Newsletter 3/2021 - Die eigene Wichtigkeit
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Juni 2021
N
och nicht die letzte Wahrheit
ist die Liebe,
doch das einzig Wesentliche,
was dich als Mensch betrifft.
Warum bist du
mit eigener Wichtigkeit,
und allem sonst beschäftigt,
und nie mit mir?
A
lles scheint dir heilig
ausser der Liebe.
Dein Ich vor allem,
sein Wichtigsein,
Besitz, Stolz, Eitelkeit,
deinen Willen zu haben.
Den Wert des Wesentlichen
scheinst du nicht zu sehen. (1)
Die eigene Wichtigkeit ist des Menschen grösster Feind
Don Juan Matus
Liebe Leser
Der Sommer hat lange auf sich warten lassen. Vielleicht weil die Welt so verrückt und schwer ist, hatte er „einfach keine Lust“… Aber endlich ist er da und die warmen Sonnenstrahlen werden uns vielleicht helfen, das Thema dieses Newsletters, das nach der Sehnsucht und der Freude der letzten Monate etwas von schwererer Kost ist, besser zu „verdauen“.
Die eigene Wichtigkeit ist der grösste Feind des Menschen, sagt Don Juan Matus. Sie zu verlieren, ist ein unabdingbarer Schritt auf dem Kriegerweg, ohne den nie die nötige Energie zur Verfügung stehen wird, um Freiheit und Selbstbewusstsein zu erreichen und schlussendlich die Welt anzuhalten.
Oder auch zum
Träumen. Vor kurzem antwortete Danièle in einem Seminar auf die Bitte einer Teilnehmerin um einen „ultimativen“ Tipp, um die Kontrolle zu verlieren und dadurch fliegen zu können: „Versuch vielleicht mal, die eigene Wichtigkeit zu verlieren. Wie willst du fliegen, wenn du dich als wichtiger als das Universum hältst?“
Genau, wie soll man sich im Universum auflösen können, wenn man sich für den Bauchnabel der Welt hält?
Die Welt anhalten,
träumen und
fliegen mögen vielleicht nur hohe Ansprüche einer Minderheit von Menschen sein. Wie will man aber auch im unseren irdischen Dasein mit den Mitmenschen, mit der Liebe, mit dem Ganzen Eins sein, wenn das eigene Ich immer dazwischen steht? Wie einfacher, ehrlicher, näher, inniger, unkomplizierter, effizienter, …. wären das Leben und die zwischenmenschlichen Beziehungen wenn weniger eigene Wichtigkeit da wäre!
Vor etwa einem Jahr widmete ich mich für ein paar Wochen einer spannenden (übrigens sehr empfehlenswerten) Selbsterkenntnisübung: ich beobachtete mich selbst ganz exakt und bewusst bei jeder Aktion, bei jedem Wort, bei jedem Impuls, … und fragte mich dabei: „Warum tue ich dies?“ „Wieso sage ich das?“ „Was ist der wahre, ehrliche Grund hinter jedem meiner Gedanken?“ Die Übung war damals nicht spezifisch durch ein Erkennen-Wollen der eigenen Wichtigkeit ausgelöst worden, sie ist mir aber in den Sinn gekommen, während ich diesen Text schrieb. Weil die eigene Wichtigkeit einer der Aspekte ist, denen ich bei meiner Analyse begegnete. Interessant bei dieser Übung war es besonders auch, die erkannten Ego-Schichten „wegzuschälen“ und dann zu beobachten, wie die „bereinigten“ Worte und Impulse ausgesehen haben.
Ja, die eigene Wichtigkeit lauert hinter jeder Ecke. Sie zu erkennen und dann fallen zu lassen, erfordert viel Wachheit, Demut und Alleinsein-Können. Aber wenn man dazu bereit ist, liegt einem dann das Universum zu Füsse ;-)
Viel Erfolg beim Üben. und einen wunderschönen Sommerstart
Romina Mossi
mit Danièle Nicolet Widmer und Marianne Principi
P.S. Zwei Rundschreiben von Samuel (Nr. 3 Selbsterkenntnis und Nr. 13 Anpassung, Konformität, Konditionierung) wurden gerade von unseren
Freunden in Yuva auf Türkisch übersetzt; andere werden folgen. Ihr findet sie
hier, falls ihr sie türkischsprechenden
Bekannten weiterleiten wollt.
