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Newsletter 3/2022 - Demut
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Juni 2022

I

ch weiss von zwei Blumen
die eine ist klein, die andere gross
und beide blühen
in meines Gartens Schoss

Sie blühen zusammen
Sie sind sich Freund
Sie eifern gemeinsam
den Garten zu schmücken
Sie träumen von Schönheit
und kennen kein Pflücken
Sie duften von Liebe
darin sind sie gleich
In ihrer Schlichtheit
wirken sie reich

Sag mir
wie mögen die Blüten heissen
die sich unermüdlich
des Duftens befleissen?
Die einander übertrumpfen
im Unglück vermeiden
und dabei nichts wissen
von Zwist und von Leiden?
Sag mir
könnten Unschuld und Demut
ihre Namen heissen? (1)




Demut heisst, ohne jedes Selbstmitleid zu sehen, dass ich in den meisten
Auseinandersetzungen zum Problem gehöre und nicht zur Lösung. Ausser ich
bin ein durch und durch sinnliches, leidenschaftliches Wesen, dann gehöre ich zur Lösung. (2)
Danièle Nicolet Widmer





Liebe Leser

Der Demut begegnete ich vor mehr als einem halben Jahr während einer Meditation zu einem eigentlich ganz anderen Thema. Die Demut begleitete mich beharrlich den ganzen Tag und zeigte mir alle ihren Facetten.
Es war zuerst einmal die Demut vor dem ganz Grossen, die sich mir zeigte, vor dem Mysteriösen, dem Universellen, dem Unausweichlichen, vor dem man sich nur ganz klein und unbedeutend fühlen kann. Es war auch die Demut vor dem eigenen Schicksal, dem man ausgeliefert ist und vor dem man absolut nichts zu sagen hat, egal auf welche Herausforderungen man auf seinem Weg trifft.
Neben der Demut vor dem Unfassbaren, wurde ich damals auch mit der ganz "menschlichen" Demut konfrontiert. Ich habe bemerkt, wie man oft im Leben vergisst, im Alltag, in den Beziehungen, in den kleineren Dingen demütig zu sein. Samuel nennt sie die "narzisstische Überheblichkeit des Zauberlehrlings", der irgendwann glaubt, alles zu können oder zu wissen, anstatt sich bescheiden zu besinnen, dass man ein Leben lang ein "Lehrling" bleiben wird.
Und in den letzten Wochen, seit meines Bruders Tod, musste ich mich mit einer neuen Art der "menschlichen" Demut befassen, nämlich die des Angewiesenseins und des Verletzlichseins. Demütig Hilfe von Freunden anzunehmen für die verschiedensten Dinge, mit denen ich konfrontiert war, und mit denen ich manchmal einfach nur überfordert bin, aber auch nur Trost und Halt suchen, das fällt mir noch schwer. Trotzdem merke ich, dass es eine besondere Schönheit hat, das zu lernen, und dass es den Beziehungen und Freundschaften einen ganz neuen Glanz gibt.

Und ja, trotz der Schwierigkeiten dieser Zeit, im Persönlichen und im Kollektiven, habe ich mich vor ein paar Tagen neu entschieden, die schönen Dinge des Lebens jeden Tag zu würdigen und zu schätzen. Wie zum Beispiel die schönen sommerlichen Stunden, die uns schon in Mai beschert wurden, die ich mit jeder Zelle geniesse, anstatt mich darüber zu beklagen, dass die heissen Tage auf der nördlichen Seite der Alpen viel zu wenige sind…

Einen schönen Sommeranfang wünsche ich euch

Romina Mossi
mit Danièle Nicolet Widmer und Marianne Principi

P.S. Das Seminar "Das Allerinnerste – Vom Duft des Ankommens" war in Februar 2022 ganz der Demut gewidmet. Dazu gibt es eine Audioaufnahme (mp3, wav oder CD), die bei Basic Editions bestellt werden kann.

