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Newsletter 3/2023 - Krieger oder Durchschnittsmensch?
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Juni 2023

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ie Kriegerin hat akzeptiert, dass sie alleine ist, und sie sucht nicht länger nach Zugehörigkeit unter den Menschen.
Sie weiss aber auch, dass Krieger aufeinander angewiesen sind und in einem Kriegertrupp Heimat, Verbindlichkeit und Kraft finden, die ihnen zu ausserordentlichen Leistungen verhelfen. Der Kriegertrupp kennt ein Einssein, das total ist, unverbrüchlich. In der Verbindlichkeit seinem Trupp gegenüber ist er makellos und treu. Auch in seiner Verbindlichkeit dem Ganzen der Menschheit und des Universums gegenüber ist er unerschütterlich.
Die neue Regel für das neue Zeitalter lautet: Freiheit. Der Geist ist nicht länger nur eine äussere Kraft, die uns lenkt, in der neuen Zeit werden wir sie als innere Kraft, die allem und jedem inne wohnt, erkennen, als eine Kraft, die aus uns selbst wirkt.
Jeder kann heute einen Kriegertrupp zusammenstellen, sofern er die Kraft dazu hat; jede kann sich aus sich heraus entscheiden, eine Kriegerin zu werden. Wir haben die Freiheit dazu, solange wir nur wollen. (1)



If you don’t become the ocean,
you will be seasick every day
Leonard Cohen





Liebe Leser

Für Juni hatte ich einen Newsletter über das Alter und das Älterwerden geplant, ein Thema, das seit Monaten in den verschiedensten Kreisen immer wieder aufkommt. Letzten Monat allerdings, während des Seminars «Der Kriegertrupp», hat Danièle einen Text aus dem Buch «Die Kriegerschule / Die Kriegertexte» von Samuel gelesen, der mich zu etwas anderem inspiriert hat. Es war ein Text über den Durchschnittsmenschen, und was sein Unterschied zu einem echten Krieger ausmacht.

Es heisst, man entscheide sich nur einmal für den Weg des Kriegers. Die Frage ist also: Bin ich, bist du, schon eine Kriegerin, oder noch ein Durchschnittsmensch?
Und kann man überhaupt vom Weg des Kriegers abkommen? Also bin ich, bist du, noch eine Kriegerin, oder wieder eine Durchschnittsfrau?

Ich habe für mich entschieden, dass ich eine Kriegerin bin, oder zumindest sein will. Ich habe mich nicht bewusst für diesen Weg entschieden, er war die unabdingbare Bedingung für ein Leben mit Samuel und Danièle, und ich bin da reingewachsen.
Die Texte hier unten, die sich mit dem Durchschnittsmenschen und seine Grenzen befassen, entstammen alle ausschliesslich des Buches «Die Kriegerschule / Die Kriegertexte». Dieses Buch, eine kompakte Zusammenfassung der Kriegerlehre von Don Juan/Castaneda, ist eines der wertvollsten Bücher aus Samuels Vermächtnis. Samuel hatte es mir für meine Ausbildung als Zauberlehrling geschenkt, als ich nicht mal wirklich wusste, was ein Krieger ist. Ich hatte damals die Grösse seines Werkes gar nicht fassen, und das Buch zu seinen Lebzeiten auch nie richtig würdigen können, was mir heute beim Lesen immer wieder eine gewisse Traurigkeit bereitet. Heute sind seine Texte eine sehr wertvolle und treue Begleitung auf dem Weg des Kriegers; ich kann ab und zu kurz reinblättern, ein paar Zeilen lesen, und neue Energie und Inspiration mitnehmen.

Ich wünsche euch einen wunderschönen Sommer, vielleicht zusammen auf dem Kriegerweg, und bis im August mit einem Newsletter über das Alter und Älterwerden. Ob das manchmal als Ausrede benutzt wird, um den Weg des Kriegers nicht gehen zu müssen?


Romina Mossi
mit Danièle Nicolet Widmer und Marianne Principi

Neu informieren wir Interessierte 1-2 jährlich per E-Mail über unser Seminarangebot. Ihr könnt euch hier eintragen: https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht Der erste Newsletter von Juni 2023 findet ihr hier.

