Newsletter 2/2023 - Flow of Leadership (Fliessende Führung) alias Group of All Leaders
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April 2023
G
emeinschaft
Gemeinschaft
Das ist Beziehung ohne jeden Konflikt
Beziehung von ganz anderer Art
Ganz neu, ganz unbekannt:
Schönheit von innen,
Die nach aussen quillt -
Gemeinschaft, duftende Blüte,
Ohne sie ist jede Erleuchtung fruchtlos
Ein Geist, der allein ist
Verweilt in Schönheit
Schönheit, die Unschuld ist,
Die untrennbar ist vom Heiligen -
Das Heilige ist Schönheit
Das Heilige ist das Andere
Es ist da, wenn der Geist allein ist -
Alleinsein ist Erleuchtung
Darin ist der Geist unbeeinflusst
Ewig jung bewohnt er das Schöne
Er sieht Schönheit
Schönheit, die nach aussen überfliesst:
Gemeinschaft ist Freundschaft,
Beziehung, die nicht zu fassen ist -
Liebe ist gefährlich,
Zerstörung, sogar für die Erleuchtung!
Der unschuldige Geist ist eine Knospe
Ohne zu duften, welkt sie dahin,
Wenn die Blüte sich nicht öffnet -
Welch süsse Paradoxe:
Schönheit ist Alleinsein, ist Erleuchtung,
Aber ihre Blüte ist Gemeinschaft!
Erleuchtung ist Gemeinschaft,
Auch wenn sie sich nur im Alleinsein findet!
Nichts ist zu tun
Keine Anstrengung hilft, kein Suchen:
Gemeinschaft als Blüte der Schönheit
Bleibt die Gnade
Wie die Erleuchtung auch -
Erleuchtung ist das Aufgehen im Andern
Gemeinschaft, das gegenseitige Erblühen ineinander
Erleuchtung zusammen (1)
In der guten Gemeinschaft fliesst die Führerschaft dahin,
wo sie immer gerade tatsächlich ist.
Samuel Widmer
Liebe Leser
Es ist fast so weit! Im Juni, pünktlich für die Gemeinschaftstage der Kirschblütengemeinschaft und für den internationalen Kongress für Echte Psychotherapie, Psycholyse und Alternative Psychiatrie wird der Umbau der ehemaligen Curlinghalle im Gemeinschaftshof Rössli zu neuen Gemeinschaftsräumen in einer ersten Etappe fertig sein. Die Gemeinschaft verlässt für ihre Treffen die Räume der Praxis «Hof zur Kirschblüte», wo sie in den letzten fast 25 Jahren zu Gast war.
Eine neue Zeit beginnt. Schon seit Samuels Tod befindet sich die Gemeinschaft in einem Prozess des Wiederfindens, des Unabhängig- und Verantwortlich-Werdens. Mit dem definitiven Umzug in die neuen Räume wird die Abnabelung vollkommen sein. Neue rechtliche und organisatorische Strukturen werden nötig sein. Aber vor allem werden wir nun definitiv zu einer Group of All Leaders. Oder zumindest werden wir uns ernsthaft darin üben (müssen).
Persönlich habe ich einen gewissen Widerstand gegen den Begriff. Weil leider oft darunter verstanden wird, dass alle gleichzeitig und jederzeit die Führung haben. Das ist dann eher Anarchie und endet meistens im Chaos. Deshalb habe ich viel lieber den anderen Begriff von Scott Peck «Flow of Leadership», oder fliessende Führung, der meines Erachtens viel besser ausdrückt, was eine Group of all Leaders sein sollte: jeder und jede geht dann in Führung, wann und wo (und wenn) es ihm/ihr von der Energie «befohlen» wird.
Seit längerem analysiere ich meine Beziehung zu und meinen Widerstand gegen den Flow of Leadership. Mein Widerstand kommt einerseits daraus, dass ich vor Chaos und unkontrollierten (nicht geführten) Menschenmengen eine unlösbare Furcht habe. Aber auch daraus, dass ich seit immer leidenschaftlich gerne lerne und eine Bewunderung habe für Menschen, die Besonderes können und von denen ich profitieren kann. Und gerade diese besonderen Menschen möchte ich jeweils in Führung haben. Trotzdem finde ich die schönste der Erfahrungen, mit einer Gruppe von Menschen zu sein oder zu arbeiten, die in der Stimmung des Flows of Leadership zusammen sind, zum Beispiel wie ich es mit meinem Geschäftspartner Melchior habe oder wie wir es in den letzten Jahren in den Rössli-Umbau-Projektgruppen hatten.
Ob uns das gelingen wird, nicht der Macht, der eigenen Wichtigkeit, den Autoritätsproblemen, den Neid zu unterliegen? Werden wir einander helfen und gegebenenfalls den Mut haben, uns zu konfrontieren? Die Erfahrungen der letzten Monate und Jahre sind vielversprechend.
Ein gutes Forschen in der Selbsterkenntnis wünsche ich euch
Romina Mossi
mit Danièle Nicolet Widmer und Marianne Principi
Bevorstehende Termine des Hofs zur Kirschblüte
- Die nächste Online-Meditation findet am 26. April 2023 statt.
- Im Mai findet das zweite Treffen des Kriegertrupps statt, im Seminar von Danièle «Der Kriegertrupp - Über das erwachte Herz, das Gehirn als Sinnesorgan, Meditation und das Spirituelle Träumen».
- Ebenfalls im Mai geht die Seminarreihe «Das Allerinnerste – vom Duft des Ankommens» mit dem Thema «Verletzlichkeit» weiter.