P.S.2 Dieser Newsletter kann auf der Website des Vereins "Samuel Widmer Nicolets Erbe" (https://samuel-widmer.org/de/news) kostenlos abonniert werden. Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis. Die Newsletter findet ihr auch auf der Website der Praxis Hof zur Kirschblute (https://hof-zur-kirschbluete.ch) und der Kirschblütengemeinschaft (https://gemeinschaft-kirschbluete.ch).


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Vom Allerinnersten, Meditationen, Basic Editions, 2005
Demut
Wenn man das Allerinnerste erforscht auf dem Weg der Selbsterkenntnis, fasziniert einen immer wieder der hologrammartige Charakter dieses allseits geschliffenen, leuchtenden Diamanten. Man kann durch irgendeine Facette eintreten, durch Liebe oder Stille vielleicht, und stösst dabei unweigerlich auf all die anderen wie Wahrheit, Glück oder Einsicht, die immer mit aufleuchten. Manchmal erscheint einem die eine Facette als die allerwichtigste, grundlegendste, die alle anderen enthält oder bedingt, dann wieder die andere. Das Wunder daran ist, dass dies für jede gilt. Woher immer man schaut, man sieht immer gleich den tiefsten Grund, auf dem sich alles andere zu begründen scheint.
So auch bei der Demut, einer "besonders wichtigen" Eigenschaft des Allerinnersten, des weiten Himmels, der sich dem beharrlichen Sucher schliesslich öffnet. Aber eben: Das Prädikat "besonders wichtig" ist irreführend. Es stimmt nicht wirklich. Alle Aspekte des innersten Einen, seien es Ehrfurcht, Tiefe oder Ergebenheit oder auch Kraft, Heilung und Mühelosigkeit oder was auch immer stehen gleichwertig nebeneinander. Man erkennt, dass man im Innersten vor allem auch über gleichwertiges Miteinander lernen kann. Etwas, worum sich Menschen immer wieder vergeblich mühen, was sie herbeizuzwingen versuchen und doch nie finden. Denn Gleichwertigkeit ist nicht gegeben, solange das Innerste nicht allgegenwärtig aus einem Herzen oder Geist durchschimmert, solange er noch gefangen ist in Konditionierung, in Halbheiten, in den Niederungen der abgewehrten und abwehrenden Gefühle. Gleichwertigkeit setzt vor allem dies voraus, dass die Qualität, die ein Geist, ein Herz vertritt, alle anderen Qualitäten mitumschliesst, sich auf ihnen begründet und gleichzeitig ihr Grund ist. Darüber kann man im Allerinnersten lernen. Da findet man die grosse Leere, das grosse Nichts, und es ist gleichzeitig Stille und Mitgefühl. Da entdeckt man Würde oder Ehrlichkeit, und sie scheinen einem alle anderen Aspekte, wie zum Beispiel Gelassenheit oder Schönheit, erst hervorzubringen.