Die Programmübersicht mit den Angeboten bis Ende 2023 findet ihr jeweils hier: https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht.

Bevorstehende Termine des Hofs zur Kirschblüte
  • Für sehr Kurzentschlossene: Die nächste Online-Meditation findet am 15. Juni 2023 statt.
  • Für Kurzentschlossene: Vom 23.-25.Juni 2023 organisiert die Ärztegesellschaft Avanti in Zusammenarbeit mit der Kirschblütegemeinschaft das sechste internationale Kongress für Echte Psychotherapie, Psycholyse und Alternative Psychiatrie zum Thema „Bewusstseinserweiterung, Schamanismus und Heilung - Psychoaktive Substanzen in der Psychotherapie“.
  • Vom 28. Juni bis 2. Juli findet das jährliche freundschaftlich-tantrisch-meditative Treffen mit dem Titel "Der tantrische Kreis" auf der Farm in Berlin statt, in Kooperation mit Konstantin Stavridis
  • Im Juli findet das nächste Treffen der Tantra fortlaufende Kleingruppenseminare statt.
  • Im November 2023 beginnt eine neue Ausbildung in Psycholytischer Psychotherapie unter der Leitung von Danièle Nicolet Widmer.
  • Im April 2024 findet wieder aufgrund grosser Nachfrage ein Seminar zum Thema Zärtlichkeit.
  • In Kolumbien werden wir wieder im Oktober 2024 sein, in Indien wieder im Dezember 2024, in der Wüste im Frühling 2025.

Dieser Newsletter kann auf der Website des Vereins "Samuel Widmer Nicolets Erbe" (https://samuel-widmer.org/de/news) kostenlos abonniert werden. Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis. Die Newsletter findet ihr auch auf der Website der Praxis Hof zur Kirschblute (https://hof-zur-kirschbluete.ch) und der Kirschblütengemeinschaft (https://gemeinschaft-kirschbluete.ch) oder auf dem Facebook-Kanal der Kirschblütengemeinschaft (https://www.facebook.com/Kirschbluetengemeinschaft).


Eine Bitte …
… an diejenige von euch, welche die Newsletter-Texte für Ihre Arbeit benutzen

Da es uns ein grosses Anliegen ist, Samuels Vermächtnis, seine Einsichten und Weisheiten einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, sind die Newsletter-Texte kostenlos. Allerdings ist es ein grosser Aufwand, die Texte auszusuchen und thematisch zusammenzustellen. Falls ihr diese Texte nicht nur privat verwendet, sondern in euren Gruppen/Seminaren einsetzt, würde es uns freuen, wenn ihr die Arbeit mit einer kleinen Spende würdigen würdet. Auch bitten wir euch, jeweils Samuel als Urheber dieser Texte zu erwähnen.


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Kriegerschule / Die Kriegertexte, Sachbuch Spiritualität, Basic Editions, 2010
Die Begriffe Durchschnittsmensch, Mittelmässigkeit etc. beziehen sich darauf, dass jemand nicht aus der letzten Tiefe des Bewusstseins heraus lebt und handelt, sondern aus dem Ich, der oberflächlichen Identifikation mit „meinem“ Leben. Das beinhaltet „meine“ Gefühle, „meine“ Gedanken, „mein“ Leid, „meine“ Nationalität, „meine“ Fähigkeiten, „meine“ Ziele, „meine“ Freunde, „meine“ Familie, „meinen“ Besitz, „meinen“ Ehrgeiz, „meine“ Kämpfe, „meine“ Wünsche etc., etc. Die Tiefe darunter, die Stille, das Ganze sind im Durchschnittsmenschen unbewusst; sie werden nicht bewusst und bedacht berücksichtigt, sind nicht die natürliche Grundlage allen Tuns.