P.S. 2 Dieser Newsletter kann auf der Website des Vereins „Samuel Widmer Nicolets Erbe“ (
https://samuel-widmer.org/de/news) kostenlos abonniert werden.
Auf der Website des Vereins findet man ebenfalls alle alten Newsletter mit Texten von Samuel Widmer, sowie Samuels Briefe (auf Deutsch und Englisch) an die Freunde der Bewegung der Selbsterkenntnis.
Die Newsletter findet ihr auch auf der Website der Praxis Hof zur Kirschblute (
https://hof-zur-kirschbluete.ch) und der
Kirschblütengemeinschaft (
https://gemeinschaft-kirschbluete.ch).
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Wahrheit, Sachbuch Philosophie, Basic Editions, 2010
Der Krieger gewinnt die Energie, um ins Unbekannte und die totale Freiheit vorzudringen, aus der Überwindung der eigenen Wichtigkeit, in der sie beim Durchschnittsmenschen gebunden ist. Das heisst, er gibt es auf, Anerkennung zu suchen, sich um Lieben und Geliebtwerden Sorgen zu machen und ständig damit beschäftigt zu sein, wie er auf andere wirkt oder was diese von ihm denken. Er liebt einfach, das ist genug.
Das Gefühl der eigenen Wichtigkeit ist der grösste Feind des Menschen. Es ist das Gefühl, durch das Tun und Lassen seiner Mitmenschen verletzt zu werden. Der Eigendünkel bewirkt, dass wir uns die meiste Zeit unseres Lebens von irgendjemandem gekränkt fühlen. Ohne das Gefühl der eigenen Wichtigkeit sind wir unverletzlich. Ohne Selbstbild zu sein, macht uns daher frei.
S. 240
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Vom Weg mit Herz,- Die Essenz aus der Lehre des Don Juan/ Eine Würdigung des Werkes von Carlos Castaneda, Sachbuch Psychologie, Nachtschatten-Verlag, 2002
Die eigene Wichtigkeit verlieren
Genauso wie bei Krishnamurti oder auch bei unserem Zugang der unerwünschten Psychotherapie geht es bei der Ausbildung, welche Castaneda bei Don Juan geniesst, durchwegs um eine Vertiefung der Aufmerksamkeit. Aber der Zugang Don Juans ist viel indirekter, handfester und darum möglicherweise tatsächlich hilfreicher. Er bringt [Castaneda] zum Beispiel eine andere Art des Gehens bei, welche mehr Ausdauer und grössere Achtsamkeit bewirken soll. Nie etwas in den Händen zu tragen, sondern besser einen Sack am Rücken, sowie die Hände beim Gehen in eine bestimmte Haltung zu zwingen und die Augen zu kreuzen, sind die Anweisungen. Für mich waren solche Anleitungen nie von Bedeutung. Sie scheinen mir häufig beliebig, könnten auch andere sein. Das Wichtige daran ist der Trick, um Aufmerksamkeit zu wecken. Für unsere Welt bräuchten wir andere. Weil wir keinen Don Juan haben, der sie für uns erfindet, müssen wir dies selbst tun.
Castaneda reagiert auf solche Korrekturen häufig aus seinem Autoritätsding heraus mit Widerstand und entsprechenden Gefühlen.
«Du nimmst dich selbst zu wichtig», ist die simple und fundamentale Botschaft, welche ihn erst nach Jahren des Lernens wirklich erreichen wird. Don Juan betont, dass Castaneda sein Verhalten weitgehend ändern muss, wenn er wirklich lernen will.
«Du nimmst dich zu ernst», sagt er, «du bist in deinen Augen zu verdammt wichtig, das muss sich ändern! Du bist so gottverdammt wichtig, dass du glaubst, das Recht zu haben, an allem Anstoss zu nehmen. Du bist so verdammt wichtig, dass du es dir leisten kannst, abzuhauen, wenn nicht alles so läuft, wie du es willst. Mir scheint, du glaubst damit zu beweisen, dass du Charakter hast. Das ist Unsinn. Du bist schwach und eingebildet!»
«Die eigene Wichtigkeit ist auch etwas, was man aufgeben muss, genauso wie die persönliche Geschichte», überzeugt er eindringlich.
Um zu unterrichten, benutzt Don Juan laufend die Ganzheit seiner Umgebung, für die er Castaneda wecken will.
«Die Welt um uns herum ist sehr geheimnisvoll», meint er, «sie gibt ihre Geheimnisse nicht so leicht preis.»