Oder eben Demut: Manchmal sieht man sie vielleicht als Beiprodukt von Weisheit und Glück, und dann wieder erkennt man sie als deren eigentliche Grundlage. In einer liebenden Gemeinschaft vertritt jeder Einzelne einen bestimmten Aspekt dieses Allerinnersten, zu dem er besonders berufen, der ihm besonders geschenkt ist. Der eine steht vielleicht für die Stille, die andere vor allem für die Freude, ein Dritter zum Beispiel für Nüchternheit und eine Vierte lebt in erster Linie die Wachheit. Und so weiter ... Und jeder und jedem wird es vorkommen, als hätte gerade der andere das allerwichtigste Geschenk, auf dem sich das seine erst begründen kann. Und jeder und jede wird auch erkennen, dass seine Gabe zuweilen die allerwichtigste wird, die alle anderen zusammenfasst und zu einer Einheit beschliesst. Und darin werden sich alle gleichwertig fühlen können in aller Verschiedenheit, und darum wird kein Konflikt unter ihnen sein. Nicht Ehrgeiz und Konkurrenz wird sie beherrschen, sondern jeder wird den anderen würdigen und schätzen können und sich selbst geschätzt fühlen.
Die Demut spielt darin eine "besondere" Rolle (in Anführungszeichen natürlich). Glück und Weisheit können sich in einem Menschen nur zeigen, wenn er sie kennt. Sie ist aber nicht falsche Bescheidenheit, hinter der sich die eigene, nicht offen eingestandene Wichtigkeit versteckt, auch nicht Gleichmacherei, die es vermeiden will, schwierige aber notwenige Auseinandersetzungen mit Macht und Autorität auf sich zu ziehen. Demut ist eine königliche Haltung, die sich wie alles im Innersten auf einer Ergebenheit gegenüber Wirklichkeit begründet, die aufgehört hat, mittels eines beschränkten Eigenwillens eine beschränkte Wirklichkeitssicht den Fakten des Lebens überstülpen zu wollen, die uneingeschränkt bereit ist, sich der Autorität des Wirklichen zu beugen, ihr zum Recht und zum Durchbruch zu verhelfen und darin nichts Eigenes verteidigen muss. Demut ist es, die gerade die Gleichheit in allem erkennt, das aus dem Innersten kommt. Demut ist es aber auch, die mit Würde und ohne jeden falschen Stolz das, was nicht gleichwertig ist, konfrontieren kann, die sich nicht scheut, jedes Autoritätsproblem, das hinter der Nicht-Akzeptanz gegenüber Wirklichkeit besteht, hervorzuholen. Denn alles, was aus dem Innersten kommt, ist sich seiner Nichtigkeit bewusst und hat darum Anteil an der Erhabenheit des grossen Nichts. Was aber nicht aus dem Innersten kommt, ist tatsächlich minderwertig, fühlt sich auch zu Recht minderwertig, wie jeder, der nicht liebt zum Beispiel, erlebt sich aber als wichtig, neigt zur Selbstüberschätzung und sieht seine Bedeutungslosigkeit nicht.
Demut sieht die wirklichen Zusammenhänge, erahnt die grossen Zusammenhänge. Sie hat die Arroganz und den Grössenwahn der Beschränktheit vollkommen hinter sich gelassen, erlebt sich als Staub vor dem grossen Einen und beugt sich willig und wahllos vor seiner Ordnung und seinen Gesetzen, die sie immer deutlicher zu erkennen beginnt.
S. 33