Im Gegensatz zum Durchschnittsmenschen ist der Krieger niemals enttäuscht, wenn es ihm nicht gelingt, sich zu verändern. Das ist genau das, was ihn von diesem unterscheidet. Keine Reaktion. Der Weg des Kriegers ist der Weg des fröhlichen Scheiterns. Dies ist der Weg der Makellosigkeit. Und der Wandel, den er schliesslich, wenn er genügend Kraft aufgebaut hat, erlebt, ist der Verlust der menschlichen Form, das Wiederfinden des ganz Ursprünglichen, des unkonditionierten Geistes, der nicht in Gewohnheitsmustern gefangenen, freien Energie. Freiheit.


Man kommt nicht umhin, an die Bemerkung Don Juans zu denken, dass das, was der Durchschnittsmensch für die Welt hält, nämlich das, was Menschen tun und getan haben, nichts als endlose Verrücktheit ist, und dass das, was die Welt und damit auch der Mensch tatsächlich ist und was von den Menschen in ihrem Irrsinn übersehen wird, ewig still dahinter leuchtet als ein endloses Mysterium.
Der Krieger erkennt, dass eine vollkommene Bewusstheit einer grossen Energie bedarf. Darum bemüht er sich, Energie einzusparen da, wo sie der Durchschnittsmensch unsinnig ausgibt. Als Hauptposten dafür erkennt er unsere Unart, uns wichtig zu nehmen. Eines seiner Hauptziele ist es daher, die eigene Wichtigkeit zu überwinden.


Der Krieger betrachtet es als seinen Fehler, wenn er mit anderen nicht auskommt. Er nimmt sie, wie sie sind. Sie können nicht anders, währenddessen er sich helfen kann. Nichts ist für ihn ein Fluch oder ein Segen wie für den Durchschnittsmenschen; alles ist lediglich Herausforderung. Der Krieger handelt, ohne eine Belohnung zu erwarten, für nichts und wieder nichts. Er liebt, für nichts und wieder nichts.


Die einzige Freiheit des Kriegers liegt darin, makellos zu sein. Makellosigkeit ist in sich Freiheit; sie bringt aber auch Freiheit, die Freiheit von der menschlichen Form. Sie ermöglicht dem Krieger zu sehen, währenddessen der Durchschnittsmensch sich entscheidet, sich nicht zu erinnern, was er sieht. Krieger bemühen sich, ein Ziel zu erreichen, das mit den Zielen des Durchschnittsmenschen nichts zu tun hat. Sie streben danach, die Unendlichkeit zu berühren und sich ihrer bewusst zu werden.


Der Durchschnittsmensch ist sich nur gewahr über alles, wenn er denkt, er sollte es sein; der Zustand des Kriegers hingegen ist, sich zu jeder Zeit über alles gewahr zu sein.


Krieger handeln nicht, um einen Vorteil zu erringen wie der Durchschnittsmensch. Sie handeln, weil der Geist sie ruft.
Die Freiheit, welche das Mysterium des Seins ihm schliesslich gewährt, nämlich im Augenblick seines Todes die Bewusstheit zu behalten, ist für ihn keine Selbstverständlichkeit, sondern die minimale Chance, die der Durchschnittsmensch in seiner Verirrung vertut.


Der Durchschnittsmensch kann Wahrnehmung und Reaktion auf das Wahrgenommene nicht trennen; er hält sie für eine Bewegung, in der er gefangen ist. Die Reaktion kommt aus dem Gedächtnis, welches sich auf Wissen und Erfahrung stützt und daher immer Stückwerk sein muss und der Vergangenheit angehört.


Da der Krieger nicht mit Bildern lebt, sondern mit Fakten, nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der energetischen Wirklichkeit des Augenblicks, wandert er immer wieder frei aus den Räumen heraus, in die ihn die Vorstellungen der anderen gefangen nehmen wollen. Er bleibt unfassbar. Er lebt in einer anderen Welt, die der Durchschnittsmensch nicht betreten kann. In dessen Welt erscheint der Krieger als fixierte Form, aber dahinter, in der seinen, bewegt er sich frei wie ein Vogel.


Die Kriegerin gewinnt die Energie, um ins Unbekannte und die totale Freiheit vorzudringen, aus der Überwindung der eigenen Wichtigkeit, in der sie beim Durchschnittsmenschen gebunden ist.