Er unterscheidet zwischen Zustimmungen, welche uns die Welt geben kann, und zwischen Omen, die wir erhalten, welche uns auf Situationen hinweisen.
«Aber solange du dich für das Allerwichtigste in der Welt hältst, kannst du die Welt um dich herum nicht wirklich würdigen. Du bist wie ein Pferd mit Scheuklappen und siehst nur dich, abgetrennt von allem Übrigen.»
Weil Castaneda über Pflanzen lernen will, benutzt Don Juan auch dessen diesbezügliches Verlangen, um ihm weiterzuhelfen.
«Sprich mit den Pflanzen!», fordert er. «Sag ihnen, dass du dich nicht mehr länger wichtig fühlst! Weder die Pflanzen noch wir sind wichtiger oder unwichtiger. Sprich mit den Pflanzen, bis du jedes Gefühl von eigener Wichtigkeit verlierst, sprich mit ihnen, bis du es auch vor anderen tun kannst! Es ist nicht wichtig, was du zu einer Pflanze sagst; Wichtig ist das Gefühl, dass du sie gern hast und sie behandelst als etwas Ebenbürtiges. Die Welt um uns herum ist ein Geheimnis. Die Menschen sind nicht besser darin als irgendetwas anderes. Es ist gut, den Pflanzen zu danken für das, was sie uns geben, und uns bei ihnen zu entschuldigen, dass wir sie pflücken, und ihnen zu versichern, dass unser eigener Körper ihnen eines Tages auch als Nahrung dienen wird.»
Wenn ich, lieber Manfred, hier in den Bergen von Majorca herumstolpere und mir diese Dinge durch den Kopf gehen lasse, wird mir bewusst, dass diese Anweisung, mit den Pflanzen zu sprechen, absolut bedeutungslos ist. Wichtig dabei ist das, was sie bewirken soll, und jeder andere Weg, der es bewirkt, ist ebenso gut: Seine eigene Wichtigkeit zu verlieren nämlich, so dass du eine Offenheit wirst für das Ganze, so dass deine Wahrnehmung wirklich geöffnet ist für alles, was dich umgibt, so dass das Geheimnis, welches in allem Sein enthalten ist, sich dir mitteilen kann. Mit den Pflanzen zu sprechen ist ein guter Weg, aber dann zu meinen, dass das Sprechen an sich das Wesentliche ist, wie ich es bei vielen Don-Juan-Gläubigen gesehen habe, gibt dir nur eine neue Wichtigkeit, die dich noch zusätzlich – und zu Recht – verrückt macht in den Augen der Welt. «Mit Pflanzen zu reden», meint Don Juan, «macht nur Sinn, wenn du ihr Geheimnis erfahren willst, und dafür brauchst du die vollkommen unbeugsame Absicht eines Kriegers.»
S. 76
«Krieg bedeutet für den Krieger nicht Beteiligung an Akten individueller Dummheit oder kollektiver Gewalt», erklärt Don Juan dazu. «Krieg ist für einen Krieger der Kampf gegen das individuelle Ich, das uns Menschen unserer einstigen Fähigkeiten beraubt hat.
Jede Bewegung des Montagepunktes bedeutet ein Abrücken von der übermässigen Beschäftigung mit dem individuellen Selbst. Die Schamanen glauben, dass es die Position des Montagepunktes ist, die den Menschen zu einem so mörderischen Egoisten macht, zu einem ausschliesslich mit seinem Selbstbild befassten Wesen. Ohne Hoffnung, jemals zum Ursprung aller Dinge zurückzukehren, sucht der gewöhnliche Mensch Trost in seiner Selbstsucht.
Damit fixiert er aber seinen Montagepunkt in jener Position, die sein Selbstbild verewigt. Jede Bewegung des Montagepunktes aus seiner üblichen Position heraus bedeutet deswegen zugleich eine Abkehr von der Selbstbetrachtung und Selbstüberschätzung des modernen Menschen.» «Dieses Sich-selbst-so-wichtig-Nehmen,» sagt Don Juan, «ist die Kraft, die das Selbstbild des Menschen hervorbringt. Es ist diese Kraft, die den Montagepunkt in seiner gegenwärtigen Position fixiert.