Der Mut, das Ganze zu beachten, ist Demut.
S. 56

Die Demut betrachtet nichts als selbstverständlich. Sie nimmt nur, was sie braucht. Sie schätzt jede Hilfestellung des Lebens als unverdientes Glück.
S. 99

Unschuld ist die Essenz der Demut.
S. 125

Erfüllt zu werden von der Kraft des Ganzen braucht einen guten Stand. Wer sich nicht gereinigt hat von allen Ambitionen, von aller Besserwisserei, von aller Arroganz, und Demut und Bescheidenheit gefunden hat, wird sich mit der Kraft des Innersten identifizieren und sich selbst als allmächtig wähnen. Er wird nie ganz verstehen, dass er tatsächlich leer und nichts ist, er wird die Angst vor dieser Tatsache nie ganz verlieren, dass die Kraft gar nicht die seine ist, dass sie ihm geliehen ist und er ihr Werkzeug sein soll. Als schillernder Choleriker wird er immer einen Kreis von Menschen um sich versammeln, die er beherrscht, die sich von seiner Macht beeindrucken lassen, aber wirkliche Erleuchtung wird nicht zu ihm kommen. Erst wenn er auch die Macht zu negieren lernt, einsieht, dass es mehr als ein Fehler ist, sie zu besitzen und sich dabei nicht selbst unter Kontrolle zu haben, wird er über sie hinausgelangen. Macht wird dann reine Kraft sein, geläuterte Liebe, die in ihm wohnt und durch ihn wirkt, ohne dass er noch länger geneigt ist, sie in den Dienst seiner Selbstansprüche zu stellen. Er hat dann wirkliche Freiheit gefunden, Losgelöstheit von allem. Er hat sein Selbst überwunden, Selbstlosigkeit ist zu ihm gekommen. Er hat begriffen, dass nicht er das Sagen haben soll, sondern die Kraft selbst, die in ihm wohnt, die er aber nicht ist. Er hat gelernt zu verzichten, wo nicht die Liebe einlädt. Er hat das Rätsel der Inzestproblematik gelöst. Das heisst, er hat zwar alle Freiheit, innerlich und äusserlich zu tun, was er will, sich zu nehmen, was er will, braucht aber gleichzeitig auch seine Kraft und Einsicht, um auf alles zu verzichten, was nicht die Liebe mehren, was nicht in der Liebe blühen will.
S. 148

Ein Lernender zu sein, die Bereitschaft zu haben, aus allem zu lernen, ist die Essenz der Demut.
S. 167

Aus: Samuel Widmer Nicolet: Aus dem innersten Herzen gemeinsamen Seins, Von den Basics bezüglich Gemeinschaftsbildung/ Weitere Briefe an die Gemeinschaft, Basic Editions, 2007
Ich erlebe mich darin genauso wie in der Welt. Zuerst einmal gehöre ich zum Ganzen, zur ganzen Menschheit. Erst in zweiter Linie gehöre ich dann zu einer Familie, zu einem Partner, zu einer Gruppe. Darum gibt es darin keine Grenze und keine Trennung. Genauso gehöre ich in erster Linie zum Ganzen der Gemeinschaft. Erst sekundär erkenne ich dann mein Zugeteiltsein in eine bestimmte Partnerschaft, in einen bestimmten Lebenskreis. Darum gibt es keine Reibung zwischen diesen Kreisen, keine Trennung, kein Mein und Dein. Wenn irgendwo so etwas aufkommt, ist etwas noch nicht klar, nicht angeschaut. Es gibt nicht meine Leute und deine Leute, nicht meins und deins. Es gibt das Alleinsein, und das ist die alleinige Zugehörigkeit zum Ganzen, und es gibt die Demut, ein demütiges Sich-Einordnen in das Zugewiesensein an den Platz, an den mich dieses Ganze stellt. Sterben oder Leben ist dasselbe geworden, Verzicht und Erfüllung sind eins in mir. Beidem folge ich willig und demütig, gerade so wie das Leben es bescheidet. Der non-duale Zustand der Erleuchtung, das Sein mit dem, was ist, ist definitive Wirklichkeit.
S. 99

Etwas, was mit einer realistischen Haltung zusammengeht, ist die Demut, die mit der Einsicht zusammenhängt, dass wir alle voneinander abhängig sind, alle einander brauchen. Ein Charakteristikum von Gemeinschaft ist daher, dass sie realistisch denkt und handelt und demütig ist.
S. 121

Sterben oder leben
ist dasselbe geworden
Verzicht und Erfüllung
sind eins in mir
Beidem folge ich willig
und demütig
gerade so
wie das Leben es bescheidet
Der non-duale Zustand
der Erleuchtung
das Sein mit dem
was ist
ist definitive Wirklichkeit
S. 166


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Kriegerschule / Die Kriegertexte, Sachbuch Spiritualität, Basic Editions, 2010
Das Rückgrat eines Kriegers ist Demut und Effizienz, handeln, ohne etwas zu erwarten, und alles aushalten können, was ihm auf seinem Weg begegnet.
S. 24