Für den Krieger ist das Anderssein nicht mehr eine Bürde oder ein Recht, das er verteidigt, für den Krieger ist es seine Wahl, ein Aussenseiter zu sein, es ist das, was er will.
Vielleicht ist es dieser Wille und diese Freude am Anderssein, welche die Grundlage bilden für Ausschluss und Mobbing, vor denen sich der Krieger oft in Acht nehmen muss. Der Durchschnittsmensch wird neidisch, wenn andere sich etwas, z.B. Freiheiten, herausnehmen, was er nicht getrauen würde, wenn andere Wege einschlagen, die er nicht kennt.


Das Unbekannte, der Teil des Seins, der dem gewöhnlichen Menschen verborgen scheint, das so genannte Unbewusste, ist dem Krieger unmittelbar zugänglich. Der Durchschnittsmensch hat im Gegensatz zu ihm zu wenig freie Energie, um es zu erfassen. Das Unkennbare hingegen bleibt für immer unbeschreiblich. Für den Krieger ist es einfach da, strahlend schön und furchterregend in seiner Unermesslichkeit.


Ein Krieger hat begriffen, dass all sein Tun nutzlos ist. Trotzdem fährt er damit fort. Er nennt dies seine kontrollierte Verrücktheit. Was ihm dabei hilft, ist, dass er das Gefühl eigener Wichtigkeit aufgegeben hat. Das macht ihn leicht und wendig. Es nimmt ihm die Schwere und Unbeweglichkeit des Durchschnittsmenschen.


Der Durchschnittsmensch ist immer besorgt darum, geliebt zu werden. Der Krieger liebt. Er liebt alles. Er liebt für nichts und wieder nichts. Das ist seine Freiheit. Wenn ein Mensch sich auf den Weg macht, ein Krieger zu werden, wird er sich allmählich bewusst, dass er das gewöhnliche Leben für immer hinter sich gelassen hat. Er legt sich eine neue Art zu leben zu. Für alles, was er tut, auch für die kleinste Kleinigkeit, übernimmt er die Verantwortung. Er agiert seine Gedanken und Gefühle nicht mehr aus wie der Durchschnittsmensch, der niemals die Verantwortung übernimmt für das, was er tut. Er ist nicht länger Opfer oder Täter. Allem Leid hat er ein Ende gemacht in sich. Er ist frei.


Makellosigkeit ist nichts anderes, als das richtige Benutzen von Energie. Makellosigkeit ist das wahre Mass für den Geist des Kriegers.
Makellosigkeit hat nichts mit Moral zu tun. Das Umdirigieren der Energie, welche der Durchschnittsmensch für seine eigene Wichtigkeit verbraucht, das ist für den Krieger Makellosigkeit.


Krieger sind nicht verantwortlich für das, was mit jemandem passiert, der mit ihnen in Berührung kommt. Krieger können niemals Brücken schlagen, um sich den Durchschnittsmenschen anzuschliessen. Wenn diese es wünschen, müssen sie selbst eine Brücke schlagen, um sich den Kriegern anzuschliessen. Krieger bleiben unerreichbar.


In der Welt der reinen Energie, kann nur der Krieger überleben.
Obwohl er ausserhalb jeder Kontrolle lebt, ist in seinem Leben nie etwas ausser Kontrolle. Da wo der Durchschnittsmensch kontrolliert, dirigiert er alles mit Achtsamkeit und Wachheit. Unter keinen Umständen darf ein Krieger etwas dem Zufall überlassen. Im Gegenteil beeinflusst er den Gang der Ereignisse durch die Kraft seiner Bewusstheit und seiner unbeugsamen Absicht. Wenn einem Krieger etwas gelingen soll, dann muss der Erfolg allmählich kommen, unter grossen Anstrengungen, aber ohne Stress und ohne Besessenheit.