- Vom 23.-25.Juni 2023 organisiert die Ärztegesellschaft Avanti in Zusammenarbeit mit der Kirschblütegemeinschaft das sechste internationale Kongress für Echte Psychotherapie,
Psycholyse und Alternative Psychiatrie zum Thema „Bewusstseinserweiterung, Schamanismus und Heilung - Psychoaktive Substanzen in der Psychotherapie“.
- Im November 2023 beginnt eine neue Ausbildung in Psycholytischer Psychotherapie unter der Leitung von Danièle Nicolet Widmer.
- Im April 2024 findet wieder aufgrund grosser Nachfrage ein Seminar zum Thema Zärtlichkeit.
- In Kolumbien werden wir wieder im Oktober 2024 sein, in Indien wieder im Dezember 2024.
Die Programmübersicht mit den Angeboten bis Ende 2023 findet ihr jeweils hier:
https://hof-zur-kirschbluete.ch/de/seminare_programmuebersicht.
Dieser Newsletter kann auf der Website des Vereins "Samuel Widmer Nicolets Erbe" (
https://samuel-widmer.org/de/news) kostenlos abonniert werden.
Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis.
Die Newsletter findet ihr auch auf der Website der Praxis Hof zur Kirschblute (
https://hof-zur-kirschbluete.ch) und der Kirschblütengemeinschaft
(
https://gemeinschaft-kirschbluete.ch) oder auf dem Facebook-Kanal der Kirschblütengemeinschaft (
https://www.facebook.com/Kirschbluetengemeinschaft).
Eine Bitte …
… an diejenige von euch, welche die Newsletter-Texte für Ihre Arbeit benutzen
Da es uns ein grosses Anliegen ist, Samuels Vermächtnis, seine Einsichten und Weisheiten einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, sind die Newsletter-Texte kostenlos. Allerdings ist es ein grosser Aufwand, die Texte auszusuchen und thematisch zusammenzustellen. Falls ihr diese Texte nicht nur privat verwendet, sondern in euren Gruppen/Seminaren einsetzt, würde es uns freuen, wenn ihr die Arbeit mit einer kleinen Spende würdigen würdet. Auch bitten wir euch, jeweils Samuel als Urheber dieser Texte zu erwähnen.
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Erneuerung von uns selbst und unserer Welt, Briefe an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis, Basic Editions, 2018
Und natürlich weckt es in allen, sobald in der Group of all Leaders jemand in Führung geht, alle unerledigten Autoritäts- und Konkurrenzprobleme. Alles, Neid und Gegeneinander, wird aufgekocht und kann im besten Fall zu einer Lösung, im schlechteren zur Ausgrenzung des Untauglichen führen. All das ist gut. Um all das geht es. Stunde der Wahrheit!
S. 21
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Zusammen leben - Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildung, Basic Editions, 2013
Wirkliche Gemeinschaft teilt sich auch in die Macht. Sie teilt alles. Sie ist eine Group of all Leaders. Alle sind gleich verantwortlich, gleich berechtigt und gleich mächtig. Jeder und jede geht in Führung, wenn sie oder er dazu gerufen ist.
Das ist natürlich der Idealfall, der erst in der echten Gemeinschaft, […], gegeben ist. Aber im Sharing-Prozess, der eine Gemeinschaft auf ihrem Weg kontinuierlich weitertreibt, kommt jedes Anliegen, jedes Thema, jedes Tabu schliesslich auf den Tisch. In der offenen Auseinandersetzung um die Macht, findet mit der Zeit unweigerlich eine Annäherung an ihre gerechte Verteilung statt.
Echte Gemeinschaft lehnt Autorität und Machtanhäufung als Machtmissbrauch ab. Sie hütet sich davor, ihre Kompetenz an eine Führung abzutreten. Zu viel Leid ist in der Menschheitsgeschichte daraus gekommen. Tragischer- aber leicht verständlicherweise sind die Reichen und Mächtigen nicht an Gemeinschaft und ihrem Sharing-Prozess interessiert. Sie kämen nicht darum herum, Macht und Besitz zu teilen. Ihr Gewissen, das sie verdrängen können, solange sie sich nicht darauf einlassen, würde sie dazu zwingen.
S. 185
Die Group of all Leaders als Ziel
Echte Gemeinschaft braucht keine unterstützenden Massnahmen mehr, wie die authentische Gemeinschaft oder die Gemeinschaftsbildung, um ihre Hauptthemen zu bewältigen. Im Gegenteil unterstützen sie diese Hauptthemen, die Untrennbarkeit von Freiheit und Verbindlichkeit, das Zusammenwirken und zusammen Teilen, das einander Gönnen und einander Lieben, mit denen sie sich beschäftigt, in den Zielen, die sie bereits erreicht hat und die sie weiter pflegen und verfeinern will. Neben der Konfliktfreiheit ist eines dieser weiteren Ziele die Group of all Leaders.
Um dieses Ziel zu verwirklichen, muss Konfliktfreiheit bereits gegeben sein, vor allem muss die Problematik der Macht bewältigt sein. Die Fragen um Autorität und Autoritätsproblem verstanden und die Implikationen davon integriert zu haben, ist dafür Voraussetzung.
Eine echte Gemeinschaft ist dasselbe wie eine Group of all Leaders. Auch an diesem Ziel ist sie einerseits bereits angekommen, muss es aber andererseits immer wieder neu anstreben, um es nicht aus den Augen zu verlieren. In der Liebe gibt es zwar Makellosigkeit und Vollkommenheit, aber nichts Derartiges wie Perfektion.