Eine Kriegerin nimmt ihr Los auf sich, was immer es auch sei, und akzeptiert es in äusserster Demut. Sie akzeptiert in Demut, was sie ist, und zwar nicht als Anlass, um sich zu bedauern, sondern als eine lebendige Herausforderung.
Sollte sie einmal erkennen, dass sie gerade nicht den Weg des Herzens geht, gibt die Kriegerin diesen verkehrten Weg ohne Zögern auf. Sie weiss, dass es nicht falsch ist, etwas abzubrechen und anders zu wählen, dass sie niemanden wirklich damit verletzt. Weil sie immer umsichtig ist, schaut, wo sie unterwegs ist und die Frage nach dem Herzensweg immer in ihr lebendig bleibt, wird sie sich aber kaum je irren und kaum je den Weg, den sie gerade geht, beenden oder korrigieren müssen. Darum, weil sie unbeirrbar richtig geht, ist ihr Leben voller Glück und, wen sie berührt dabei, den macht sie froh.
S. 37
Jeder Krieger hat sein persönliches Schicksal, welches er in Demut und ohne Anschuldigungen akzeptiert. Erst dann kann die Kraft zu ihm kommen.
S. 77


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Du bist Schönheit - Krishnamurti - Angewandt im Alltag - Der Einfluss seines Werkes auf die Psychotherapie / Von der Liebesgeschichte eines späten Sommers, Basic Editions 1998
Du bist ein materieller Prozess, das ist das eine, wie eine Kuh, eine Katze oder eine Pflanze. Und in diesem Nicht-Sein hast du die Musse, dich liebevoll um diesen materiellen Prozess zu kümmern, wirklich zu dir zu schauen und auch zu den anderen. Dich richtig zu nähren, dich richtig zu kleiden, dich richtig zu schützen, dem Körper das zu geben, was er braucht an Bewegung, an Zuwendung, Zärtlichkeit. Allein das ist schon ein grosses Glück.
Und dann ist da auch das Andere. In diesem Nicht-Sein bist du erfüllt vom Anderen, von der ganzen Schönheit der Erde, aber auch vom Unermesslichen, von der Intelligenz des Ganzen. Im Nicht- Sein bist du auch die Fülle, etwas ganz Grossartiges, das sich in dir manifestiert. Aber dieses Grossartige empfängst du in einer absolut demütigen Haltung, einer Demut, die dir nicht einmal bewusst ist. Du weisst einfach, dass du dieses Andere nicht bist, sondern dass es dich erfüllt.
S. 187


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Vom Weg mit Herz,- Die Essenz aus der Lehre des Don Juan/ Eine Würdigung des Werkes von Carlos Castaneda, Sachbuch Psychologie, Nachtschatten-Verlag, 2002
Zwischen dem Selbstvertrauen des Durchschnittsmenschen und der Demut eines Kriegers gibt es einen grossen Unterschied. Selbstvertrauen setzt voraus, dass man etwas mit Sicherheit weiss; Demut setzt voraus, dass man in seinen Handlungen und Gefühlen makellos ist. Es ist nicht genug, sein Bestes zu geben, du musst mehr tun als das. Du musst dich zwingen, deine Grenzen zu überschreiten – immer.
S. 104

Ein Krieger, der sich der für ihn unergründlichen Geheimnisse des Seins bewusst wird und sich auch seiner Pflicht bewusst ist, wenigstens zu versuchen, diese zu enträtseln, nimmt damit seinen rechtmässigen Platz unter diesen Geheimnissen des Seins ein und betrachtet sich selbst als ein solches. Dies ist seine Demut, zu sehen, dass man allem anderen gleichgestellt ist.
S. 208

Die narzisstische Überheblichkeit, lieber Manfred, von der Don Juan hier spricht, kann man in jedem Zauberlehrling beobachten, der gewisse erste Schritte bewältigt hat. Erst im reifen Zauberer macht sie einer Demut und inneren Leere Platz, die sich schämen würde für die anfängliche Arroganz, sofern solche Gefühle in uns dann überhaupt noch wirksam wären.
S. 260