Der gewöhnliche Mensch versucht die unerklärlichen und furchterregenden Kräfte, die uns umgeben, zu verstehen und zu erklären. Darauf gibt der Krieger nichts, seine Kunst ist es, mit diesen Kräften umzugehen. In der Welt des Kriegers gilt: Wenn du nichts mehr verstehst, beginnst du zu begreifen. In der Welt des Durchschnittsmenschen ist es umgekehrt: Wenn du etwas nicht verstehst, gehst du unter.


Was bringt uns eigentlich die Haltung des Kriegers im Unterschied zur Lebenshaltung des Durchschnittsmenschen?
Die normalen, gewöhnlichen inneren Reaktionen des Menschen sind eigentlich sehr einfach: Auf etwas, was wir nicht wollen, reagieren wir mit Widerstand, auf etwas, was gefährlich ist, mit Angst, und, wenn wir etwas verlieren, mit Trauer und Schmerz. Wenn wir hingegen entspannt und zufrieden sind, spüren wir Liebe und Mitgefühl. Das ist unser gewöhnliches Selbst. So sind wir.
Dazu gehört aber die Fähigkeit zur Neurose, das heisst die Möglichkeit, sich im Widerstand oder der Angst zu verrennen, ohne dass ein äusserer Grund dazu besteht, den Schmerz mittels verschiedener Mechanismen abzublocken, wenn er zu gross wird, oder überhaupt das ganze innere Reagieren zu unterdrücken oder zu verdrängen, wenn es zu unangenehm wird. Im Normalbereich ist diese innere Maschinerie in gewisser Weise sinnvoll, oft genügt sie aber nicht zu einer sinnvollen, reifen und verantworteten Lebensführung.
Darum lernt der Krieger, sein gewöhnliches Selbst zurückzustellen und sich für eine grössere, genialere und weiterführende Lebenshaltung zu öffnen: Ohne zu verdrängen, bei vollem Bewusstsein lernt er, die innere Maschinerie des Reagierens anzuhalten. Er lernt, die zuerst fast automatischen Reaktionen wie Angst, Schmerz und Widerstand auf die entsprechenden Situationen zu unterbrechen und im Zustand der Liebe und Gelassenheit zu verharren, alles, was auf ihn zukommt, mit Aufmerksamkeit und Stille zu begleiten. Das gibt ihm eine viel grössere Freiheit und vielfältigere Möglichkeiten, mit lebendigen Situationen adäquat und intelligent umzugehen. Darum ist er in seinen Unternehmungen meistens erfolgreich und ist praktisch immer erfüllt von einem positiven Lebensgefühl. Glück, Frieden und Sinn begleiten ihn auf all seinen Wegen.
Dabei ist klarzustellen, dass die Haltung des Kriegers nicht einer neuen Moral oder der Aufwärmung alter moralischer Muster gleichkommt. Im Gegenteil bringt die Art des Kriegers beziehungsweise der Weg der Selbsterkenntnis völlige Freiheit von aller Moral. Der Weg des Kriegers ist weder moralisch, noch unmoralisch; er ist schlicht ohne Moral, amoralisch. Die Selbsterkenntnis sagt: „Sieh, du bist neidisch, sieh, du bist stolz, sieh, du bist verletzt!“ Sie stellt fest und weist auf alles hin, um Erwachen und Verstehen zu fördern. Sie beurteilt nicht. Die Moral hingegen sagt sich: „Ich muss mich verstellen, verstecken, dass ich neidisch, stolz oder hoffärtig bin, damit mir niemand auf die Schliche kommt.“ Sie verurteilt und manipuliert, um das, was ist, zu verdecken, zu verdrängen.


In der Welt der Krieger ist der Durchschnittsmensch wie ein Kind. Wenn er sich ihr anschliesst, muss er neu erzogen werden wie ein Kind.