Das Ziel auf dem Weg der Krieger ist es deshalb, die eigene Wichtigkeit von ihrem Thron zu stürzen. Alles, was Krieger tun, ist auf das Erreichen dieses Zieles gerichtet. Die Schamanen haben die Selbstgefälligkeit demaskiert und herausgefunden, dass sie nur Selbstmitleid ist, getarnt als etwas anderes.»
«Es ist unglaublich, aber wahr», sagt Don Juan, «das Selbstmitleid ist der grösste Feind des Menschen und die Quelle seines Elends. Ohne Selbstmitleid könnte der Mensch es sich gar nicht leisten, sich so wichtig zu nehmen, wie er es tut. Leider ist die Selbstüberschätzung eine Kraft, die ihren eigenen Gesetzen folgt. Und so kommt es, dass wir, wenn wir unser Elend beklagen und uns selbst bedauern, uns eigentlich selbst zu wichtig nehmen.»
«Durch praktische Übung wissen die Zauberer», sagt Don Juan, «dass die Selbstüberschätzung, das Sich-selbst-zu-wichtig-Nehmen aufhört, sobald der Montagepunkt sich bewegt. Wenn der Montagepunkt seine übliche Position verlässt, kann der Mensch seine Selbstbetrachtung nicht länger fortsetzen. Der Zauberer aber, der sich nicht mehr auf sein eigenes Selbstbild konzentriert, verliert auch sein Selbstmitleid und seine Selbstüberschätzung. Darum behaupten die Zauberer zu Recht, dass Selbstüberschätzung nur getarntes Selbstmitleid ist.»
S. 298
Die zweite Pforte des Träumens
Die Einübung der Traum-Aufmerksamkeit, sagt Don Juan, sei das Entscheidende beim Träumen. Die treibende Kraft eines solchen Trainings sei Beharrlichkeit. Diese sei viel ausdauernder als der Verstand mit seiner gesamten rationalen Abwehr. Die Barriere, die uns hindere, uns die Träume bewusst zu machen, sei mehr als eine psychologische Barriere, mehr als blosse Sozialisierung. «Es ist die erste Pforte des Träumens», sagt er. «Sie hat etwas mit dem Energiestrom im Universum zu tun. Sie ist ein natürliches Hindernis. Es zu überwinden, gibt uns ein Gefühl von Selbstvertrauen, das wir mit noch mehr nüchterner Besonnenheit kompensieren müssen.»
Immer wieder betont Don Juan, dass wir die Energie, die wir brauchen, um unsere Traum-Aufmerksamkeit aus den Fesseln unserer Sozialisation zu befreien, nur dadurch gewinnen könnten, dass wir unsere vorhandene Energie umgruppierten. Es brauche eine Umstrukturierung des eigenen Lebens.
«Der Weg der Zauberer ist das beste Mittel», sagt Don Juan, «um die Räder für eine solche Umgruppierung der Energie zu ölen. Der wichtigste Kunstgriff dabei ist das Verlieren der eigenen Wichtigkeit. Die eigene Wichtigkeit ist nicht nur der Feind der Zauberer, sondern der Fluch der Menschheit überhaupt. Den grössten Teil unserer Energie verbrauchen wir zur Aufrechterhaltung unserer eigenen Wichtigkeit. Endlos sorgen wir uns um unsere äussere Erscheinung und um die Frage, ob wir geliebt und bewundert werden. Könnten wir den Eigendünkel ablegen, dann würden zwei bedeutsame Dinge mit uns geschehen. Erstens wäre unsere Energie von der Aufgabe befreit, unsere Grössen-Illusionen aufrechtzuerhalten. Und zweitens hätten wir genügend Energie, um in die zweite Aufmerksamkeit einzutreten und etwas von der wahren Grösse des Universums zu erahnen.»
S. 350
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Zusammen leben - Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildung, Basic Editions, 2013
Die echte Gemeinschaft, die Kriegerhorde oder Herzgruppe, kennt ein Einssein, wie es unserer heutigen Welt vollkommen fremd ist. Sich über etwas einig zu sein, ist praktisch unmöglich geworden. Auf allen Ebenen muss alles endlos "diskutiert" werden, auf Kommunion basierende Kommunikation kennen wir nicht mehr. Weil heute jeder meint, seine eigene Wichtigkeit behaupten zu müssen, indem er allem widerspricht, und seine Eigenständigkeit beweisen muss, indem er um jeden Preis etwas Eigenes, seine eigene Ansicht, sein Eigeninteresse oder das seiner Partei vertritt, und sich niemand mehr neidlos und ohne Autoritätskonflikt natürlicher Autorität ergeben kann, muss schliesslich alles durch Gesetze und Reglementierungen festgelegt werden, so dass wir definitiv im Bürokratismus unterzugehen drohen. Zunehmend hat man den Eindruck, dass der Zusammenbruch des überholten Systems unserer Gesellschaft allein über den Weg einer Verselbstständigung der Bürokratie kommen könnte, die schliesslich an sich selbst ersticken wird.