Solange Abhängigkeit nicht bewältigt ist, gibt es auch Autorität und damit Auseinandersetzungen um die Machtverteilung. Das Problem der Abhängigkeit wirklich überwunden zu haben, bedeutet einerseits die tatsächliche, totale Abhängigkeit, in der wir uns in Bezug aufeinander und in Bezug auf die Existenz und die Erde schlechthin befinden, erkannt und sich ihr ergeben zu haben. Solange wir das übliche Bewusstsein von Trennung und Separation nicht überwunden haben, werden wir uns noch gegen die Einsicht bezüglich unseres völligen, existenziellen aufeinander Angewiesenseins sträuben und einen illusionären Individualismus aufrechterhalten wollen, wie er in unserer Gesellschaft üblich ist. Diese Art von so genannter Selbständigkeit muss zu Gunsten einer ehrlich eingestandenen Unzertrennlichkeit allen Seins überwunden sein. Gemeinschaft zeichnet sich unter anderem auch dadurch aus, dass in ihr anerkannt wird, dass wir einander brauchen, dass es nicht ohne einander geht, dass jeder Einzelne darin unentbehrlich ist. Echte Gemeinschaft ist letztlich ein dem Animismus nahestehender Seinszustand, der das Ich-Bewusstsein hinter sich lässt und im tantrischen Geist, dem Bewusstsein, dass alles eins und alles heilig ist, aufgeht.
Andererseits darf es aber keinerlei pathologische Abhängigkeit mehr geben, sonst ist echte Gemeinschaft undenkbar. Pathologische Abhängigkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass wir Opfer sein wollen, nicht die ganze Verantwortung übernehmen wollen, nicht ganz bereit sind, uns dem zu stellen, was ist. Der Kriegergeist beinhaltet im Wesentlichen die Überwindung dieser pathologischen Abhängigkeit und gleichzeitig die Öffnung für unsere existenzielle Abhängigkeit. Wo pathologische Abhängigkeit grassiert und daher auch Konflikt und wo Konflikt umgeht, gibt es keine echte Gemeinschaft und keine Group of all Leaders. All das hängt zusammen. Echte Gemeinschaft ist die verwirklichte Group of all Leaders.
Solange Menschen auf pathologischer Abhängigkeit bestehen, schaffen sie auch Autoritäten. Sie verlangen nach Führung und werden diese finden. Erst wenn jeder Einzelne bereit wird, die Autorität, und das heisst, die ganze Verantwortung zu sich zu nehmen, sich gleichermassen wie alle anderen für alles verantwortlich zu fühlen, wird Gleichheit in Bezug auf Machtverteilung möglich. Nur in der Entscheidung, sich für den Weg des Kriegers aufzumachen, kann dies erreicht werden.
In der Group of all Leaders gibt es keine hierarchische Struktur. Hierarchische Strukturen benutzen wir Menschen in der Regel, um das Chaos, das durch unsere Konflikthaftigkeit hervorgerufen würde, einigermassen unter Kontrolle zu bringen und zu bannen. Deshalb ist Konfliktfreiheit, die auf der Bereitschaft und Fähigkeit jedes Einzelnen, sich allem eigenverantwortlich stellen zu wollen, beruht, Voraussetzung für die Group of all Leaders. Nur unter dieser Bedingung kann sie auf Hierarchie als Krücke verzichten, wenn sie nicht im Chaos der Konflikte untergehen will. Ist diese Ernsthaftigkeit und Verantwortlichkeit jedes Einzelnen, dieser Kriegergeist aber gegeben, kann die Gestaltung von Führung der Selbstorganisation aller Kräfte überlassen werden. Jeder und jede geht in einem solchen Feld automatisch in Führung, wenn dies ihm oder ihr ansteht, und tritt zurück, wenn dem nicht so ist. Es ergibt sich eine selbstverständliche Harmonie darin.
In einem Kriegertrupp zeigen sich zwar auch gewisse Führungsstrukturen, aber diese fussen nicht auf struktureller Hierarchie, sondern auf natürlichen Kräfteverhältnissen. In verschiedenen Bereichen werden sich diese ausserdem verschieden äussern. Die Führung konzentriert sich nicht auf eine Person, sondern verteilt sich gemäss den natürlich gegebenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Qualitäten in verschiedenen Bereichen auf verschiedene Personen. Dies wird auch von allen Beteiligten gesehen und gerne akzeptiert. Die eigentliche Führung in der Herzgruppe hat ausserdem sowieso das gemeinsame Herz, dem man sich geöffnet hat, der eine Geist, zu dem alle Mitglieder eine Verbindung haben, also eine unpersönliche, allen gemeinsame, uns inhärente Kraft. Wer diesen Geist am besten verkörpert, vertritt ihn, indem er momentan oder in einem bestimmten Bereich die Führung zugesprochen bekommt beziehungsweise sie sich nimmt. Letztlich ist es der universelle Geist selbst, der bezeichnet, wo die Führung jeweils liegen soll. Man kann sich ruhig den Kräften der Selbstorganisation, die von diesem Geist und dieser Herzenskraft ausgehen, überlassen. Ist Heilsein einmal gefunden, wirkt dieses aus sich selbst heraus; die Qual des unheilen Zustands, dass alles immer gestützt, geführt und kontrolliert werden muss, um nicht zu entgleisen, hat aufgehört. Das Wunder der Liebe setzt sich auch darin durch.
Natürlich braucht es die beständige Wachsamkeit aller beteiligten Krieger und Kriegerinnen eines solchen Trupps, um Entartung, die sich immer wieder einschleichen kann, abzufangen. Aber diese ist ja natürlicherweise gegeben. Kriegern ist es eine Ehre und Pflicht, einander immer das Beste abzuverlangen und gegenseitig liebevoll aufeinander aufzupassen.