Die Mittelmässigkeit des Durchschnittsmenschen bezieht sich auf seine Wahrheitsliebe. Darin ist er mittelmässig, nie ganz wahr, nie genau, nie exakt.
Nicht so der Krieger, er will mit Wirklichkeit leben, darum sucht er in allem die Wahrheit. In der Selbsterkenntnis ist er äusserst exakt, darin besteht seine Makellosigkeit.
Für den Krieger sind die Durchschnittsmenschen wie Schatten; nur Krieger sind wirklich. Das Selbstvertrauen des Kriegers ist nicht das Selbstvertrauen des Durchschnittsmenschen.
Der Durchschnittsmensch sucht Bestätigung in den Augen des aussenstehenden Betrachters und nennt dies Selbstvertrauen. Der Krieger strebt nach Makellosigkeit in seinen eigenen Augen und nennt dies Bescheidenheit. Der Durchschnittsmensch ist von seinen Mitmenschen abhängig, während der Krieger nur auf sich selbst angewiesen und, das heisst, von der Unendlichkeit abhängig ist.
Der Krieger sammelt Energie, weil es grosser Energie bedarf, ins Herz der Wirklichkeit vorzustossen.
Er zerstreut sie nicht wie der gewöhnliche Mensch. Die Freude des Durchschnittsmenschen ist das Ausgeben von, das Zerstreuen der Energie, die Freude des Kriegers ist es, sie zu sammeln, um ins Innerste von allem vorzudringen. All seine Übungen, seine ganze Art dient dem Krieger dazu, Energie zu bündeln.


Der Weg des Kriegers ist der Weg der Selbsterkenntnis. Ordnung kommt daraus, dass wir exakt sind in der Selbsterkenntnis, es sehr genau nehmen mit der Ehrlichkeit uns selbst gegenüber.
Selbsterkenntnis heisst nicht, über sich selbst nachzudenken – das ist genau das Sich-gehen-Lassen des Durchschnittsmenschen –, es heisst, sich exakt wahrzunehmen, eine Bewusstheit seiner selbst zu haben. Über sich selbst nachzudenken, bedeutet, sich wichtig zu nehmen. Genau das vermeidet die Kriegerin. Sie sucht nicht Anerkennung bei anderen, sie hat aufgehört, sich Sorgen zu machen übers Geliebt-Werden, darüber, wie sie wirkt auf andere oder was andere von ihr denken. Selbsterkenntnis pampert nicht das Selbst, sie zielt auf die Überwindung des Selbst, auf völlige Freiheit vom Selbst.


Während der gewöhnliche Mensch von der Beurteilung anderer abhängig ist, baut die Kriegerin nur auf sich selbst und damit auf die Unendlichkeit, von der sie abhängt. Sie hat verstanden, dass der innere Dialog, den der Durchschnittsmensch ununterbrochen mit sich selbst führt, die Weltsicht, in der wir kollektiv gefangen sind, aufrechterhält.


Die Kriegerin gründet viel, viel tiefer als der Durchschnittsmensch. Sie lebt nicht aus dem Ich, das all ihr Persönliches umfasst. Sie ist nicht darauf beschränkt, nicht davon vereinnahmt. Im Gegenteil erledigt sie alles, was sie selbst betrifft, nebenbei. Nicht, dass sie nicht gut für sich sorgen würde, exzellent tut sie dies, aber die Gesamtheit ihrer Energie ist auf etwas viel Grösseres ausgerichtet, auf die Ganzheit des Lebens. Ihr Eigenes betrachtet sie darin als Detail, dem sie sich mit derselben Sorgfalt zuwendet, wie allem andern auch. Dem Durchschnittsmenschen fehlt es an Energie. Diese ist gebunden in seinem endlosen Dialog mit sich selbst, mit dem er die Welt der Muster und Konditionierungen, die Welt des Durchschnittskonsenses aufrechterhält. Sie reicht nicht für mehr; der gewöhnliche Mensch sieht schlicht nicht mehr als sich selbst.


Der ständige innere Dialog der Durchschnittsfrau beruht darauf, dass sie ununterbrochen mit allem in Konflikt steht. Dieser Grundkonflikt bildet sich in der Folge ab in ihren Beziehungen, die auch ständig voller Konflikt sind und ihr ihre Kraft rauben.
Davon frei zu sein, ist die Hauptquelle, aus der die Kriegerin ihre zusätzliche, freie Energie bezieht.
Die Waffe der Kriegerin, um Energie zu jagen, ist Selbsterkenntnis, die beständige Rekapitulation ihres Lebens. Den Durchschnittsmenschen bindet seine Art der Selbstbetrachtung an sein Leben, die Kriegerin macht die exakte Betrachtung ihrer selbst immer wieder frei von sich. Schliesslich gelingt es ihr immer wieder, in einem Raum zu leben, der frei ist von allen Gedanken der Selbstbespiegelung. In diesem Raum entdeckt die Kriegerin das Träumen, die Fähigkeit sich frei in der Unendlichkeit zu bewegen.