Der Krieger, die Kriegerin überwindet die eigene Wichtigkeit. Das ist ihr Hauptanliegen: das Selbst zu überwinden. Dagegen führt sie einen "Krieg", der in ihrer eigenen Brust stattfindet. Sie muss keine Eigenständigkeit behaupten, da sie erkannt hat, dass Selbstständigkeit in einem Universum der Unteilbarkeit eine Illusion ist. Sie überwindet alle Trennung und ist aus dem Gefühl des Einsseins mit allem, das ihr innewohnt, überall zu Kooperation, zu Konsens, zum sich Verständigen und für alle und alles zu sorgen, bereit. Demokratie ist der Kriegerin ein Gräuel. Diese Diktatur der Mehrheit will sie in echter Gemeinschaft zu Gunsten einer Konsensdemokratie überwinden. Da das Bestehen auf Trennung, eigener Wichtigkeit und "Selbst"–ständigkeit aufgehört hat, führt die Konsenssuche der Kriegerhorde nicht zu endlosen und zermürbenden Diskussionen, sondern schnell und leicht zu einem praktischen, alles einbeziehenden, gleichzeitig vernünftigen, aber auch einfühlsamen und Intuition berücksichtigenden Konsens.
S. 236
Die Liebe geht zu allem auf diejenige Distanz, die friedvolles Nebeneinander gewährleistet. So weit möglich versucht der Krieger also mit seinem Pirschen, Krieg zu umgehen.
Aber was, wenn dies auch nicht mehr gelingt?
Der makellose Krieger wird natürlich schauen, ob es an ihm liegt, ob er sich in seinem Pirschen noch verbessern kann, ob er wirklich in allem gelassen bleiben, alles mit seiner stillen Wahrnehmung begleiten kann, ohne sich innerlich zu verstricken oder ob in ihm noch Gefühle aufkommen, eigene Wichtigkeit, die noch nicht genügend integriert sind. Sofern er so etwas in sich findet, wird er sich sofort darum kümmern. In stiller Rekapitulation wird er aufarbeiten, was in ihm noch zu erledigen ist, bis er in sich wieder den Zustand hergestellt hat, die Stimmung des Kriegers, in dem für ihn nichts mehr wirklich wichtig ist, wo er mit allem sein kann, ohne dass Gefühle der Ohnmacht oder Einsamkeit, des Unverstandenseins etc. aufkommen, in dem alles gleichbedeutend wird, leer von Emotionen, einfach das, was ist und was seine Zuwendung gerade erfordert. Er weiss, dass letztlich alles gleich gültig ist und dass er diese Gleich Gültigkeit nur existenziell erfahren kann, wenn er alles zu nichts werden lässt, dass aber etwas nicht zu nichts werden kann, solange er noch ein Gefühl dazu hat.
S. 326
Die Zugehörigkeit zur Herzgruppe findet man in sich drin. Sie wird durch niemanden bestätigt. Es gibt keine Ernennung oder Wahl. Und sie drückt sich unmittelbar aus in den Beziehungen, ganz persönlich und intim. Es gibt keine Gewohnheiten und fassbaren Abmachungen darin. […] Das, was es braucht, ist die Freiheit von der Fixierung auf die eigene Wichtigkeit, die Fähigkeit zur Ausrichtung auf ein Umfassenderes und die Zentrierung in einem Grösseren, so dass das eigene Selbst an Bedeutung verliert.