Als erwachter Mensch, lieber Manfred, fühlt man sich mit seinen Mitmenschen oft, wie wenn man mit Kaninchen zusammen im selben Stall leben müsste. Nichts gegen Kaninchen! Sie sind wirklich nett. Aber mit ihnen leben… Und das ist ja noch die beste Variante. Oft sind sie nicht nur Kaninchen, sondern Bestien, Raubtiere, komplizierte, vertrackte Monster, mit denen man sich im Handumdrehen in einen gewaltigen Konflikt hineinmanövriert hat. Damit umzugehen, sie bei guter Laune zu halten, sich nicht zu verwickeln mit ihnen und dabei ein gutes Leben zu haben und allenfalls sogar auf ihr bewusstseinsmässiges Wachstum einzuwirken, ist wirklich eine Kunst, die Kunst der kontrollierten Torheit eben. Und es ist keine Überheblichkeit, die so spricht, sondern Demut, die aus grosser Verletzlichkeit kommt, die weiss, dass man sich schützen muss.
S. 315


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Liebe äussert sich ganz einfach, Wundersame, hinterhältige, humorvolle und schauerlich schöne Geschichten, Geschichtenband, Basic Editions, 2000
Du kennst die Geschichte von Aschenputtel?
Die Geschichte von der Prinzessin, die von der bösen Stiefmutter gezwungen wird, in Sack und Asche zu leben und der hinterletzte Dreck zu sein und die dann vom Prinzen entdeckt wird und all das? Jeder kennt sie. Aber kennst du sie wirklich? War es wirklich so, dass Aschenputtel rein und demütig und ohne Hader und Selbstmitleid in der Asche gesessen hat und Erbsen aussortierte?
Könntest du dir vorstellen, in einer derartigen Situation in einem solchen Zustand zu sein? Ohne bittere Gedanken, ohne Opferhaltung, ohne Schuldzuweisungen: aufrecht, makellos, voller Unschuld, ja Liebe? Du wärst doch wohl eher voller Hass und Selbstmitleid, würdest klagen und dich beschweren. Frust wäre deine Ausstrahlung. Jeder von uns würde sich doch so verhalten. Und jede. Und damit auch im Recht fühlen. Schliesslich geschieht dir Unrecht, bodenlose Ungerechtigkeit. Du wirst herumgeschubst, in deinem wirklichen Sein nicht gewürdigt, verletzt, gehasst, gedemütigt. Jeder von uns, und jede, würde das doch in die Welt hinausschreien, kämpfen, einen Anwalt nehmen, sein Recht einfordern. Oder zumindest, wenn das nichts nützt oder du zum Schreien unfähig wärst, absaufen in deinem Elend, voller dunkler Gefühle und übler Gedanken sein. Nichts wäre mit Vögelein auf dem Grab der Mutter, schönen Kleidern, die vom Bäumchen fallen, goldenen Schuhen und Tanzen auf dem Fest des Prinzen. Kein Wunder würde auf dich warten. Das ist eben alles Märchen. Die Wirklichkeit ist halt anders. Oder nicht?
S. 194


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Zusammen leben - Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildung, Basic Editions, 2013
Aus der "Checkliste zu den Voraussetzungen echten Zusammenlebens: Die Zugehörigkeit zur Herzgruppe"
- Insbesondere […] die Fähigkeit, seinen Platz und seine Aufgabe im Ganzen zu erkennen und demütig auszufüllen, sowie den Platz und die Aufgabe eines anderen im Ganzen zu sehen und willig anzuerkennen.
S. 361

Aus den "Charakteristiken von Gemeinschaft":
Etwas, was mit einer realistischen Haltung zusammengeht, ist die Demut, die mit der Einsicht zusammenhängt, dass wir alle voneinander abhängig sind, alle einander brauchen. Ein Charakteristikum von Gemeinschaft ist daher, dass sie realistisch denkt und handelt und demütig ist.
S. 374


