Zeit!
Wird sie mich dafür befreien
oder mich in eine alte Enge treiben?
Mich erheben in ihre Heiligkeit
oder mich zerschmettern, ihrer unwürdig? –
Die Welt lässt der Liebe keinen Raum;
am liebsten, von ihr gehen, möchte sie.
Bleibt ihr am Ende nur der Tod?
S. 58
Bist du die Liebe?
Werde ich die Liebe erkennen,
wenn sie zu mir kommt?
Werde ich mich verführen lassen
von dem, was sie imitiert?
Oder mich abschrecken
von ihren Herausforderungen,
sie wegerklären wollen,
wenn sie mich prüfen will?
Lieben für nichts und wieder nichts,
weil lieben die Erfüllung ist!
S. 59
Liebe ist auch die Ewige. Sie vereinigt das Alte, das Vergangene, die Vision einer Zukunft, einer neuen Zeit und den ewigen Augenblick in uns zur Einheit. Sie ist der Schmelztiegel, in dem alles gehalten ist, aus dem alles geboren wird, in den alles wiederkehrt, um erneuert zu werden.
Und sie hat kein Ende, keinen Anfang und kein Ende. Liebe endet nicht. Was endet, war nicht die Liebe. Wirkliche Liebe ist für immer. Sie war immer schon da, und sie besteht über den Tod hinaus. Sie bringt das, was Menschen verzweifelt suchen und mit ihren Ränken und Wänken bewerkstelligen wollen, aber nirgends und in nichts finden können: Sie bringt Sicherheit. In all ihrer Flüchtigkeit und Zartheit ist sie der einzig sichere Zufluchtsort, den es gibt. Wenn wir sie im Her-zen tragen, sind wir zu Hause angekommen. Wenn sie in unseren Beziehungen da ist, sind diese unverbrüchlich. Die Liebe ist ewig.
S. 77
Wenn du dich verliebst, wenn du in die Liebe fällst, wie man es im Englischen ausdrückt, und dann der Liebe folgst, dann liebst du alles und für immer. Solange du noch rausfallen kannst aus der Liebe, bist du noch nicht ganz, noch nicht unwiderruflich in sie hineingefallen. Du bist noch nicht "reingefallen".
In gewisser Weise ist lieben nämlich ein Hereinfallen. Du fällst auf ihre Bedingungslosigkeit herein. Erst wenn Liebe bedingungslos wird, ist sie wirkliche Liebe, unverbrüchliche Liebe, die keinen Anfang und kein Ende kennt, die alles trägt und umfasst, die keinen Ausweg kennt aus sich selbst. Über die Liebe kann man nicht wirklich reden, man kann sie nicht wirklich beschreiben. Was es über sie zu sagen gibt, ist schnell gesagt. Die Liebe musst du leben, das ist die einzige Möglichkeit, dir ihre Geheimnisse zu erschliessen. Liebe kennt nur sich selbst. Denn alles ist in der Tiefe aus Liebe gemacht. Sie hat alles andere, alles Oberflächliche hinter sich gelassen. Daher ist sie einfach, unmissverständlich. Sie ist aber nicht naiv, sondern unschuldig.
Sie nimmt nur von sich und gibt nur von sich und ganz, und alles. Sie schliesst nichts aus, liebt ausnahmslos alles und ist doch immer in der richtigen Distanz zu allem, um damit makellos umgehen zu können. Sie ist jenseits von Gefühl, umfasst alle Gefühle und verschmilzt alles zum einen Gefühl. Sie ist Stille und umfassende Aufmerksamkeit. Sie lässt sich nicht zwingen, nicht ma-nipulieren, nicht verführen. Sie manipuliert auch nicht. Sie ist. Sie ist als einzige wirklich und erkennt daher unmittelbar alles, was unwirklich ist, als unwirklich, alles, was Gedanke ist, als Gedanke, alles, was unwahr ist, als unwahr.
S. 88
Liebe ist frei.
Sie kann tun,
was sie will;
es ist immer richtig,
schafft immer das Gute.
Liebe ist recht.
Nicht-Liebe kann der
Liebe nichts anhaben.
Es sei denn ihr Schicksal –
Liebe ist Freiheit.
S. 93
Liebe ist etwas Unglaubliches. Sie bringt Wunder über Wunder hervor, wenn wir sie in uns und unser Leben lassen. Sie erhebt auch unser romantisches Lieben in eine andere Dimension, macht es zu etwas Heiligem und Grossem. Sie zu beschränken, zerstört sie, vertreibt sie, lässt etwas Kleines, Enges und Hässliches zurück, aus dem sie längst entflohen ist.
S. 95
Die Ernsthaftigkeit bezüglich der Liebe
Wenn die Liebe, dieses grosse, einzigartige Wesen, durch mich sprechen will, wenn sie mich einlädt, sie zum Ausdruck zu bringen, und mich anleitet zu einer persönlichen Liebesgeschichte, dann wünsche ich, dass diese persönliche Liebe das Grosse berührt, dann will ich, dass sie etwas ganz Besonderes ist.