In der Kirschblütengemeinschaft, in der wir leben und die sich aus einem therapeutischen Hintergrund entwickelt hat, zeichnen sich die Möglichkeiten der Group of all Leaders immer deutlicher ab, je länger sie besteht. Erst mit der Entwicklung gewisser Strukturen kann sich notwendige Führung allmählich zeigen. Ob es um die Kindererziehung, die Gestaltung von Lebensraum, um die Selbstversorgung, die Aufgabe in der Welt, um spirituelle Weiterentwicklung oder um die Vernetzung nach aussen geht, sobald entsprechende Strukturen entstehen, die ein neues Engagement ausdrücken, zeigt sich auch bald, wer darin die Führung hat beziehungsweise haben soll. Dass es darin an vielen Stellen auch noch zu Konflikten kommt, die mehr oder weniger anmutig gelöst werden, zeigt, dass wir uns mehrheitlich noch im Stadium authentischer Gemeinschaft befinden und die Qualität der Herzgruppe, des Kriegertrupps, nur an vereinzelten Stellen oder in speziellen Augenblicken gelegentlich aufblitzen kann.
Wichtig ist zu sehen, dass nicht alle Mitglieder einer Gemeinschaft dieselben Fähigkeiten und äusseren Möglichkeiten haben.
Noch wichtiger aber ist, dass auch nicht alle über dieselbe Kraft verfügen. Die einen sind berufen zum Führen, andere zum Dienen. Keines ist besser als das andere; eine Gemeinschaft braucht beides, den kundigen Führer und den willigen Diener. Unstimmigkeiten kommen auf, wo die eine Qualität höher bewertet wird als die andere.
Aber auch insgesamt haben nicht alle Menschen das gleiche Potenzial. Neid und Autoritätsprobleme verhindern oft, sich auch diesen Tatsachen zu stellen und zu fügen. Vor der Liebe sind wir alle gleich, genauso wie vor dem Tod. Aber in der Aufgabe, die wir im Gemeinsamen zu tragen haben, haben wir unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen. Viel wichtiger als diese Tatsachen zu bewerten, sich darin zu vergleichen und sie zum Anlass von Konkurrenz werden zu lassen, ist, dass wir sie nicht egoistisch nutzen, sondern dem Gemeinsamen, für Kooperation, zur Verfügung stellen. Dann löst ihr Vorhandensein nicht Streitigkeiten, sondern Dankbarkeit aus Unterschiedliche Kraft, grösseres Potenzial, umfassendere geistige Fähigkeiten oder spirituelle Kapazitäten, aber auch gewichtigere materielle, finanzielle Möglichkeiten stellen uns lediglich in eine grössere Verantwortung, bürden uns eine grössere Last auf, die wir damit tragen sollen.
S. 219
In der Gemeinschaftsbildung stehen als Hauptanliegen
– Heilung,
– Konfliktbewältigung und
– einander verstehen
im Vordergrund.
– Tantra,
– Psycholyse und
– Sharing
bieten dafür gemäss unserer Erfahrung die besten Hilfen, um die darin angestrebten Ziele zu erreichen. Bezüglich des tatsächlichen Lebens in Gemeinschaft, sind es dann viel wuchtigere und konkretere Hauptthemen, die bewältigt werden müssen:
– Sexualität,
– die Kinder sowie
– Geld und Besitz
werden die konkret aufeinander eingelassenen Menschen unablässig beschäftigen, bis sie in diesen drei Punkten die richtige Ordnung gefunden haben.
– Die Befreiung von allen Tabus,
– geeignete Strukturbildung sowie
– das Finden ihrer Aufgabe
wird eine konkrete Gemeinschaft darin unterstützen können, diese Ordnung zu finden.
Damit ist allerdings der sowohl beschwerliche wie auch beglückende Weg zu harmonischem, friedvollem Zusammenleben noch lange nicht zu Ende. Eigentlich sind damit erst die Grundvoraus¬setzungen geschaffen, um so richtig anzufangen. Das Ziel dieser neuen Reise ist das echte Zusammenleben
– in Konfliktlosigkeit
– als Group of all Leaders, was die Gruppe, und als
– makelloser Krieger, was den Einzelnen betrifft, um schliesslich
– Einssein zu erfahren.
Diese vier Ziele, denen sich jede ernsthafte und selbsterkenntnisorientierte Gemeinschaft genauso wie die Menschheit als Ganzes stellen muss, bilden dabei Ideale, denen wir uns immer nur werden annähern können, indem wir uns der Wirklichkeit von dem, was tatsächlich gegeben ist, unablässig stellen. Für diese Annäherung halten wir die gründliche Auseinandersetzung mit weiteren vier Hauptthemen als unabdingbar, die sich ganz von selbst einstellen wird:
– Freiheit/ Abmachung/ Verbindlichkeit,
– zusammenwirken und zusammen teilen,
– einander das Lebendigsein gönnen,
– einander lieben.
S. 11
Ich will keineswegs eine deprimierende Sicht über uns Menschen, unsere Lernfähigkeit und unseren Willen zum Guten verbreiten. Es geht um Fakten, nicht um Meinungen, nicht um Annahmen, um Glaube oder Hoffnungen. Geht man tief genug im Erkennen und Durchschauen von Wirklichkeit, lernt man schliesslich ganz nüchtern und emotionslos die Hoffnungslosigkeit zu anerkennen, in der wir Menschen uns befinden. Genau dieses Anerkennen, ohne in apokalyptischer Verzweiflung zu versinken, befähigt einen schliesslich, Schritt für Schritt zu tun, was getan werden muss, millimeterweise weiterzuschreiten, ohne aufzugeben, und gewissenhaft das Unmögliche trotzdem zu versuchen. Denn, wenn es auch hoffnungslos erscheint, dass „Mensch“ je zur Einsicht kommt, hoffnungslos, dass Mensch je seine Verweigerung der Liebe zum Mitmenschen aufgibt, liegt es doch ausserhalb unseres Beurteilungsvermögens zu erkennen, wohin die Menschheit wirklich unterwegs ist und welche unerwarteten Wendungen die Schicksalskräfte für uns noch bereithalten. Was wissen wir schon… Seine Aufgabe zu erfüllen, ohne nach Erfolg zu fragen, ist der Weg des Kriegers; Seine Makellosigkeit darin ist sein Lohn.