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Sag mir Liebste, was ist das Leben? Und sag mir Liebster, was ist der Tod? - Ein Briefwechsel zwischen Liebenden (zusammen mit Danièle Nicolet), Basic Editions, 2003
Demut lässt Enttäuschung hinter sich. Ihr genügt die Liebe zum Leben.
S. 22
Sag mir, Liebste, was ist das Leben? Und, sag mir, Liebster, was ist der Tod? Du weisst, dass ich eigentlich keine Antworten von dir erwarte? Ich rede einfach gern mit dir über all die Fragen des Lebens, die mich beschäftigen. Ich zeige sie dir gerne. Aber das Suchen nach einer Antwort hat in mir aufgehört. Jeder, der eine findet, habe ich begriffen, sieht nicht. Jeder, der eine hat, hat keine. Kann ich diese Frage wirklich in mich einlassen in der Tiefe des Erlebens, darauf kommt es an. Darin liegt der Zustand, der die Antwort überflüssig macht, der die Antwort ist. Wie erkenne ich Wirklichkeit? Kann ich allein stehen, so dass ich die vielleicht geschlossene Meinung meiner sieben Milliarden Mitbrüder und Mitschwestern zu einer bestimmten Sache gegenüber haben und in aller Schlichtheit sehen kann: Ihr seht nicht, ihr seht nicht Wirklichkeit! und nicht daran zerbreche, nicht dem Verrücktsein verfalle, sondern standhalte in Demut und Stille?
S. 42

[Danièle] Ich sehe gerade die Schönheit, die darin liegt, den mir vom Leben zugedachten Platz mit Demut zu besetzen und mit all meinen Fähigkeiten und meiner ganzen Leidenschaft auszufüllen. Darin ist es unwesentlich, ob ich Dienerin oder Königin bin, das Gefühl, der richtige Zustand darin ist derselbe: Beide dienen dem Leben, sorgen für etwas, was grösser ist als sie. Königliche Dienerin oder dienende Königin, das, was allein Erfüllung bringt und mein Leben zur Entfaltung und zum Blühen, ist, ob ich das, was ich tue, mit Liebe tue!
S. 46


Aus: Samuel Widmer: Stell dir vor, du wärst ein Stück Natur, Von der Lust am Verbotenem, 1995, 2. Auflage Basic Editions, 2021
Vielleicht müssten wir uns viel eher demütig, bescheiden in unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit der Mutter Erde ergeben, als uns noch in unserer Einsicht, dass mit uns etwas nicht stimmt, über sie zu erheben. Ein lebendiges System, wie es die Erde ist, wird gesunden, wenn die Störung nicht mehr anhält, ganz von selbst. Da braucht man nichts zu tun. Und die Störung ist der Mensch, sind wir mit unserem Tun. Und die Frage ist, ob wir dieses Tun einstellen können. Wenn nicht, wird uns die Mutter Erde allmählich ausstossen.
Die Macht versucht mittels hierarchischer Systeme, die Verbun¬denheit und Nähe, welche allein die Liebe schafft und welche uns verlorengegangen ist, zu kopieren. Unsere Handlung folgt immer dem Gedanken, mit dem die Macht gekoppelt ist. Liebe steht ausser¬halb des Denkens. Wer nicht in der Liebe steht, fällt auf das glanzlose Abbild, welches die Macht schafft, herein.
S. 271


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Der Gesang des Begnadeten/ von der unendlichen Liebe (The Song of the Blessed One/ about love infinite), Samuel-Shri-Prem-Avinash-Gita, Meditationen, Basic Editions, 2017
Wirklichkeit geht mit Demut.
Alles, was aus dem Innersten kommt,
ist sich seiner Nichtigkeit bewusst,
und hat damit Anteil an
der Erhabenheit des grossen Nichts.
Alles, was nicht
aus dem Innersten kommt,
ist tatsächlich minderwertig.
S. 118