Eine Liebe soll sie sein, wie sie nur einmal in tausend Jahren vorkommt, eine Jahrtausendliebe, von der man noch nach Generationen sprechen wird. Ich möchte es so, weil mir etwas darunter, etwas Kleines, "Normales" als zu wenig erscheint, weil mir das Gewöhnliche nicht der Mühe wert ist. Grossartig soll alles sein, was ich berühre, gestalte, worauf ich mich einlasse. Darin meine ich es ernst. Nicht grossspurig, nicht megaloman, sondern grossartig im Sinne der Grösse der Liebe, der Grösse des Lebens, des Wunders unserer Existenz.
Alles, was gross ist, ist nicht "normal". Nulla è piccolo di ciò che è fatto per amore. Nichts, was die Liebe berührt, darf klein sein. Es muss sich ihrer würdig zeigen und darum gross sein. Vielleicht wird mich diese Haltung schliesslich verbrennen. Aber darin liegt meine Ernsthaftigkeit, dies vollbringen zu wollen, der Liebe würdig sein zu wollen. Eine Jahrtausendliebe soll meine Liebe sein. Die persönliche Liebe, zu der mich die Liebe einlädt, soll so gross sein, wie die Liebe selbst. Und ich darin so klein, so demütig, so ernsthaft und willig, dass ich ihr genüge. Makellosigkeit darin erscheint mir als die einzige Haltung, die der Liebe würdig ist.
Eine dyadische Liebe von der Art der "abnormen", ganz besonderen Jahrtausendliebe hat mir die Liebe bereits geschenkt. Ich durfte Teil ihres Ausdrucks werden. Zu hoffen, dass noch mehr möglich werden könnte, eine Liebe von der Art der Jahrtausendliebe zu dritt, zu viert, in einem ganzen Feld, schien mir vermessen. Und doch konnte ich es nicht lassen, genau dies zu suchen, nicht lassen, gemeinsam diesen Archetypen verkörpern zu wollen, nur um an ihm allenfalls verbrannt zu werden. Könnte es sein, dass es mir, dass es uns, nun da ich alt bin, da es eigentlich zu spät ist, doch noch geschieht? Will mich, will uns das Wesen Liebe einladen, solches zu manifestieren? Es würde mich unendlich glücklich machen.
Darum folge ich der Einladung willenlos. Obwohl ich sehe, dass es unvernünftig ist, dass es aus der Sicht der Vernunft gar nicht gelingen kann, dass ich die Kapazität dafür gar nicht mehr habe, folge ich dem Ruf. Vielleicht bin ich verrückt, ein alter Trottel, vielleicht werde ich daran definitiv verbrennen. Ich überlasse es der Liebe, wohin das führen soll, wohin das führen kann. Ich vertraue ihr. Ich vertraue mich ihr an. Vielleicht wird dies zum ultimativen Ikarus-Flug, vielleicht wird es mein Sturz –, aber was sonst wäre wert, gelebt zu werden? Und vielleicht bin ich, sind wir tatsächlich eingeladen, eine neue Zeit anzukünden durch eine Liebe, wie sie noch nie gesehen wurde. Wie sollte ich das verpassen wollen? Darin bin ich ernsthaft, total eingelassen, darin kannst du mir trauen, so wie ich der Liebe traue. Aber Ernsthaftigkeit im Sinne der Vernunft, im Sinne von kleinmütiger Verantwortung kann ich nicht bieten. Die Verantwortung hat die Liebe selbst. Und das ist keine Ausrede. Ich verantworte, ihr makellos zu folgen. Sie verantwortet den grossen Wurf. Ich verantworte, mich allenfalls zu täuschen, einer Illusion aufzusitzen und zu stürzen, die Liebe verantwortet ihren Ruf an mich und ihre eigene Entfaltung, wenn ich ihr folge.
Ich habe dich ins Herz geschlossen. Gezogen ist gezogen, im Leben wie im Schachspiel. Se sono rose, fioriranno.
S. 126
Es gibt etwas, was wir Menschen suchen, das es nicht gibt. Und trotzdem können wir es finden, wenn wir unser Herz und unseren Geist ganz öffnen und uns von der grossen Liebe, vom Wesen Liebe ganz nehmen lassen. Beides ist dann gleichzeitig da, die Unstillbarkeit der Sehnsucht, ein auf nichts Bestimmtes gerichtetes Verlangen und die Berührung mit dem Grossen, mit der Liebe, welche zur Erfüllung wird, da sie von diesem heiligen Feuer des Verlangens erreicht werden kann.
Ewiges, existenzielles Paradox!