Was konkret zu tun ist, kann nicht verallgemeinert werden. Viel wichtiger ist für jeden Begleiter eines Gemeinschaftsbildungsprozesses, für jeden Therapeuten, für jeden Einzelnen in einem Feld von Gemeinschaftsbildung, sich um seinen richtigen Zustand zu kümmern. Von seiner eigenen Verfas¬sung ist es abhängig, ob er sich stimmig einbringen und allenfalls Positives bewirken kann. „Bin ich selbst ehrlich und wahrhaftig?“, wird er sich fragen müssen. „Bin ich die Liebe? Habe ich reine Motive? Handle und wirke ich aus Mitgefühl?“
Auch diesbezüglich wird er aber nicht nach dem Wie fragen, sondern sich einfach und schnörkellos um seine eigene Selbsterkenntnis kümmern. Damit wird er ein Licht sein, zuerst sich selbst, ein Beispiel für Selbstorganisation, für Reifung aus sich selbst heraus, unabhängig von jeder Autorität und jedem Expertentum. Aber dann auch für andere, denen er Impuls, Stolperstein oder Konfrontation werden wird. Er wird zum Kristallisationspunkt werden für Gemeinschaft, für Wirklichkeit, für Wachstum, ein Leader sein in der Group of all Leaders. Er wird lernen, mit den Projektionen umzugehen, die er dadurch von anderen, die weniger makellos sind, auf sich zieht. Er wird sich nicht scheuen, den Autoritätsübertragungen, dem Neid, der Missgunst anderer standzuhalten, damit diese an ihm wachsen und selbst zur Autorität im Sinne eines Leaders unter Leadern werden können.
S. 107
Die Group of all Leaders muss im Innern anfangen, im Einzelnen. Alle inneren Stimmen, alle Gefühle müssen im Innern stimmberechtigt und gleichermassen angenommen sein. Das führt wie von selbst zur Gleichheit im Äussern, zur Group of all Leaders in der Gemeinschaft der Menschen, der Völker, der Nationen oder auch zur Einheit in einer bestimmten Gruppe. Gemeinschaft beginnt mit der konsequenten Selbsterkenntnis des Einzelnen. Konfliktfähigkeit und Konfliktbewältigung kommen daraus.
S. 110
Selbstorganisation, die Group of all Leaders wird sie schliesslich hervorbringen: die gerechte Welt.
S. 182
Trotzdem kommen wir auch in Gemeinschaft nicht darum herum, Hilfsstrukturen, allerdings mit wachem Geist und in einem Bewusstsein ihrer Gefährlichkeit, zu benutzen. Wenn Freundschaft zur Respektlosigkeit zu verkommen droht, wenn die Group of all Leaders nicht einen edleren Umgang miteinander, sondern die Verrohung der Sitten verspricht, ist es gut im geschäftlichen Umgang miteinander auf die Hilfsstrukturen einer gut funktionierenden Hierarchie zurückzugreifen, wie es die Menschheit schon immer getan hat. Allerdings eben mit dem Unterschied, dass die Hierarchie nicht als Lösung, sondern als schlechtere, wenn auch unumgängliche Möglichkeit gesehen wird, dass man dabei nicht aus den Augen verliert, dass sie eine Behelfslösung ist und freundschaftlicher Umgang beziehungsweise die Group of all Leaders die wirkliche Lösung, die man als Vision weiterhin anstrebt, bleibt. Hierarchie ist dann lediglich eine Stütze, von der wir hoffen, dass wir mit ihrer Hilfe Freundschaft und Gemeinschaft erlernen werden. Nie wird Hierarchie zu dem, was wir verteidigen: immer bleibt sie das, was wir hinter uns lassen möchten. Zu berücksichtigen ist darin immer das, was ist, die ganze Wahrheit. Dabei stösst man laufend auf unlösbare Paradoxe, die man nicht als Probleme, die potenziell lösbar sind, verkennen darf. Sonst verstrickt man sich im Unlösbaren und Hoffnungslosen.
S. 186
In authentischer Gemeinschaft zu leben, ist etwas ganz anderes, als pseudogemeinschaftlich zu funktionieren, wie dies heute fast überall in der Welt geschieht. Aber wirklich echtes Zusammenleben hat nochmals eine ganz andere Dimension. In diesem Buch schreibe ich da, wo es darum geht, von echter Gemeinschaft. Echte Gemeinschaft geht also über authentische, die aber bereits wirkliche Gemeinschaft ist, hinaus. Den Unterschied darin machen die Konfliktfreiheit, das Einssein, die tatsächliche Verwirklichung der Group of all Leaders unter den Beteiligten aus. Damit diese solches vollbringen können, müssen sie leben wie Krieger; sie werden sich bezüglich des Kriegergeistes schulen und vervollkommnen. In der authentischen Gemeinschaft – so wollen wir die noch unvollkommene Gemeinschaft nennen – die aber, wie gesagt, auch bereits wirkliche Gemeinschaft ist, welche das Gemeinschaftsgefühl kennt und sich mehrheitlich darin aufhält, gibt es immer wieder Konflikte auszutragen, was zwar schon mit Eleganz geschehen kann – anmutig wie es Scott Peck nennt –, aber vom Gefühl eines Geistes zu sein, ist man noch weit entfernt darin. Das Gemeinschaftsgefühl geht gelegentlich wieder verloren, man fällt zurück ins Chaos oder gar in pseudogemeinschaftliche Distanziertheit und muss sich wieder um Entleerung bemühen, um ganz zueinander zu finden. Die Group of all Leaders zeichnet sich in „gewöhnlicher“ Gemeinschaft zwar ab, aber es braucht jeweils einiges, bis sie als geeinte Kraft wirksam werden kann.