Demut ist der Mut,
das Ganze zu beachten.
Mut ist die unerschütterliche Bereitschaft,
zu Wirklichkeit und Wahrheit zu stehen,
eine unbeugsame Absicht,
die nicht dem Willen,
sondern der Einsicht entspringt.
Mut bringt auch Sanftmut und Gleichmut.
S. 128

Globales Denken ist sanftmütig und demütig.
Es kommt aus dem tiefen Verstehen,
dass ich und die Welt eins sind,
das du und ich nicht getrennt sein können,
dass dein Glück mein Glück und
dein Unglück mein Unglück,
dass wir unzertrennlich sind.
Globales Denken ist Mitgefühl.
S. 132

Freiheit von Bedürftigkeit ist Reife.
Diese Freiheit bringt Intensität,
die keine Ursache hat.
Reife geht zusammen mit Einfachheit,
mit Demut bezüglich der Qualität des Seins.
Sie kennt eine Sensitivität
gegenüber Schönheit, die
jenseits von Gedanke und Gefühl liegt.
S. 142


Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Wahrheit, Sachbuch Philosophie, Basic Editions, 2010
Der schwierigste Teil auf dem Weg eines Kriegers ist zu erkennen, dass die Welt ein Gefühl ist. Er fasst alles, was ihn umgibt, als unergründliches Rätsel auf. Die Herausforderung, dieses Rätsel zu entschlüsseln, nimmt er an. Damit nimmt er seinen Platz in aller Demut ein: Nämlich inmitten aller Geheimnisse selber eines zu sein.
S. 239


Aus: Samuel Widmer Nicolet (zusammen mit Danièle Nicolet): Heute wurde uns eine Tochter geboren / Ein Lebensjahr – ein reiches Jahr – ein Jahr der Wandlung / Von Geld, Macht, Besitz und Gerechtigkeit, Basic Editions, 2005
Wer die Angst vor dem Erwachen überwindet, gewinnt die Klarheit, die sich aber in ihrem engen Fokus bald als zweiter Feind entpuppt. Wer sich ihrer Engstirnigkeit entwinden kann, gewinnt im Zustand des Nicht-Wissens schliesslich Zugang zur universellen Kraft. Beschränkt wie wir sind, werden wir dabei zuerst schnell grössenwahnsinnig. Wir sind über den dritten Feind, die Macht, gestolpert. Erst wer Demut lernt, erkennt, dass die Kraft nicht persönliche Macht ist, und erst wer sich dem Willen des Ganzen beugt, hat zum voll erwachten Menschsein gefunden. Wenn es ihm auch noch gelingt, den Überdruss, der ihn danach befällt, nämlich weiter unter unreifen Menschen, oder anders gesagt, weiter als Schmetterling unter Raupen, als Maikäfer unter Engerlingen leben zu müssen, abzuschütteln, und wenn er einwilligt, sein Schicksal zu Ende zu leben, findet er Vollendung.
S. 114

[Danièle] Was es zu lernen gilt, ist immer wieder, immer neu, immer noch mehr: Demut…! Vor der Grösse des Lebens, vor der Allmacht, wie soll ich sie bloss nennen, Gott – oder wie denn? – vor dieser unendlichen Macht bin ich so klein und dennoch immer wieder noch zu gross. Nichts sein kann ich nur als stimmiges Sein in diesem Raum.
S. 241

1) Aus: Samuel Widmer Nicolet: Durchdrungen sein vom Du, Von der Praxis der Liebe, Protokolle einer Gemeinschaft, ein ganz persönliches und ein gemeinsames Buch, Basic Editions, 2004, S. 22
2) Danièle Nicolet Widmer, Seminar Das Allerinnerste – Vom Duft des Ankommens" zum Thema Demut in Februar 2022