Darum kann man auch sagen: Wir Menschen strecken uns nach etwas, was es tatsächlich gibt, auch wenn es unter uns kaum je sichtbar wird. Denn natürlich könnte es das geben, was es nicht gibt. Würden sich alle Menschen der Sehnsucht stellen, statt sie mit Süchten abzuwehren, würden sie der grossen Liebe in sich Platz machen, wäre es da. Dann würde sie auch im Menschlichen blühen. In persönlichen, menschlichen Liebesgeschichten, denen das Schicksal viel Getrenntsein, viel Abschied aufbürdet, wird diese Sehnsucht immer neu geweckt und lebendig gehalten. Verzichtet man darauf, sie auszuagieren, hält man ihr stattdessen still, stösst ihre Traurigkeit schliesslich ins Unendliche vor, wo sie Erfüllung findet. Eine Sehnsucht brennt in dir. Sie brennt dich aus und lodert daher ins Grosse hinaus.
S. 143
Nicht dass sie völlig ohne Schmerz ist, die Liebe, macht sie zur grossen Liebe, schliesst sie an an die Jahrtausendliebe, für die jeder und jede ebenbürtig werden kann. Dass kein Konflikt entsteht aus dem Schmerz, macht es aus, dass der Schmerz nicht abgewehrt wird, wenn er kommt, dass er ganz und gar gehalten ist.
Wie sollte die Liebe frei von Schmerz sein? Ist sie nicht die Summe allen Schmerzes, der sich ein leidenschaftliches Herz schliesslich ergeben hat? Ist sie nicht die Einheit aller abgewehrten Gefüh-le, für die sie eine Sackgasse bildet, die sie nicht länger in Beziehungsauseinandersetzungen ausagieren will?
Schmerz hat bereits die gleiche Qualität wie die Liebe. Wenn der Schmerz ganz werden darf, öffnet er sich in unserem Herzen zum Fluss, den wir Liebe nennen.
Die Liebe kennt auch einen Herbst und einen Winter. Sie erneuert sich in ihrem eigenen Sterben. Der Abend kommt und bringt die Nacht, in der sie sich sammelt, um in der Morgendämmerung neu geboren zu werden.
S. 193
Im Zustand der weit offenen Liebe, dem Ganzen zugewendet, findet man sich meist allein. In einer Menschenmenge ist man meist umgeben von Leuten, die alle auf ihre Funktion eingeschränkt sind. Eingeengt. Sie sehen einen kaum, man begegnet kaum jemandem, ist aber ein Anziehungspunkt für alle, die sich darin verloren fühlen. Ihnen begegnet man, ihnen ist man dann Halt und Zuflucht. Eine Jahrtausendliebesgeschichte trifft sich in diesem Zustand der Einheit. Sie lebt in diesem Zustand, lebt von ihm. Um sie herum ordnet sich alles, ergibt sich alles wie von selbst. Eine Jahrtausendliebe kann es naturgemäss nur einmal geben in tausend Jahren. Im selben Jahrtausend, in dem es so etwas schon gibt, bleibt einer zweiten Jahrtausendliebe nur die Erweiterung der ersten, schon vorhandenen. Es gibt nicht Zwei in der wahren Liebe; es gibt nur das Eine.
Denn das genau ist die Besonderheit der Jahrtausendliebe, einer Liebe, wie man sie nur alle tausend Jahre zwischen Menschen findet. Die Besonderheit liegt darin, dass jeder und jede sich daran anschliessen kann, dass sie ein ganzes Feld, dass sie die ganze Menschheit umfangen könnte. Viele, alle könnten darin vereint sein. Denn es gibt nur eine Liebe, nur ein Wesen Liebe. Und wer sich ihm ganz verspricht, ganz in ihm aufgenommen ist, ist eins mit allen, denen Gleiches gelingt. Natürlich ist der Begriff Jahrtausendliebe, Jahrtausendliebesgeschichte mehr ein Symbol, ein Symbol für etwas, was es normalerweise nicht gibt, das man kaum je zu sehen bekommt. In tausend Jahren nicht eben. Wirkliche Liebe ist es, konfliktfrei, tief gründend, unschuldig, wahr, in ihrer Einheit offensichtlich.
Die Jahrtausendliebe bleibt so lange ausserordentlich, bis Liebe sich unter uns Menschen derart ausbreitet, dass sie schliesslich alle erfassen und in sich vereinen wird. Dann wird die Jahrtausendliebe zum Alltäglichen werden. Alltäglich zwar, aber niemals "gewöhnlich". Ein Wunder wird dann geschehen, das wir uns gar nicht denken und vorstellen können, eine Vergeistigung unseres Seins, in welchem sich Funktion weit gehend erübrigen wird.
S. 217
Die Liebe ist ein eigenartiges Wesen. So scheu, und schnell verjagt, wenn nicht alles wahr und stimmig ist. Und man kann nichts tun, um sie zurückzurufen, sie kommt, wann sie will.
S. 233
1)
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Ins Herz der Dinge lauschen, Vom Erwachen der Liebe, Über MDMA und LSD, Die unerwünschte Psychotherapie, Sachbuch Psychologie, Nachschatten-Verlag, 7. Auflage 2013, S. 5