Die Kriegerqualitäten, die zu entwickeln sind, damit eine echte Gemeinschaft schliesslich eine „ausserordentliche“ sein kann, wie ein Mann, eine Frau dastehen kann, bilden daher die Hauptthemen im konfliktlosen Zustand einer echten Gemeinschaft. Freiheit im Zusammenhang und verbunden mit klaren Abmachungen und grosser Verbindlichkeit, stehen wohl an erster Stelle. Daraus resultieren Zusammenwirken und zusammen teilen können, so dass eine echte Gemeinschaft sich mit allen Kräften und vorwiegend ihrer Aufgabe zuwenden kann. Konfliktfreiheit garantiert in dem allem, dass Krieger einander schliesslich das Lebendigsein gönnen wollen, was zusammenfassend dahinein mündet, dass sie in nahen, innigen Beziehungen zueinander stehen können, oder ganz schlicht, dass sie einander lieben. An diesen Qualitäten fehlt es gewöhnlichen Menschen durchwegs, daher kann ihre Gemeinschaft auch nur gewöhnlich sein. Um in ausser¬ordentlicher Weise zusammenzuwirken, sind auch ausserordentliche Eigenschaften notwendig.
S. 205
Der Krieger ist nicht pessimistisch, er sieht die Dinge einfach, wie sie sind, er stellt sich dem, was ist, und anerkennt es. Darin findet er Ruhe und Frieden und einen Umgang mit dem Unlösbaren.
Trotzdem müssen wir uns nicht auf Hoffnung beschränken, das wäre auch nur ein fauler Trick, um sich nicht anstrengen zu müssen. Echte Gemeinschaft ist heute bereits möglich, genauso wie es den vollkommenen Krieger schon heute geben kann. Würde eine Gemeinschaft von hundert oder tausend Menschen in diese Art von Gleichschwingen finden, sie würden die Welt verändern. Sofern sich Menschen überhaupt um Gemeinschaft kümmern, werden sie das Stadium von „gewöhnlicher“, also authentischer Gemeinschaft schnell erreichen. Wenn sie sich dann mit demselben Eifer um den hohen Anspruch, die anspruchsvollen Ziele echter Gemeinschaft, Konfliktfreiheit, die Group of all Leaders, den Kriegergeist und Einssein bemühen oder vielmehr für diese öffnen wird, werden ihr alle Tore offen stehen. Warum sollte sie nicht die erste Gemeinschaft erleuchteter Wesen sein, die mit ihrem Sein der Menschheit von ihrer Zukunft berichtet?
S.209
Aber trotzdem ist sie da, die Herzgruppe, gebildet von denjenigen, die sich ganz und gar einlassen wollen, die angekommen sind, die ihre Aufgabe, ihren Platz, ihr persönliches Schicksal erkannt und gefunden haben. Sie bilden zusammen das, was wir als echte Gemeinschaft bezeichnen können, echte Gemeinschaft, die sich in echtem Zusammenleben findet, das sich durch seine Hauptthemen, wie Freiheit in der Verbindlichkeit, zusammenwirken und zusammen teilen, einander das Lebendigsein gönnen und einander lieben, ausdrückt. Die Menschen des innersten Kreises, der Herzgruppe oder des Kriegertrupps, haben sich unverbrüchlich den Zielen echter Gemeinschaft verpflichtet. Sie wollen konfliktfrei zusammen existieren als Group of all Leaders, sie verstehen sich als Krieger und streben absolutes Einssein an, aus dem heraus sie sich für die grosse gemeinsame Aufgabe der Menschheit zur Verfügung stellen wollen. Darin verlieren sie alles Persönliche weit gehend, werden eine unpersönliche Kraft innerhalb des Ganzen der Menschheit. Auch wenn sie ihr Schicksal unausweichlich einem konkreten Leben, einem konkreten Kriegertrupp zugeordnet hat, sind sie doch dem Ganzen der Menschheit versprochen. Sie gehören zur Herzgruppe, sie sind die Herzgruppe, das innerste Feuer der ganzen Menschheit und der Erde, verbunden untereinander durch das Erwachtsein für die Energie des Herzens, eins geworden im einen Herzen und im einen Geist, die sie entdeckt haben und von denen sie aufgenommen worden sind. Aber auch wenn sie nicht zu irgendeinem Teil, letztlich nicht zu einer abgegrenzten Gemeinschaft, sondern zum Ganzen gehören, sind sie auf das Konkrete, in das sie gestellt sind, unausweichlich, ohne jede Hintertür, die noch offen bleiben würde, festgelegt.
S. 214
In der Group of all Leaders gibt es keine hierarchische Struktur. Hierarchische Strukturen benutzen wir Menschen in der Regel, um das Chaos, das durch unsere Konflikthaftigkeit hervorgerufen würde, einigermassen unter Kontrolle zu bringen und zu bannen. Deshalb ist Konfliktfreiheit, die auf der Bereitschaft und Fähigkeit jedes Einzelnen, sich allem eigenverantwortlich stellen zu wollen, beruht, Voraussetzung für die Group of all Leaders. Nur unter dieser Bedingung kann sie auf Hierarchie als Krücke verzichten, wenn sie nicht im Chaos der Konflikte untergehen will. Ist diese Ernsthaftigkeit und Verantwortlichkeit jedes Einzelnen, dieser Kriegergeist aber gegeben, kann die Gestaltung von Führung der Selbstorganisation aller Kräfte überlassen werden. Jeder und jede geht in einem solchen Feld automatisch in Führung, wenn dies ihm oder ihr ansteht, und tritt zurück, wenn dem nicht so ist. Es ergibt sich eine selbstverständliche Harmonie darin.