Die Überlegenheit des Kriegers gegenüber dem Durchschnittsmenschen liegt darin, dass der Krieger weiss, dass er nichts braucht. Er hat alles. Alles, was zählt, ist, lebendig zu sein. Das Leben genügt sich selbst, es erklärt sich aus sich selbst und ist vollkommen.


Der Tod, das untergründlichste aller Geheimnisse, macht die Existenz für den Krieger zu dem, was sie ist, ein Mysterium. Gäbe es den Tod nicht, wäre alles banal. Dieser trägt das Geheimnis. Währenddem der Durchschnittsmensch lebt, als gäbe es den Tod nicht, lässt sich der Krieger ein Leben lang von ihm leiten.


Um ein Krieger zu sein, reicht es nicht, dass man einer sein möchte. Vielmehr ist es ein endloser Kampf, der bis zum allerletzten Augenblick unseres Lebens währt. Niemand wird als Krieger geboren, genauso wie niemand als Durchschnittsmensch geboren wird. Wir machen das eine oder andere aus uns.


Der Krieger reagiert nicht mit unsinnigen Emotionen auf sein Ver–rücktsein, wenn der Montagepunkt der Wahrnehmung sich verschiebt. Dies ist sein Vorteil gegenüber dem Durchschnittsmenschen. Er wartet ab.


Es ist eine fatale Schwäche des Durchschnittsmenschen, sich selbst zu ernst zu nehmen. Ein Krieger kann einen kleinen Tyrannen, einzig bewaffnet mit der Erkenntnis, dass dieser sich todernst nimmt, besiegen.


Die Spontaneität des Durchschnittsmenschen ergibt sich aus einem Mangel an Überlegung und aus einem Sich-gehen-Lassen, nicht aus der Aufgabe seines Selbst. Er meint Spontaneität bestehe darin, etwas zu tun, ohne sich vorher etwas zu überlegen. Für den Krieger ist wirkliche Spontaneität Handlung, in der er sich völlig hingibt, aber erst nach gründlicher Erwägung, nachdem alles Für und Wider abgewogen und verworfen worden ist. Er ist darin unter höchster Kontrolle. Durch diese Art des Handelns zieht er die Freiheit an.


Der Krieger lernt seine Verbindung zum Geist, zur Absicht, die beim Durchschnittsmenschen tot oder nutzlos geworden ist, wiederzubeleben und zu läutern.


Es gibt vieles, was einen Durchschnittsmenschen zum Wahnsinn treiben kann. Für den Krieger, der eine klare Absicht hat, sind Gefühle allerdings in keiner Weise ein Hindernis, da er fähig ist, sie zu kontrollieren.


Ein Wissender hat keine Ehre, keine Würde, keine Familie, keinen Namen, er hat nur sein Leben zu leben, und unter diesen Umständen ist seine einzige Bindung zu seinen Mitmenschen seine kontrollierte Verrücktheit. Nach aussen hin wirkt er wie jeder Durchschnittsmensch, er schuftet und schwitzt und müht sich ab und verhält sich, als wäre das, was er tut, von grosser Bedeutung, aber tatsächlich spielt für ihn alles keine Rolle, so dass er sich nach getaner Arbeit in Frieden und Gelassenheit zurückziehen kann und es gleichgültig ist, was dabei herausgekommen ist. Siegreich oder geschlagen zu sein, ist für ihn dasselbe.
Trotzdem gibt es in seinem Leben keine Leere, alles ist gefüllt bis zum Rand, gefüllt bis zum Rand und gleich.