S. 358
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Kriegerschule / Die Kriegertexte , Sachbuch Spiritualität, Basic Editions, 2010
Eigenartig ist es schon, sich durch die Geschichte und die Altertümer Roms, wo wir uns zum vierzigsten Geburtstag von Marianne gerade aufhalten, chauffieren zu lassen. Wir Menschen scheinen immer mit der Vergangenheit beschäftigt zu sein, uns gerne beeindrucken zu lassen vom Protz, den unsere Ahnen in die Welt gesetzt haben. So schön all die Kirchen, Paläste, Statuen und Obelisken auch sind, sie täuschen einen nicht darüber hinweg, dass in all den Strukturen, die uns hinterlassen wurden, vor allem das Ausagieren eigener Wichtigkeit unserer Vorväter zum Ausdruck kommt. Und man kommt nicht umhin, an die Bemerkung Don Juans zu denken, dass das, was der Durchschnittsmensch für die Welt hält, nämlich das, was Menschen tun und getan haben, nichts als endlose Verrücktheit ist, und dass das, was die Welt und damit auch der Mensch tatsächlich ist und was von den Menschen in ihrem Irrsinn übersehen wird, ewig still dahinter leuchtet als ein endloses Mysterium.
S. 16
Der Krieger erkennt, dass eine vollkommene Bewusstheit einer grossen Energie bedarf. Darum bemüht er sich, Energie einzusparen da, wo sie der Durchschnittsmensch unsinnig ausgibt.
Als Hauptposten dafür erkennt er unsere Unart, uns wichtig zu nehmen. Eines seiner Hauptziele ist es daher, die eigene Wichtigkeit zu überwinden. Sich wichtig zu nehmen, heisst genau dies: endlos über sich selbst nachzudenken. Damit hört der Krieger auf. Es bedeutet, Anerkennung zu suchen, sich Sorgen zu machen ums Geliebtwerden, darüber, wie man wirkt, darüber, was andere von einem denken. All dem setzt der Krieger in sich ein Ende. Das ist sein Kampf, der Krieg, den er gegen sein eigenes Selbst führt ein Leben lang.
S. 17
Die eigene Wichtigkeit ist eine schreckliche Last. Sie kann nicht mit Nettigkeiten überwunden werden. Sie ist nicht etwas Simples; einerseits ist sie das Herz von allem, was gut ist in uns, aber andererseits das Kernstück von allem, was verdorben ist in uns.
Anders als gewöhnliche Menschen suchen Kriegerinnen keinen Beifall für ihre Taten, keinen Respekt, kein Lob oder andere Formen der Belohnung von anderen, auch nicht von ihren Mitkriegern.
S. 36
Ein Krieger lässt nie jemanden spüren, dass er die Verantwortung hat.
Ein Krieger ist unfähig, Mitleid zu empfinden, weil er sich selbst nicht mehr Leid tut. Umso mehr ist er voller Mitgefühl, was ganz und gar nicht dasselbe ist.
Ein Krieger ist ganz und gar auf sich selbst bezogen, aber nicht auf eine eigensüchtige Weise, sondern im Sinne einer totalen und kontinuierlichen Prüfung seines Selbst. Alles beginnt und endet mit ihm selbst. Da er seine eigene Wichtigkeit verloren hat, wird diese Art der Selbstbezogenheit abstrakt und unpersönlich.
Die eigene Wichtigkeit aufgeben, das heisst, nicht mehr länger über sich selbst nachzudenken.
Der Krieger ist sich seiner selbst voll bewusst, in dem Sinne ist er ununterbrochen auf sich selbst als Mittelpunkt von allem bezogen, aber er denkt nicht länger über sich selbst nach.
Er hält sich mittels seiner Bewusstheit in seiner eigenen Aufmerksamkeit. Es ist eine fatale Schwäche des Durchschnittsmenschen, sich selbst zu ernst zu nehmen. Ein Krieger kann einen kleinen Tyrannen, einzig bewaffnet mit der Erkenntnis, dass dieser sich todernst nimmt, besiegen.
Was den Eigendünkel des Kriegers im Zaum hält, ist die Erkenntnis, dass Realität nur eine von uns selbst gewählte Interpretation ist. Er hat nicht länger Stolz und Selbstwertgefühl, die verletzt werden können.
S. 64
Ohne Traurigkeit und Sehnsucht gibt es keine Nüchternheit. Kriegerinnen werden oft von Anflügen des Traurigseins heimgesucht, aber nur, um darüber zu lachen. Alle Melancholie erhebt sich aus übertriebener eigener Wichtigkeit.