In einem Kriegertrupp zeigen sich zwar auch gewisse Führungsstrukturen, aber diese fussen nicht auf struktureller Hierarchie, sondern auf natürlichen Kräfteverhältnissen. In verschiedenen Bereichen werden sich diese ausserdem verschieden äussern. Die Führung konzentriert sich nicht auf eine Person, sondern verteilt sich gemäss den natürlich gegebenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Qualitäten in verschiedenen Bereichen auf verschiedene Personen. Dies wird auch von allen Beteiligten gesehen und gerne akzeptiert. Die eigentliche Führung in der Herzgruppe hat ausserdem sowieso das gemeinsame Herz, dem man sich geöffnet hat, der eine Geist, zu dem alle Mitglieder eine Verbindung haben, also eine unpersönliche, allen gemeinsame, uns inhärente Kraft. Wer diesen Geist am besten verkörpert, vertritt ihn, indem er momentan oder in einem bestimmten Bereich die Führung zugesprochen bekommt beziehungsweise sie sich nimmt. Letztlich ist es der universelle Geist selbst, der bezeichnet, wo die Führung jeweils liegen soll. Man kann sich ruhig den Kräften der Selbstorganisation, die von diesem Geist und dieser Herzenskraft ausgehen, überlassen. Ist Heilsein einmal gefunden, wirkt dieses aus sich selbst heraus; die Qual des unheilen Zustands, dass alles immer gestützt, geführt und kontrolliert werden muss, um nicht zu entgleisen, hat aufgehört. Das Wunder der Liebe setzt sich auch darin durch.
Natürlich braucht es die beständige Wachsamkeit aller beteiligten Krieger und Kriegerinnen eines solchen Trupps, um Entartung, die sich immer wieder einschleichen kann, abzufangen. Aber diese ist ja natürlicherweise gegeben. Kriegern ist es eine Ehre und Pflicht, einander immer das Beste abzuverlangen und gegenseitig liebevoll aufeinander aufzupassen.
S. 221
Bin ich ein Unabhängiger? Habe ich die grundsätzliche Tendenz in uns Menschen, nach Führung zu schreien, überwunden? Bin ich daher fähig geworden, mich in einer Gruppe, in der alle Führer sind, beziehungsweise in einer Gruppe, die keinen eigentlichen Führer hat, zu bewegen? Habe ich die Kraft, die Führung zu übernehmen in Gemeinschaft, dort, wo sie mir zufällt, und die Grösse, mich ihr zu beugen, wenn sie sich anderswo zeigt? Bin ich bereit, dem Wechsel und dem Fluss bezüglich Führerschaft, wie sie sich in der guten Gemeinschaft zeigen, leichtfüssig zu folgen?
S.356
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Freiheit beinhaltet Verantwortung, Briefe an die Welt, sowie weitere Briefe an die Gemeinschaft, Basic Editions, 2007
Die neue Geschichte handelt vom Wiederfinden des Paradieses. Von einem ganz bewussten Ein-nehmen unseres Erbes. Die neue Geschichte wird eine Geschichte von Gemeinschaft sein, der Viel¬falt im Einigsein, der Brüderlichkeit und Verbundenheit. Füreinandersorgen wird darin viel wichtiger sein als Rechthaben. Dogmatismus, Fundamentalismus, alle solchen Dinge werden darin verschwinden und einer neuen Religion Platz machen. Einer Religion ohne Glaubensbekenntnis. Einer Religion der Verbundenheit mit Wahrheit und Wirklichkeit, der Herzensverbundenheit. Einer Religion, die keinen Mittelpunkt mehr braucht, keine Führerschaft, keine Autorität. Einer Religion des Erwachtseins. Einer Religion, die sich nicht in Glaubenssätzen, nicht in äusseren Strukturen, nicht durch eine Hierarchie der Priesterschaft ausdrückt, sondern durch gelebtes Leben, gelebtes Mitein¬ander, gelebtes Wir.
S.244
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Durchdrungen sein vom Du, Von der Praxis der Liebe, Protokolle einer Gemeinschaft, ein ganz persönliches und ein gemeinsames Buch, Basic Editions, 2004
Wo Wachstum stattfindet, wo es Lehrer gibt, wo es eine natürliche Hierarchie der Kräfte (nicht der Macht, wohlverstanden!) gibt, da gibt es auch pubertäre Auseinandersetzungen, da gibt es pubertäre Spaltungen, Abtrennungen, die schliesslich, wenn alles glücklich verläuft, zu einer Gleichwertigkeit führen, von der wir ja schon viel gesprochen haben, einer Gleichwertigkeit im Sinne eines Beendens von Abhängigkeit und der damit einhergehenden Pubertätsschwierigkeiten. Dies führt dann entweder zu einem gleichrangigen Miteinander oder allenfalls zu einer harmonischen Zellteilung, wenn die Schicksalskräfte einen nicht in der gleichen Zelle haben wollen.
Wie geht man um mit Pubertätsproblemen?
In meinem Leben habe ich gelernt, dass es nur einen Umgang damit gibt: Man schweigt, man zieht sich zurück. Denn Pubertät ist Machtanspruch. Daran ist nichts falsch. Es ist zuerst einmal natürlich, nach Macht zu streben. Macht in sich integriert zu haben – und dazu muss man sie zuerst erringen – ist eine Vorbedingung, um die Kraft der Liebe in sich definitiv zu verankern. Integrierte Macht ist Liebe und damit das Ende allen Machtanspruches. Aber auf Machtanspruch mit Machtanspruch zu antworten bringt Krieg. Auf Machtanspruch antwortet der Weise daher mit Schweigen und Rückzug. Gleichwertiges Miteinander begründet sich zwar auf der Fähigkeit zu unbedingtem Gehorsam. Gehorsam aber nicht einer Person gegenüber, sondern im Sinne eines Sehens und daher Ausrichtens der eigenen Kräfte mit den Schicksalskräften, die uns lenken. Der eigenen Kräfte wie Trotz, Angst, Selbstmitleid, Sexualität, Sehnsucht etc., die zu einer einzigen Kraft der Leidenschaft in einem verschmiedet sind.