Für den gewöhnlichen Menschen bedeutet Wille Charakter und persönliche Veranlagung. Was der Krieger Wille nennt, ist eine Kraft, die von innen kommt und sich vom Bauch, vom Solar her an die Welt heftet. Sobald wir die Welt mittels der Absicht fühlen, nehmen wir sie nicht mehr ausserhalb von uns wahr, sondern in uns drin. Das Äussere entspricht dann eher einer möglichen Beschreibung, der Beschreibung des Durchschnittsmenschen. Seinen Willen entwickelt der Krieger im Umgang mit den Dingen des Alltags.


Für alle seine Entscheidungen übernimmt [der Krieger] die volle Verantwortung, so dass er bereit ist, dafür zu sterben. Er überlässt nichts dem Zufall. Seine Welt der präzisen Handlungen, Gefühle und Entscheidungen erkennt er als unendlich viel effektiver als die unbesonnene Idiotie des Durchschnittsmenschen. Seine Entscheidungen sind allerdings nicht eigentlich ein Wählen, sondern vielmehr ein elegantes Einwilligen in die Wege der unergründlichen Kraft, die ihn umgibt.


In Bezug auf Wahrheit handelt der Krieger im Sinne von Tun, in Bezug auf Unwahrheit im Sinne von Nichttun. Dies im Gegensatz zum Durchschnittsmenschen, der in Bezug auf Wahrheit handelt und an das glaubt, was er tut, in Bezug auf Unwahrheit aber nicht handelt oder nicht an das glaubt, was er tut.


In jeder Situation kannst du handeln wie eine Kriegerin oder dann entweder reagieren wie eine Durchschnittsfrau oder wie ein kopfloses Huhn.
Ein kopfloses Huhn rennt, nachdem es den Kopf verloren hat, noch eine Weile ziellos durch die Gegend auf der Flucht und landet schliesslich doch im Suppentopf.
Die Handlungen oder vielmehr Reaktionen der Durchschnittsfrau sind immer vorausberechenbar.
Sie folgt darin vorgegeben Mustern, die auf ihrer Erfahrung, ihrer Erinnerung, der Vergangenheit und vor allem der Konditionierung, die ihr Gehirn geprägt hat, beruhen. Auch sie stellt sich den Herausforderungen nie ganz. Sie reagiert auf alles beleidigt, mit Abgrenzung und Widerstand, erlebt alles als Belastung, Störung oder Bedrohung und fragt sich nie nach dem Sinn. Umso mehr schaut sie ständig, was die anderen denken und was ihr Vorteil sein könnte.
Darum endet das Tun des kopflosen Huhnes immer im Tod, bringt Chaos und Desaster. Und darum bringt das Tun der Durchschnittsfrau ununterbrochen Konflikt und Krieg hervor, indes die wahren Handlungen der Kriegerin Glück und Beständigkeit schaffen.
Die Kriegerin aber zeigt sich immer unberechenbar. Ihre Handlung ist wirkliche Aktion. Immer neu, nie voraussehbar, wohlüberlegt und besonnen. Sie begrüsst jede Situation, die ihr das Leben bringt, mit Freude, nimmt jedes Wesen, das in ihr Leben kommt, glücklich auf und gibt allem den richtigen Platz.
Aus ihrem Tun entsteht Ordnung, immer wieder neue Ordnung.
Das Gefühl der eigenen Wichtigkeit betrachtet die Kriegerin als den grössten Feind des Menschen.
Dieser Eigendünkel, der macht, dass wir uns ständig durch das Tun und Lassen anderer gekränkt fühlen, schwächt uns.


Der ständige innere Dialog der Durchschnittsfrau beruht darauf, dass sie ununterbrochen mit allem in Konflikt steht. Dieser Grundkonflikt bildet sich in der Folge ab in ihren Beziehungen, die auch ständig voller Konflikt sind und ihr ihre Kraft rauben.
Davon frei zu sein, ist die Hauptquelle, aus der die Kriegerin ihre zusätzliche, freie Energie bezieht.

1) Danièle Nicolet Widmer, Flyer für das Seminar «Der Kriegertrupp»