Weil die Kriegerin ihre eigene Wichtigkeit überwindet, wird in ihrem Kontakt mit dem Abstrakten, dem Geist auch das Selbst zu etwas Abstraktem und Unpersönlichem. Der Geist ist für die Kriegerin etwas Abstraktes, weil sie von ihm weiss ohne Worte und Gedanken, weil sie nicht erfassen kann, was der Geist ist. Und weil sie mit ihm, ohne eine Chance oder einen Wunsch ihn zu verstehen, trotzdem umgeht, ihn erkennt, ihn einlädt, ihn lockt, mit ihm befreundet ist und ihn ausdrückt mit ihren Handlungen. Den Geist, der unser Leben bestimmt, nennen Kriegerinnen auch die universelle Absicht, die Unendlichkeit, das stille Wissen oder den dunklen See des Gewahrseins. Kriegerinnen spekulieren nicht über den Geist. Sie wissen, dass er existiert. Ohne zu wissen, was er ist, verschmelzen sie mit ihm.
S. 84
Aus: Samuel Widmer Nicolet: Vom Allerinnersten, Meditationen , Basic Editions, 2005
Glück und Weisheit können sich in einem Menschen nur zeigen, wenn er [die Demut] kennt. Sie ist aber nicht falsche Bescheidenheit, hinter der sich die eigene, nicht offen eingestandene Wichtigkeit versteckt, auch nicht Gleichmacherei, die es vermeiden will, schwierige aber notwenige Auseinandersetzungen mit Macht und Autorität auf sich zu ziehen. Demut ist eine königliche Haltung, die sich wie alles im Innersten auf einer Ergebenheit gegenüber Wirklichkeit begründet, die aufgehört hat, mittels eines beschränkten Eigenwillens eine beschränkte Wirklichkeitssicht den Fakten des Lebens überstülpen zu wollen, die uneingeschränkt bereit ist, sich der Autorität des Wirklichen zu beugen, ihr zum Recht und zum Durchbruch zu verhelfen und darin nichts Eigenes verteidigen muss. Demut ist es, die gerade die Gleichheit in allem erkennt, das aus dem Innersten kommt. Demut ist es aber auch, die mit Würde und ohne jeden falschen Stolz das, was nicht gleichwertig ist, konfrontieren kann, die sich nicht scheut, jedes Autoritätsproblem, das hinter der Nicht-Akzeptanz gegenüber Wirklichkeit besteht, hervorzuholen. Denn alles, was aus dem Innersten kommt, ist sich seiner Nichtigkeit bewusst und hat darum Anteil an der Erhabenheit des grossen Nichts. Was aber nicht aus dem Innersten kommt, ist tatsächlich minderwertig, fühlt sich auch zu Recht minderwertig, wie jeder, der nicht liebt zum Beispiel, erlebt sich aber als wichtig, neigt zur Selbstüberschätzung und sieht seine Bedeutungslosigkeit nicht.
S. 34
Wirkliche Berufung zu finden ist ein Ankommen im Innersten. Wirkliche Berufung ist eine Ich-lose Flamme. Darin hat alles Suchen ein Ende, aller Wunsch nach Bedeutung und Wichtigkeit ein Ende. Darin findet jeder ganz leicht seinen Platz. Er ergibt sich ihm mühelos, fällt ganz von selbst ins Lot mit seinen Möglichkeiten und Voraussetzungen. Niemand kann ihm seinen Platz strittig machen, weil es eben der seine ist. Darin haben alle Konkurrenz, aller Neid und Ehrgeiz ein Ende. Unsere wirkliche Berufung zu entdecken ist ein Zustand von Reife, von Erwachsensein, von Vollendung im Menschsein. Alle Ich-Impulse sind darin transzendiert.
S. 86
Gleichgültigkeit ist eine Qualität des Allerinnersten. Es ist nicht die Gleichgültigkeit, ja Wurstigkeit des Durchschnittsmenschen, dem alles egal ist, dem nur sein Drehen um sich selbst, seine Bedürfnisse, seine eigene Wichtigkeit etwas bedeuten. Es ist die höchste Einsicht, dass in der Tiefe des Allerinnersten alles den gleichen Wert hat, dass alle Wege gleich sind, dass jedes Schicksal wert ist, gelebt zu werden, dass alles wunderbares Leben ist, voller Schönheit, voller Sinn, voller innerster Wesentlichkeit, solange es aus dem Allerinnersten, aus der Essenz heraus gelebt wird.
S. 151
1) Aus: Samuel Widmer Nicolet: Der Gesang des Begnadeten/ von der unendlichen Liebe (The Song of the Blessed One/ about love infinite), Samuel-Shri-Prem-Avinash-Gita, Meditationen, Basic Editions, 2017, S. 26 & 28