Joseph hat mir geschrieben und am letzten Gemeinschaftsabend habe ich nachgefragt, ob dem so ist – und natürlich keine Antwort bekommen – dass einige von euch sich nicht getrauen zu pubertieren, dass sie Angst hätten, sich mir gegenüber auszudrücken. Das tut mir Leid, aber es ist nicht meins. Sie haben es schon immer nicht getraut, ihr ganzes Leben lang, nirgends, weil sie feige sind. Das ist eben ihre Wahrheit, und die andere Wahrheit, ihre eigentliche, die dahinter steht, schenken sie dem Gemeinsamen nicht. Sie bleiben sie schuldig. Sie bleiben ihren Teil der Wahrheit schuldig, mir, der Gemeinschaft, sich selbst und dem Ganzen. Sie bleiben ein leeres Versprechen. Sie sind "Pflaumen, Muttis, Wegglis", wie wir es kürzlich humorvoll ausgedrückt haben. Darum verharren sie in einer unnatürlichen Abhängigkeit; sie rennen lieber gegen das Bild des mächtigen Führers, das sie einem überstülpen, an, als sich der Tatsache zu stellen, dass es keinen Führer gibt.
Wir brauchen keine Führer. Führer im Sinne von Autorität, von einem, der das Sagen hat. Die Führung hat die unpersönliche Kraft, die uns lenkt und die wir allenfalls auch lenken lernen. Diese Schicksalskräfte zu erkennen, sich ihnen willig zu beugen und dann mit ihnen umgehen zu lernen, ist eine ganz wichtige Voraussetzung für die reife Gemeinschaftsfähigkeit. Eine Gemeinschaft, alle Gemeinschaft braucht einerseits ein Herz und andererseits Organisationsstrukturen. Die Führung liegt ausserhalb von uns.. In der Welt haben wir so viel Chaos, weil beides nicht in exzellenter Form gegeben ist und weil wir den "grossen Willen" nicht erkennen. Stattdessen haben wir Machthaber und Führer mit ihren Gesetzen und ihrer Moral, die das Fehlende notdürftig zu ersetzen versuchen.
S.141
Aus: Samuel Widmer Nicolet: kirschbaumblütenblätterweiss - Die ganz, ganz neue Geschichte (unter Paul Nicolet), Roman, Basic Editions, 1999
"In einer Gemeinschaft, die sich auf Liebe begründet, scheint es immer einen Kristallisationskern zu geben, an dem sie sich bildet, an dem sich die Möglichkeit der Liebe entzündet", hatte er gesagt, Phillip, zu Pietro, heute morgen. "Kristallisationspunkt ist ganz von selbst derjenige, der am meisten liebt, diejenigen bilden ihn zusammen, die am meisten lieben. Andere darum herum, die nicht in der Liebe stehen, sondern in Wirklichkeit auf Macht aus sind, wie tatsächlich alle, die nicht in der Liebe ankern, alle, die im Besitzdenken verhaftet bleiben, verurteilen dann, dass nur einer oder zwei im Zentrum stehen. Sie finden das nicht gut. Sie fänden es besser, wenn alle gleichwertig nebeneinander stehen würden." "Sie haben doch recht! Das wäre doch auch besser!", hatte Pietro eingeworfen. "Alles andere schafft hierarchische Verhältnisse, autoritäre Strukturen." "Natürlich haben sie recht, so sollte es sein," hatte Phillip gekontert. "Aber sie sind in ihrer Kritik nicht wahr bezüglich ihrer eigenen Motive und der wirklichen Fakten. Tatsächlich finden sie die gegebene Situation nicht gut, weil sie selbst in der Mitte stehen möchten, selbst Macht haben möchten und glauben, es sei eine Folge des Machthabens, ein Kristallisationskern zu sein. Deshalb werfen sie ihre Projektionen, die aus ihren Widerständen, ihrem Neid, ihrem tief eingefleischten Besitzdenken, ihren Autoritätsproblemen kommen, auf den Liebenden. Dass man liebt, können sie sich gar nicht vorstellen. Sie kennen die Liebe nicht. Alle sind ganz von selbst gleich wichtig, wenn die Liebe da ist. Aber die meisten Menschen kennen die Liebe nicht. Sie halten fest an Macht, Kontrolle und Besitzdenken. Wenn alle gleich sind im Lieben, sind auch alle gleichwertig in den Strukturen, die sie hervorbringen." […] "Derjenige, der den Kristallisationspunkt in der Gemeinschaft bildet, ist tatsächlich der Abhängigste im Ganzen, derjenige, der sich am meisten ausgeliefert hat daran, der das ganze Risiko trägt, derjenige, der das Kreuz zu tragen bereit ist, wenn das gemeinsame Unternehmen misslingt, weil er am vorbehaltlosesten liebt." Phillip verteidigte, was er vor kurzem auch noch angezweifelt hatte. Aber zum Glück waren diese Dinge in ihm zur Ruhe gekommen. Er hatte Klarheit gewonnen. "Er hat keine Macht. Darum steht er in der Macht der Liebe. Die Liebe macht dich zum Zentrum. Wenn du kein Zentrum hast, wirst du Zentrum."
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Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Liebe äussert sich ganz einfach, Wundersame, hinterhältige, humorvolle und schauerlich schöne Geschichten, Geschichtenband, Basic Editions, 2000